Reichsparteitagsgelände: "Man hat sich gescheut, den Ort der Kunst zu übergeben"
14.7.2020, 15:14 UhrHerr Professor Wagner, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Nürnbergs als Stadt der Reichsparteitage ist ein wichtiger Teil der Bewerbungsstrategie. Selcuk Caras "Meistersinger"-Adaption, in der er vom Mittelalter einen Bogen über die Zeit des Dritten Reiches bis ins Heute und die Zukunft schlug, wurde nun als erste künstlerische Annäherung an dieses Thema im Rahmen des Bewerbungsprogramms vor ausgewählten Gästen aufgeführt. Wie sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Wagner: Mich hat Selcuk Cara schon bei der Wiesbadener Inszenierung seines Projekts "Faszination Wagner" begeistert. Für mich ist Cara einer der interessantesten zeitgenössischen Regisseure, die sich mit Richard Wagner auseinandersetzen, weil er den ganzen Interpretations-Ballast, der sich auf dessen Werk angesammelt hat, einfach beiseite schiebt und damit einen sehr neuen Blick auf diese Opern realisiert. Das war für mich der Punkt zu sagen: Das ist der Richtige für Nürnberg, um sich mit diesem genuin Nürnberger Stück auseinanderzusetzen. Ich habe einige Teile der Aufführung, die jetzt als Film herauskommt, erlebt und bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
War von Anfang an klar, dass diese Annäherung an Wagner nicht öffentlich zu sehen sein wird?
Wagner: Wir haben relativ früh in diesem Jahr realisiert, dass wir eine szenische Inszenierung nicht hinbekommen. Ursprünglich war der Innenhof der Kongresshalle als Aufführungsort geplant, was aufgrund der fehlenden Fluchtwege nicht ging. Bei der Suche nach alternativen Orten auf dem Gelände wurde klar, dass wir das nicht mit den anderen großen Veranstaltungen auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände wie etwa Rock im Park bei der Planung in Einklang bekommen. Und dann kam Corona. . . Es wird aber einen Arthouse-Film von der Produktion geben, die jeder kaufen kann.
Reflexion der Geschichte in der Kunst
Der Umgang mit dem Reichsparteitagsgelände ist ja zum Teil sehr rustikal. Wo sehen Sie Chancen, sich das Thema mit Kunst oder auch provokanten Inszenierungen anzueignen?
Wagner: Ich glaube nicht, dass Caras Intention die Provokation war oder einen Skandal herbeizuführen, im Gegenteil, er ist ein sehr genauer Analytiker, der der Gegenwart was zu sagen hat. Vielleicht geht es um Irritation, aber vor allem darum zu zeigen, dass es Möglichkeiten zur Reflexion über die Nürnberger Geschichte mit den Mitteln von Kunst gibt.
Die Nürnberger haben sich ja über Jahrzehnte mit der Frage beschäftigt: Wie kann man mit diesem Gelände umgehen, das ja an sich eine Frechheit ist. Es konfrontiert einen, sobald man einen Blick darauf wirft, mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts und fordert eine Reaktion heraus. Dieser Stachel bleibt eine Herausforderung und wir müssen uns damit beschäftigen, insbesondere vor dem Horizont des aufkeimenden Nationalismus und Rechtsradikalismus. Das müssen wir sichtbar machen und das tun wir als Bewerberstadt mit Kunst und Kultur.
Bislang fuhr die Stadt beim Reichsparteitagsgelände die Linie "Profanisierung". Würden Sie das fortsetzen?
Wagner: Ich verstehe an vielen Stellen nicht, warum es auf dem Reichsparteitagsgelände so aussieht, wie es aussieht, da geht mir etwas das Verständnis ab. Ich finde auch, dass da Dinge stattfinden, die dort nicht stattfinden sollten. Man hat sich aus städtischer Sicht immer ein bisschen davor gescheut, diesen Ort der Kunst zu übergeben. Und das wird sich ändern.