Letzter Bond-Einsatz

"Keine Zeit zu sterben": Ein Meisterwerk zu Craigs Abschied

30.9.2021, 10:04 Uhr
Eigentlich hatte James Bond (Daniel Craig) nicht vor, noch einmal die Welt zu retten. Nachdem brandgefährliches Geheimdienstmaterial in die Hände der Terrororganisation Spectre gelangt ist, bleibt dem berufsmüden Agenten jedoch keine Wahl.

© Nicola Dove / DANJAQ / LLC / MGM Eigentlich hatte James Bond (Daniel Craig) nicht vor, noch einmal die Welt zu retten. Nachdem brandgefährliches Geheimdienstmaterial in die Hände der Terrororganisation Spectre gelangt ist, bleibt dem berufsmüden Agenten jedoch keine Wahl.

Keine Zeit zu sterben - schon allein der Titel des neuen James Bond entwickelte als Durchhalteparole in pandemischen Zeiten nahezu prophetische Qualitäten. Der Film gehörte zu den ersten Blockbustern, die schon Anfang letzten Jahres, als das Corona-Virus noch vorwiegend in China wütete, ihren globalen Kinostart aussetzten.

Viermal wurde der Termin seitdem verschoben, 18 Monate mussten die Fans auf das neue Abenteuer des bekanntesten Spions der Welt warten. Während andere Produktionen ihr Heil in den Streaming-Diensten suchten, hielten die Bond-Produzenten mit eiserner Geduld an einer Präsentation auf der großen Leinwand fest.

So ist "Keine Zeit zu sterben" auch ein Bekenntnis zum Kino, das als kollektiver Kulturerlebnisraum durch die Pandemie in seinen Grundfesten erschüttert wurde – und der wichtigste Hoffnungsträger einer stark gebeutelten Branche. Dieser Bond soll nicht nur wie jeder Bond die Welt retten, sondern auch die Lichtspielhäuser.

Aber sind die Schultern des Geheimagenten Ihrer Majestät wirklich breit genug, um die Erwartungslast zu tragen? Die Chancen stehen gut: "Keine Zeit zu sterben" gibt dem Kino jenen Ereignischarakter zurück, nach dem wir uns im monatelangen Home-Entertainment-Modus gesehnt haben: spektakuläre Locations, atemberaubende Actionszenen, visueller Stilwillen und ein sorgfältig gedrechselter Plot, in dem der Held gegen schaurige Schurken und eigene Dämonen ins Feld zieht – und dabei um eine große Liebe kämpft.

Traumatische Erfahrung (Achtung, Spoiler!)

Und so fängt dieser Bond auch nicht mit einem wahllosen Einsatz des Geheimagenten an, sondern mit einer Kindheitserinnerung seiner Geliebten Madeleine Swann (Léa Seydoux), die in jungen Jahren mit ansehen muss, wie ihre Mutter von einem maskierten Eindringling ermordet wird. Mit Madeleine genießt James den geheimdienstlichen Vorruhestand, in den er sich am Ende von "Spectre" begeben hat.

Aber nicht nur von der beruflichen Vergangenheit will sich der Spion lösen. Auch die traumatische Erfahrung von Liebe und Verrat mit Vesper Lynd aus "Casino Royale" (2006) will er hinter sich lassen. "Vergib mir", schreibt er auf einen Zettel an ihrem Grab, als ihn eine massive Explosion zu Boden wirft.

Der Chef der Terrororganisation "Spectre", Blofeld (Christoph Waltz), den Bond im letzten Film hinter Gitter gebracht hat, scheint dem Berufsaussteiger nicht verziehen zu haben. Es folgt eine kraftvoll choreografierte Verfolgungsjagd durch die engen Gassen des italienischen Bergstädtchens Matera, in der Bond nicht nur vor den zahlreichen Finsterlingen flüchten muss, sondern auch die Liebe zu Madeleine aufkündigt, die ihn an Spectre verraten haben soll.

Tödliche Nanorobots

Fünf Jahre später lebt er allein und zurückgezogen auf Jamaika, wo ihn sein früherer CIA-Kollege Felix Leiter (Jeffrey Wright) für einen letzten Job anwirbt. Ein Wissenschaftler hat die Daten eines geheimen MI 6-Projektes gestohlen und an Spectre verkauft. Die tödlichen Nanorobots, die auf eine spezifische DNA codiert werden, ermöglichen gezielte Attentate genauso wie Völkermorde.

Als freier Mitarbeiter kehrt Bond zurück nach London, wo man seine Dienstnummer 007 längst an die ambitionierte Kollegin Nomi (Lashana Lynch) vergeben hat. "Ist nur eine Nummer", sagt James achselzuckend und fängt an, die Welt zu retten.

Mit der Amtsübernahme Daniel Craigs in "Casino Royale" wurden vor 15 Jahren nicht nur veraltete Männer- und Frauenstereotypen überarbeitet, über mehrere Folgen hinweg wurde auch das Seelenleben des Meisterspions weiterentwickelt.

Craigs Bond war mehr als ein harter Kerl mit verdammt coolen Sprüchen und durfte als melancholischste unter den Bond-Inkarnationen echte Gefühle zeigen. Gerade auf dieser Ebene hält "Keine Zeit zu sterben" einige überraschende Wendungen bereit, die kunstvoll in den klassischen Weltretter-Plot hinein geflochten werden. Craig meistert es besser denn je, die Risse in der harten Schale und das pochende Herz, das sich dahinter verbirgt, sichtbar zu machen.

Dieser 25. Bond-Film ist bekanntlich der letzte mit Daniel Craig, und auf verschiedenen Ebenen ist "Keine Zeit zu sterben" auch ein riesengroßes Abschiedsgeschenk an seine Figur, mit der sich das Franchise nicht neu erfunden, aber grundlegend und selbstbewusst modernisiert hat. Sogar echtes Pathos wird in der Schlusssequenz für den scheidenden Spion freigesetzt.

James Bond Quiz

Mit 163 Minuten ist dies auch der längste Bond-Film, in dem US-Regisseur Cary Joji Fukunaga sich für die elegant orchestrierten Stunt-Sequenzen genauso viel Zeit lässt wie für die emotionalen Verwicklungen. Fukunaga, der nach künstlerischen Differenzen die Regie von Danny Boyle übernahm, gelingt es, Neues nahtlos in Vertrautes einzubinden. Bond-Fans werden erneut ihren Spaß an dem breiten Geflecht aus Insider-Witzen und Querverweisen haben.

Kraftvoller Schlussakkord

Freude bereiten auch die punktgenau besetzten Neuzugänge: Rami Malek ("Bohemian Rhapsody") verbreitet als Überbösewicht Lyutsifer Safin eine überzeugend ungemütliche Aura. Lashana Lynch erstrahlt als 007-Nachfolgerin in stilsicherer Coolness und Ana de Armas stiehlt in einem effizienten Kurzauftritt während eines gemeinsamen Einsatzes dem Titelhelden die Show.

Gewiss ist auch dieser Bond kein feministisches Manifest, aber alle Frauenfiguren verfügen über Tiefe und Durchsetzungsvermögen. Als kraftvoller Schlussakkord bereitet "Keine Zeit zu sterben" der Ära Craig einen durch und durch würdigen Abschied – und den Kinos hoffentlich einen lukrativen Neuanfang.

In diesen Kinos läuft der Film.

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