Michael Popp über das Nürnberger "Komm"
29.11.2017, 14:00 UhrHerr Popp, wie ist das heute für Sie, hier im Filmhauscafé und damit im ehemaligen "Komm" zu sitzen ?
Michael Popp: Irgendwie ist das hier immer noch meine Heimat. Das Filmhauscafé ist für mich ein besonderer Ort, weil ich über viele Jahre lang die Idee hatte, dass an dieser Stelle hier, an der früher die Türmchen standen, ein moderner, offener Neubau entstehen sollte. Ein fortschrittliches gesellschaftliches Modell wie die Selbstverwaltung, das sich Offenheit und Transparenz auf seine Fahnen geschrieben hatte, sollte sich nicht hinter historisierenden, wehrhaften Türmen verstecken müssen. Die Selbstverwaltung war aber stets gegen diesen Vorschlag, in der durchaus berechtigten Angst, dass — vergleichbar mit der Gentrifizierung — die Subkultur dann verdrängt werden könnte.
Ängste wie heute, wo das subkulturelle Veranstalterkollektiv Musikverein es ja nicht besonders toll findet, nach dem anstehenden dritten Bauabschnitt der Generalsanierung nur noch im Keller residieren zu dürfen?
Popp: Ja, wobei man sagen muss, dass die Entwicklung in Richtung einer professionellen Hochkultur ja nicht per se schlecht ist. Die geschah in vielen anderen Zentren viel früher, weil deren öffentliche Subventionen geringer waren als die für das "Komm" und sie gewinnorientierter arbeiten mussten. Damit verbunden waren auch Kompromisse hinsichtlich des Publikumsgeschmacks.
Das "Komm" hatte es in der öffentlichen Wahrnehmung oft sehr schwer. Woran lag das?
Popp: Ich nenne es überspitzt den "sozialen Würgegriff". Alle Probleme, die mit der Lage in Bahnhofsnähe verbunden sind, drängten ins Haus: Drogen, Alkoholiker, Trebegänger oder auch umherreisende aggressive Punks. Das hat die Atmosphäre oft ziemlich runtergezogen. Aber da das "Komm" den Anspruch hatte, offen für alle Teile der Gesellschaft zu sein, auch die sozial Benachteiligten nicht auszuschließen, mussten wir das ertragen. Was zur Folge hatte, dass manche der besser Gebildeten weggeblieben sind. Trotzdem: Das offene Konzept war für das "Komm" extrem wichtig. Jeder, vor allem aber junge Menschen konnten sich hier ausprobieren – sie hatten einen Lern- und Freiraum.
War das die Kernidee hinter dem "Komm"?
Popp: Die Kernidee war eine kulturpolitische. Der Wunsch nach einer vielfältigen, lebendigen, warmen Kultur. Das kann man heute nur noch verstehen, wenn man sich an die Situation Anfang der 1970er Jahre erinnern kann. Wo heute ganze Seiten in der Tageszeitung über Dutzende von Kulturangeboten berichten, langten damals drei bis fünf Zeilen. Als junger Kunsterzieher kannte ich die Freizeitnöte meiner Schülerinnen und Schüler. Ja, ins Opernhaus, ins Theater, in die Kunsthalle konnte man gehen, aber das war nicht die Welt der jungen Leute und des Zeitgeistes wenige Jahre nach der Studentenbewegung von 1968. Ausschlaggebend waren für mich ein paar Schlüsselerlebnisse. Schon 1969 hatte ich die Gelegenheit, in New York mein erstes Kindermuseum zu erleben und damit die Vorstellung einer "warmen" Kultur. Da saßen schwarze Mamas mit ihren vielen Kindern auf dem Schoß und ein Betreuer legte ihnen eine große lebendige Schlange um den Hals. So sollte ihnen die generelle Angst vor Schlangen genommen werden. Nebenan klimperten andere Kinder auf alten Schreibmaschinen und schrieben Gedichte. Alle, die da waren, fühlten sich "zuhause". Das ist das, was ich unter einer "warmen" Kultur verstehe.
Also, das krasse Gegenteil zu der kühlen Atmosphäre in den abgehobenen Kulturtempeln.
Popp: Ja. Diese und weitere Erlebnisse verdichteten sich zu einer Vision, wie eine niedrigschwellige, bürgernahe Kultur aussehen könnte. Ich lag Hermann Glaser, dem damaligen Kulturreferenten, mit meinen Ideen monatelang in den Ohren, wobei ich bei ihm, dem experimentierfreudigen Kulturmenschen, offene Türen einrannte. Wir ergänzten uns hervorragend: Er war für den theoretischen Überbau zuständig, ich für ein konkret umsetzbares Konzept, wobei damals auch drei weitere Kunsterzieher beratend beteiligt waren, Astrid Jakob, Horst Henschel und Norbert Pfeifer.
Warum wurde das Künstlerhaus als Ort für das "Komm" ausgewählt?
Popp: Zunächst firmierte es ja unter Kommunikationszentrum – die liebevolle Kurzbezeichnung haben die Benutzer erst später gewählt. Für das Künstlerhaus sprachen vor allem zwei Gründe: Das Gebäude sollte zu dieser Zeit ja abgerissen werden, deshalb stand es meist leer. Dann fand dort 1972 eine neuartige Bildungsveranstaltung zum Thema Fernsehen statt, das sogenannte "Kybernetikon". Da hat man sehen können, welche Qualitäten dieses Haus für eine lebendige, vielschichtige Kultur hat. Im Jahr darauf haben wir dann den "Probelauf" gewagt, der so eingeschlagen hat, dass der Bedarf für eine zentrale, jugendkulturelle Einrichtung offensichtlich war. Dass in 16 Öffnungstagen 20 000 Besucherinnen und Besucher kamen, sprach für sich. Das hat dann auch die Politik rasch eingesehen. Im Oktober 1973 kam dann bei einer Nachfolgeveranstaltung mit Freiwilligen, die an der Fortführung des "Komm" interessiert waren, die Forderung nach Selbstverwaltung auf. So verband sich eine neue kulturpolitische Vorstellung mit den Idealen der damaligen "Jugendzentrumsbewegung". Das alles geschah innerhalb weniger Monate – bei der heutigen Bürokratie wäre das nicht mehr möglich. Anfang 1974 hängte ich, etwas wehmütig, meinen Lehrerberuf an den Nagel, um diese aufregende Arbeit zu moderieren.
Einschneidend war der 5. März 1981, als die Polizei nach einem Demonstrationszug junger Leute durch die Innenstadt das "Komm" einkesselte und 141 Personen verhaftete. Wie denken Sie daran zurück?
Popp: Meine Überzeugung ist: Für die Geschichte des "Komm" sollte man dieses Datum nicht überbewerten. Viele nennen "Komm" und 5. März in einem Atemzug. Der Vorfall sagt aber weniger über das "Komm" aus als vielmehr über den bayerischen Staat, der es nicht ertragen konnte, dass es in Nürnberg diese kleine Oase von Freiheit und Selbstbestimmung gab. Wichtig war das Datum aber für diese Stadt, in der damals jeder Stellung nehmen musste. Selbst manche jahrelangen CSU-Wähler haben gesagt: Das war’s, mein Vertrauen in diesen Staat ist gründlich erschüttert.
Wieviel "Komm" steckt heute noch im Künstlerhaus?
Popp: Zum einen gibt es ja noch eine ganze Reihe von Gruppen, die seit der "Komm"-Zeit existieren und für ein regelmäßiges, attraktives Angebot sorgen. Bei vielen spürt man auch heute noch den Willen nach selbstbestimmter Arbeit. Andererseits gibt es eine Tendenz, alles ganz ordentlich nach städtischen Regeln zu verwalten und sehr anspruchsvolle Programme anzubieten, die einen hohen Aufwand verlangen. Und ein Übergewicht an Ausstellungen.Was dagegen mit wenigen Ausnahmen fehlt, ist die Durchlässigkeit von unten. Damit meine ich, dass junge Leute sich in einem "Freiraum" ausprobieren können. Genau das war das Wertvolle am "Komm", dass sich immer wieder neue Gruppen bilden und professionalisieren konnten und später das kulturelle Leben in der Stadt bereichert haben, wie etwa das Magazin "Plärrer", die Medienwerkstatt, die Mediengruppe "Point", Radio Z, die damalige AG Zwischennutz, die Drogenhilfe Mudra, der Fahrradkurier oder viele Musik- und Theatergruppen. Das "Komm" fungierte immer als "Durchlauferhitzer".
Was führte am Ende dazu, dass die Selbstverwaltung scheiterte?
Popp: Das waren vor allem zwei Gründe: Es war 1996, als die CSU an die Macht im Rathaus kam, die Partei, die jahrelang gegen das "Komm" gewettert hatte. Und es waren Gewichtsverlagerungen, ja Machtbestrebungen im Inneren. Die "Autonomen" hatten allmählich versucht, den politischen Kurs des Hauses zu bestimmen, dem setzten die demokratisch gemäßigten Kräfte zu wenig entgegen. Ich war zu meiner Zeit immer um einen Ausgleich der verschiedenen Kräfte, auch zwischen Kultur und Politik, bemüht. Das war in dieser Phase aber nicht mehr gelungen. Ludwig Scholz sagte damals, wenn er Oberbürgermeister wird, geht er noch in derselben Nacht ins "Komm" und dreht den Schlüssel rum. Was er sich dann aber doch nicht getraut hat. Der damalige, von einer noch rot-grünen Mehrheit gewählte Kulturreferent Georg Leipold legte dann einen wunderbaren Kompromissvorschlag vor, der politisch durchgegangen wäre und dem "Komm" die Selbstverwaltung noch eine Zeitlang garantiert hätte. Aber die "Autonomen" wollten sich nicht von CSU Gnaden aushalten lassen und brachten den Vorschlag zu Fall. Man muss bei all den Vorgängen berücksichtigen, dass damals die Zeit der "Spaßgesellschaft" anbrach, politische Arbeit und Engagement in der Gruppe nicht mehr so gefragt waren, ein neuer Zeitgeist gegen Selbstverwaltung stand.
Wenn Sie sich etwas wünschen könnten für die Zukunft des Künstlerhauses: Was wäre das?
Popp: Zum einen, wie gesagt, dass die Einrichtung wieder mehr Experimentierfeld für junge Initiativen wird, zum zweiten, dass die Vielfalt erhalten bleibt, die Senioren zum Beispiel auch nach dem Umbau noch ihren Platz haben, und zum dritten, dass die Einrichtung entsprechend ihrer innovativen Tradition auch in der Planung zur Kulturhauptstadt 2025 eine wesentliche Rolle beansprucht und einnimmt. Und dann muss man noch mal an das damalige Demokratiemodell denken. Die klügsten Köpfe rufen heute nach Initiativen, unsere – durchaus bedrohte – Demokratie zu retten. Nürnberg hatte ein zwar anstrengendes, aber immerhin über 23 Jahre lang funktionierendes Modell einer direkten Demokratie, länger als in jeder anderen Stadt. Es war verbesserungswürdig, aber eine Kommune muss, Entschuldigung, bekloppt sein, so eine wichtige Errungenschaft leichtfertig aufzugeben.
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