Premiere "Märchen im Grand-Hotel": Operettenspaß mit Tiefgang im Opernhaus

12.6.2021, 08:27 Uhr
Marylou (Maria-Danaé Bansen) wandelt in "Märchen im Grand-Hotel" auf den Pfaden von Marlene Dietrich.

© Pedro Malinowski/Staatstheater Nürnberg Marylou (Maria-Danaé Bansen) wandelt in "Märchen im Grand-Hotel" auf den Pfaden von Marlene Dietrich.

Mögen Corona und die Zwangspause im Spielbetrieb auch manche Kontinuität am Staatstheater unterbrochen haben, ein roter Faden leuchtet seit Freitagabend aus der Vergangenheit herüber: Das Opernhaus scheint sich als eine Zweigstelle der erfolgreichen Berliner Operette zu etablieren. Nach „Ball im Savoy“ im Januar 2019 ist nun „Märchen im Grand-Hotel“ an der Reihe, wieder mit der Musik von Paul Abraham.

Viele dieser Operetten am Anfang der 1930er Jahre (etwa Nico Dostals „Clivia“) schauten damals staunend nach Hollywood und auf den in voller Strahlkraft sich entfaltenden Siegeszugs des Kinos.

Zimmerkellner Albert (Jörn-Felix Alt) ist in die zickige spanische Infantin Isabella (Andromahi Raptis) verschossen. 

Zimmerkellner Albert (Jörn-Felix Alt) ist in die zickige spanische Infantin Isabella (Andromahi Raptis) verschossen.  © Pedro Malinowski/Staatstheater Nürnberg

In Abrahams Werk soll Marylou, die Tochter eines in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Filmproduzenten, die Zukunft ihres Vaters retten. Der plant ihre Heirat mit dem Sohn der Konkurrenz. Marylou (Maria-Danaé Bansen frech und selbstbewusst) will dem entgehen, indem sie einen eigenen, erfolgreichen Film über die Volten des Hochadels dreht. Der innovative Clou dabei: Die Blaublütigen sollen sich selbst spielen - so etwas feiert heute als Doku-Drama bzw. „scripted reality“ Erfolge.


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Operetten-Experte Otto Pichler sorgt in Nürnberg für Regie und Choreografie und geht die Story erst mal karikierend und chargierend an. Hans Kittelmann markiert den Filmproduzenten mit Zigarre und dicker Streifenanzug-Hose, seine Tochter setzt als Marlene-Dietrich-Doppelgängerin ihren Kopf durch und bucht das Ticket nach Cannes, wo im Grand-Hotel die Entourage um die aus der Zweiten Spanischen Republik vertriebenen Infantin Isabella logiert.

Wenn der Hotelbesitzer (Ulrich Allroggen) am Flügel sitzt, schüttet Infantin Isabella (Andromahi Raptis) plötzlich ihr Herz aus.

Wenn der Hotelbesitzer (Ulrich Allroggen) am Flügel sitzt, schüttet Infantin Isabella (Andromahi Raptis) plötzlich ihr Herz aus. © Pedro Malinowski/Staatstheater Nürnberg

Großfürst Paul (Sebastian Köchig) und Gräfin Inez (Almerija Delic) sind hier nur schlechte Witzfiguren, die Infantin eine Zicke vor dem Herrn. Ihr stellt trotzdem der über beide Ohren verliebte Zimmerkellner Albert nach (Jörn-Felix Alt als Traum von einem sexy Schwiegersohn). In Wahrheit ist er der Sohn des Hoteldirektors (Ulrich Allroggen mit gepanzertem Optimismus), der inkognito eine Art Praktikum macht.

Marylou schleicht sich als Dienstmädchen in diese überdrehte Sippschaft, sammelt eifrig Erfahrungen und Notizen für ihr Filmprojekt und muss sich vom notorisch übergriffigen Prinz Andreas (Jens Janke mit warholmäßiger Blondmähne, aber nix drunter), dem designierten Gatten der Infantin, in den Hintern zwicken lassen.

Der Erfolg des Kinos war Anfang der 1930er Jahre das große Ding, mit dem sich auch einige der Berliner Operetten dieser Zeit beschäftigten.

Der Erfolg des Kinos war Anfang der 1930er Jahre das große Ding, mit dem sich auch einige der Berliner Operetten dieser Zeit beschäftigten. © Pedro Malinowski/Staatstheater Nürnberg

Was sich anhört wie eine schlechte Soap-Opera, überzeugt anfangs auch lediglich rein handwerklich durch gut choreografierte und trotz Mikroports mit einigem Verve gesungene Solo-, Duett- und Ensemblenummern wie „Die schönste Rose“, „Ein Drink in der Jonny-Bar“, „Ich geh so gern spazieren“ und „Ich wär so gerne Königin“. Das ist ein anregender Cocktail aus Jazz, Walzer, Tango, Foxtrott, Schampus, Lebens- und Liebeslust.

Dirigent Lutz de Veer injiziert den Musikern der Staatsphilharmonie Nürnberg eine ordentliche Portion dieses Sound-Dopings. Es wird mit direktem Zugriff, präzise und mit viel Schwung musiziert.

Sehr stilvoll, aber gefangen in der Bürde der Monarchie: Die spanische Infantin Isabella (Andromahi Raptis).

Sehr stilvoll, aber gefangen in der Bürde der Monarchie: Die spanische Infantin Isabella (Andromahi Raptis). © Pedro Malinowski/Staatstheater Nürnberg

Dieser kernige, sehr heutig wirkende Klang ist den „Bühnenpraktischen Rekonstruktionen“ der Partituren der Abraham-Operetten durch Henning Hagedorn und Matthias Grimmiger zu verdanken. Sie sind eine wichtige Basis für die Renaissance der Berliner Operette, die vor allem Barrie Kosky an der Komischen Oper pflegt.


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Auf der Bühne des Nürnberger Opernhauses droht jedoch nach einiger Zeit Leerlauf wegen der tendenziell infantilen Humorebene: Furzkissen, von Stühlen fallende Menschen und ähnliches. Aber die Inszenierung kriegt überraschend die Kurve.

Der Humor in "Märchen im Grand-Hotel" bleibt in der Operette lange ohne Tiefgang, aber dann gibt es eine überraschende Wende.

Der Humor in "Märchen im Grand-Hotel" bleibt in der Operette lange ohne Tiefgang, aber dann gibt es eine überraschende Wende. © Pedro Malinowski/Staatstheater Nürnberg

Denn Infantin Isabella zeigt plötzlich Herz und offenbart nach dem hartnäckigen Werben Alberts ihre eigene Liebesgefühle und Lebenszweifel. Andromahi Raptis ist in dieser Partie mit ihrer Wandlungsfähigkeit das Kraftzentrum dieser Aufführung.

Wenn sie wunderbar melodramatisch den Titelsong singt, enthüllt die Operette eine für dieses Genre ungewohnte Tiefe. Da kann man plötzlich erkennen, dass Paul Abraham und seine beiden Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda – alle drei jüdischen Glaubens - kurz nach der Machtergreifung der Nazis ihr eigenes Schicksal und das vieler anderer Menschen vorausgeahnt haben.

Der Mond leuchtet in Paul Abrahams "Märchen im Grand-Hotel" vor dunklem Hintergrund. Szene mit Jens Janke und Maria-Danaé Bansen.

Der Mond leuchtet in Paul Abrahams "Märchen im Grand-Hotel" vor dunklem Hintergrund. Szene mit Jens Janke und Maria-Danaé Bansen. © Pedro Malinowski/Staatstheater Nürnberg

Vor dem permanent schwarzen Bühnenraum leuchtet in diesem Gesang die Sehnsucht und Verunsicherung einer ins Exil getriebenen jungen Frau. Das Grand-Hotel wird zum Transitraum der heimatlos Gewordenen.

Wenn Hollywood ins alte Europa fährt, um sich dort den Stoff für neue Filmerfolge zu holen, spiegelt das die umgekehrte Fluchtroute wider, die Abraham und Grünwald bald nehmen sollten (über Frankreich in die USA), nur kurze Zeit nach der bereits angefeindeten Uraufführung dieser Operette 1934 in Wien – Berlin war da schon nicht mehr möglich.

Mit einfachen Mitteln wird in dieser Operette nostalgische Hotel-Atmosphäre erzeugt.

Mit einfachen Mitteln wird in dieser Operette nostalgische Hotel-Atmosphäre erzeugt. © Pedro Malinowski/Staatstheater Nürnberg

Dass sie im Filmbusiness der neuen Welt Fuß fassen würden, blieb für die beiden ein unerreichbares Märchen. Das erzwungene Exil wurde zum existenziellen Bruch. Noch schlimmer traf es Fritz Löhner-Beda: er wurde 1942 im KZ Auschwitz ermordet.


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Natürlich ist das alles nicht das Thema dieser Operette. Aber als empfindsame Künstler haben ihre drei Schöpfer wohl die Zeichen der Zeit vorausgeahnt und sie in diesen Stoff eingewebt. Pichlers Inszenierung lässt im letzten Drittel plötzlich diesen Resonanzraum – ohne irgendwelche direkten Anspielungen - schwingen und erreicht dadurch Tiefe und Größe.

Überzeugend choreografiert sind nicht nur die Ensembleszenen in "Märchen im Grand-Hotel".

Überzeugend choreografiert sind nicht nur die Ensembleszenen in "Märchen im Grand-Hotel". © Pedro Malinowski/Staatstheater Nürnberg

Ganz pragmatisch tauscht Infantin Isabella hingegen die Bürde der Monarchie gegen eine Karriere als Hollywoodstar. Ihre Entdeckerin Marylou ist nun erfolgreiche Filmproduzentin. Auch das eine fast märchenhafte Emanzipation, die vielen anderen Frauen noch lange verwehrt bleiben sollte.

Doch Operettenunterhaltung heißt ja nicht nur Lachen-Sollen, sondern, wenn sie gut ist, auch Träumen-Dürfen. Nürnbergs „Märchen im Grand-Hotel“ ist so ein Glücksfall – vor tiefschwarzem Hintergrund.

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