Eine Mutbürgerin im Schauspiel Nürnberg: Die neue "Antigone"
7.10.2020, 14:37 UhrZuerst war sie seine „Nora“, jetzt ist sie seine „Antigone“ – und warum sollte Regisseur Andreas Kriegenburg, der nun bereits zum zweiten Mal in Nürnberg arbeitet, auch nicht ein bisschen von Pauline Kästner schwärmen dürfen?
„Sie ist eine sehr reiche Schauspielerin. Mir gefällt ihr Vergnügen und auch ihr Mut, riskant zu sein, komplex, nicht immer leicht verstehbar“, sagt Kriegenburg bewundernd. „Sie ist fähig, mit aller Sensibilität und doch offen in eine Rolle zu gehen. Das wird auch jetzt noch mal überraschend, hoffe ich...“.
Antigone also, die Frau, die sich verweigert. Die dem Herrscher Kreon – ihrem Onkel und zudem Vater ihres Verlobten – trotzig die Stirn bietet, weil sie ihren toten Bruder Polyneikes standesgemäß begraben will, was Kreon aber verboten hat. Der griechische Dramatiker Sophokles hat sie zur Heldin seines Stücks gemacht, 442 vor Christus: eine Rebellin, die Humanität und Liebe zur Familie über das Gesetz stellt – und dafür sogar in den Tod geht.
Für Kriegenburg ist sie, so hat man im Gespräch den Eindruck, gar keine Heldenfigur. Auch Kreon nicht, der in seiner Verblendung als Machthaber erst recht schuldig wird und in seinem Scheitern vorgeführt wird. „Beide sind sie in ihrer Tragödie gefangen und beide sind nicht zum Kompromiss bereit. Mein Held ist der moralische Konflikt der beiden, der Kampf von Vernunft und Unvernunft.“
Um zu betonen, wie stark die Zwänge sind, in denen Kreon nach dem Krieg um die Stadt Theben steckt, gibt es in der Nürnberger Fassung sogar einen eigenen Prolog, der die Vorgeschichte erläutert. Spielen wird ihn Michael Hochstrasser – der die Rolle des Kreon am Haus auch schon einmal unter Georg Schmiedleitner innehatte.
Männliche Wunschfantasie
Ibsens „Nora“ hatte Andreas Kriegenburg, bundesweit als Regisseur gefragt, am Schauspielhaus mit viel lustigem Palaver angefüttert – schließlich ging es ihm auch um die Probleme einer Schauspielerin oder ganz allgemein Frau von heute, diese Rolle – „eine männliche Wunschfantasie des Autors“ – anzunehmen. Ein Happy End, eine wahre Befreiung, war da nicht möglich.
Seine Inszenierung der antiken Tragödie nennt er nun „starrsinnig ernsthaft“ – und muss doch dabei schmunzeln. „Es geht eben darum, eine Entsprechung zu finden für die moralisch-philosophische Ebene wie für die Form und die Klangwelt
dieses Theaters. Ich wollte da keine Aneigung, die ja immer auch eine Trivialisierung ist. Diese große, ferne Sprache darf nicht alltäglich gemacht werden.“
Was darf der Staat?
Gleichwohl ist für ihn das Thema – eine Gesellschaft, die ihre Werte überprüfen muss und die Rechte des Einzelnen – aktuell. Wie weit geht Freiheit eigentlich? Was darf der Staat uns verbieten und was nicht? „Da ist das Tragen einer Maske in Corona-Zeiten freilich nur eine sehr banale Sache.“
Viel wichtiger ist für Kriegenburg der umfassende menschheitliche Aspekt des Stoffes, in dem über der Familie des Ödipus – Antigone ist eine seiner Töchter – mehr als nur ein einziger Fluch liegt. „Die Väter vererben den Söhnen nicht nur den Thron, sondern auch das Schwert. Das Patriarchat hat die fatale Tradition, Gewalt weiterzugeben, und das bis heute.“
Am Samstag um 19.30 Uhr wissen wir mehr: Dann ist die Premiere im Schauspielhaus, übrigens in einem von Andreas Kriegenburg selbst entworfenen Bühnenbild. Ganz schlicht diesmal oder wie er es – fein ironisch wie immer – ausdrückt: „absichtlich unraffiniert“.
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