Virtuose Vorführung
"Don Giovanni" in Salzburg: Der toxische weiße Mann
8.8.2021, 12:10 UhrWie nahe christliche Ikonografie und die Symbolwelt der Bildenden Kunst beieinander liegen, demonstriert der neue „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen (zu sehen in der Arte-Mediathek bis 5. November 2021: arte.tv). Der italienische Regisseur Romeo Castellucci ist dafür bekannt, seine kunstgeschichtlichen Kenntnisse zur jeweiligen Oper zu assoziieren und einen Bilderreigen zu erschaffen.
Welches Werk könnte dafür besser geeignet sein als der „Don Giovanni“, dieser Archetypus des wilden, virilen, alle moralischen Grenzen überschreitenden Frauenverführers? Dessen Unersättlichkeit aber auch eng mit dem christlichen Weltbild verknüpft ist, als eine satanisch-selbstverliebte Umwertung der Moral in maximalen Eigennutz, auf der letztlich der entfesselte Kapitalismus unser Gegenwart fußt.
Castelluccis „Don Giovanni“ ist eine Art virtuose schwarze Messe. Zu Beginn räumt er im Großen Festspielhaus auf der Bühne eine Kirche leer und treibt einen Ziegenbock, Symbol männlicher Triebkraft, hindurch.
Die Feier dieser Oper wird zum genusssüchtigen Religionsersatz, zum bewusst überladenen Bilderreigen, bei der sogar ein leibhaftiges Luxusauto krachend vom Bühnenhimmel stürzt. Ein Rollstuhl und ein Flügel folgen. Überhaupt wird gerne zertrümmert in dieser Produktion, Don Giovanni schwingt den Hammer und zerschlägt Statuen.
Die Hauptfrauen der Oper, Donna Anna (Nadezhda Pavlova), Donna Elvira (Federica Lombardi)und Zerlina (Anna Lucia Richter) interessieren Castellucci nicht als Charaktere, sondern als Stereotype gesellschaftlich inszenierter und sich anpreisender Weiblichkeit – samt nackten Statisten-Doppelgängerinnen.
Das funktioniert nicht wirklich. Bühnenpraktisch leidet die Inszenierung darunter, dass die Regie keine Beziehungen zwischen den Figuren aufbaut, keine Duette und Ensembleszenen ausarbeitet. Auch die Arien wirken oft wie eingeschobene Nummern. So fehlt der dramatische Sog, der aus der Interaktion der Figuren entsteht, den jede Mozart-Oper dringend braucht und der bei Christof Loys und Joana Mallwitz' „Cosi-fan-tutte“-Deutung in Salzburg so gut funktioniert.
Castellucci dagegen schafft zwar eindrucksvolle Bild- und Figurenchoreografien. Wer kunstgeschichtliches Wissen hat, ist dabei im Vorteil und erkennt die Werke, auf die angespielt wird. Aber Oper als Kunst der musikdramatischen Zuspitzung wird völlig vernachlässigt, Leerlauf ist die Folge.
Und die Figurenzeichnung droht ins Klischeehafte abzurutschen, etwa beim Möchtegern-Rächer Don Ottavio (Michael Spyres), der in Operettenuniform und mit Riesenpudel von der Regie als Schwätzer geradezu denunziert wird. Und Bauer Masetto (David Steffens) muss fast immer irgendein landwirtschaftliches Werkzeug in der Hand halten.
Von den tausenden, von Leporello (Vito Priante als zwillingshafter Stellvertreter Don Giovannis für unangenehme Aufgaben) aus dem Kopierer geschleuderten, besungenen Beute-Frauen lässt die Regie nach der Materialschlacht im ersten Akt nach der Pause eine große Schar als anklagende, aber stumm bleibende Opfer Don Giovannis im „MeToo“-Stil aufmarschieren.
Der Titelheld (Davide Luciano mit standhaft differenziertem Bariton) wirkt oft eher geistesabwesend - als wachse ihm das Schlamassel, das er angerichtet hat, längst über den Kopf. Vor dem Kleinkind, das ihm Donna Elvira präsentiert, flüchtet er. Auf den Flügelresten improvisiert er (was von Maria Shabashova am Hammerklavier stammt, die einiges zu Mozarts Musik dazu erfindet).
Berauscht ist Don Giovanni höchstens von sich selbst und seiner eingebildeten Grandiosität. In seiner Überdrehtheit und toxischen Männlichkeit tobt er aber längst entseelt dem unvermeidlichen Ende entgegen.
Dieses ist wirklich schrecklich: Mit weißer Farbe beschmiert, wird Don Giovanni eins mit dem Kirchenboden und damit quasi unsichtbar – die maximale Strafe für einen Egomanen.
Ziemlich eigenwillig geht auch der inzwischen zu Starruhm gekommene Teodor Currentzis mit seinem musicAeterna-Orchester und -Chor die Partitur an. Mozarts Paritur wird gestaucht und gepresst, Verzierungen werden munter extemporiert.
Vielleicht ist das näher an jeder historischen Aufführungspraxis als detektivisch nüchterne Aufbereitung von Opernautographen, auf jeden Fall ist es eine musikalische Mozart-Show. Deren grenzwertige Selbstverliebtheit passt wiederum genau zum Sujet.
Dieser Salzburger „Don Giovanni“ will in seinem Wahn Größe zeigen. Aber viele Klang- und Inszenierungsgesten bleiben hohl und erinnern eher an den Größenwahn unserer Zeit. Was es auch irgendwie trifft, ist das doch der Stoff, „auf dem wir alle talwärts fahren“.
Diese Aufführung ist bis zum 5. November 2021 über die Arte-Mediathek zu sehen: arte.tv
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