Klassik am Wochenende
Saisonauftakt von Staatsphilharmonie und Symphonikern im Vergleich: Welches der Konzerte war besser?
26.9.2021, 08:22 UhrSpannung am Dirigentenpult
Die Staatsphilharmonie Nürnberg hat mit dem Engagement von Alondra de la Parra einen Coup gelandet. Die 40-jährige Mexikanerin vertrat GMD Joana Mallwitz, die im Mutterschutz ist. Und weil Mallwitz Nürnberg 2023 in Richtung Berlin verlässt, könnte de la Parra durchaus eine Nachfolgekandidatin sein. Was insofern amüsant ist, als sich die Symphoniker 2017 bereits um de la Parra als Nachfolgerin für Chefdirigent Alexander Shelley bemüht hatten, die Dirigentin aber lieber beim Queensland Symphony Orchestra im australischen Brisbane anheuerte.
De la Parra legte am Freitag in der Meistersingerhalle einen begeisternden Auftritt hin. Die Kommunikation mit dem Orchester war intensiv, ein ungewohntes Werk wie Carlos Chavez' „Sinfonia India“ entfaltete klangmagische Wirkung, Antonin Dvoraks berühmte 9. Sinfonie „Aus der neuen Welt“ wurde zum viel bejubelten Hauptwerk des Abends.
Shelleys Nachfolger bei den Nürnberger Symphonikern wurde dann nicht Alondra de la Parra, sondern der Singapurer Kahchun Wong. Bei dem beliebten Dirigenten, der das Orchester erfolgreich in Richtung musikalische Hoch- und Spätromantik weiterentwickelt hat, geht es derzeit um die Vertragsverlängerung. Die Verhandlungen sind in der heißen Phase, Anfang Oktober soll es ein Ergebnis geben, so Symphoniker-Intendant Lucius A. Hemmer.
Wong zeigte in dem Konzert, was für eine reife Dirigentenpersönlichkeit er in seinen Nürnberger Jahren geworden ist. Souverän war er das Zentrum des Geschehens beim Raumklang-Konzert „Fire Ritual“ des chinesischen Komponisten Tan Dun.
In der 2. Sinfonie von Sergej Rachmaninow demonstrierten die Symphoniker, wie weit sie unter Wong schon gekommen sind in der Königsdisziplin der groß besetzten Konzerte.
Fazit: Trotz Wongs großer Qualitäten als Dirigent konnte die Staatsphilharmonie Nürnberg bei diesem Auftaktwochenende mit Alondra de la Parra mehr Neugierde erwecken.
Die Hauptwerke des Abends
Beim vom Jazz und den Roaring Twenties inspirierten G-Dur-Klavierkonzert von Maurice Ravel war Alondra de la Parra bei der Staatsphilharmonie das aktive Bindeglied im vielschichtig und manchmal augenzwinkernd witzig angelegten Dialog zwischen Orchester und der jungen Pianistin Elisabeth Brauß.
Letztere beeindruckte durch musikalische Eloquenz in den vielfältigen Ausdrucksfacetten. Im Adagio assai formulierte sie ihre als Solo beginnende Melodie als raffiniert schillernden Kontrast aus Fließen und Stocken. Dieser noch jungen Pianistin (Jahrgang 1995), die einen wichtigen Teil ihrer Ausbildung bei Elena Levit, der Mutter von Igor Levit, absolvierte, ist eine große Karriere zu wünschen.
De la Parra animierte die Staatsphilharmonie mit dirigentischer Präzision und viel Körpereinsatz zu entschlossenen Steigerungen. Das Meisterstück gelang ihr mit Antonin Dvoraks 9. Sinfonie, diesem raffinierten Brückenschlag zwischen altem Europa und Neuer Welt. Der beliebte Dauergast in den Konzertsälen entwickelte unter de la Parra bereits im Kopfsatz einen mitreißender Sog im musikalischen Breitwandformat.
Das Largo wurde zu einer berührenden Feier romantisch getränkter Wehmut. Perkussion und Bläser trieben das Scherzo an, bevor das Allegro con fuoco die Themen der Sinfonie zu einem kantig-rasanten, aber immer wieder auch freudvoll leuchtenden Finale in großer musikalischer Dramatik bündelte. Dafür gab es viel Applaus und sogar Standing Ovation, Alondra de la Parra würde man hier in Nürnberg gerne wiedersehen.
Rachmaninows 2. Sinfonie ist ein Romantikknüller. 1908 entstanden, als eigentlich schon die musikalische Moderne auf dem Programm stand, schlägt sie nochmals den Bogen in eine ungebrochene, opulent und raffiniert instrumentierte Romantik russischer Prägung.
Die Symphoniker zeichneten sich durch satten Streicherklang und klangrhetorische Sicherheit in allen romantischen Gemütslagen aus. Technisch Schwieriges, wie gleichbleibend druckvoll und zugleich langsam gesteigerte Crescendi, gelingen ihnen fast mühelos, wenn dann auch mal eine Generalpause im Adagio eher wirkt wie ein Sammelpunkt. Geschenkt, das schmälert nicht die überzeugende Orchesterleistung.
Man kann hier einzig Werkkritik betreiben, weil dieser Sinfonie dann doch ein bisschen die dramaturgische Grundidee und der rote Faden fehlen. Die Klangschönheit aber entfalteten die Symphoniker überzeugend - und man konnte dabei überlegen, wie viele Motive dieses Werks schon als Filmmusik in Hollywood-Schmonzetten verwendet wurden. Viel Applaus und Sympathiebekundungen zum Schluss, man merkte, Orchester und Publikum freuen sich gleichermaßen, nach den Coronaentbehrungen der letzten Monate einander wieder zu begegnen.
Fazit: Die Staatsphilharmonie hatte an diesem Wochenende die spannenderen sinfonischen Hauptwerke.
Ausflüge in exotische Klangwelten
Trotz geringer Probenzeit funktionierte die Kommunikation zwischen Alondra de la Parra und der Staatsphilharmonie bei der einleitenden „Sinfonia India“ von Carlos Chavez bestens, verdichtete sich das Werk aus der mexikanischen Heimat de la Parras, dessen Sinfonik auf der Basis indigener Musik entwickelt wird, zu klangmagischer Wirkung.
Bei den Symphonikern war Kahchun Wong das souveräne Zentrum des Geschehens beim Raumklang-Konzert „Fire Ritual“ des chinesischen Komponisten Tan Dun. Das ist ein wild ausgreifendes Werk, das in einem immer wieder schrill maschinenhaft stampfenden Bühnenorchester gegen ein Zweitorchester aus neun im Parkett verteilten Bläsern nichts weniger gegeneinander stellt, als die „Menschheit“ gegen „Mutter Natur“ und den Opfern aller Kriege gewidmet ist.
Dazwischen mäandert der taiwanesische Geiger Paul Huang als „Prophet“ erst durchs Parkett, bevor er die Bühne entert, und erzeugt mit seiner Geige, Liege- und Sirenentöne ebenso wie Schmerzens- und Sehnsuchtslaute. Emotional fordernd, technisch verblüffend.
Kahchun Wong nimmt nach dem Willen des Komponisten die Rolle des „Schamanen“ ein und hat das Ritual zu steuern. Nicht nur dirigentisch, sondern auch mal vokal mit Ausrufen. Während sein Orchester selbst das Umblättern der Noten zu einem Klangereignis macht.
„Fire Ritual“ überzeugt als gut halbstündiges Klangspektakel mit transzendentem Welterlösungsanspruch. In seinem symbolischen Überbau typisch fernöstlich, aber sicher auch von der Kunstreligion eines „Parsifal“ inspiriert.
Fazit: Die „Sinfonia India“ ist ein spannendes Werk, aber mit „Fire Ritual“ hatten die Symphoniker eindeutig das größere Spektakel auf ihrer Seite.
Die Stimmung in Saal
In beiden Konzerten galt die 3G-Regel, doch die Staatsphilharmonie konnte alle Plätze besetzen, bei durchgehender Maskenpflicht. Die Symphoniker ließen Abstände zwischen den Sitzenden, es durften nur maximal 700 Leute rein, dafür konnten die Masken während des Konzerts abgenommen werden.
Da auch beim Philharmonischen Konzert etwas ein Drittel der Sitzreihen weggelassen wurden, war der Unterschied vom Saal-Feeling bei beiden nicht ausverkauften nicht so groß. Wohl aber in den Pausen.
Beim Philharmonischen Konzert gab es eine solche gar nicht, sondern nur Sitz-Umbaupausen. Und damit auch keine Pausengastronomie. Anders bei den Symphonikern: Dort konnte man vorbestellen und durfte in der Pause dann an zugewiesenen Tischen verzehren. Wie sich diese Unterschiede begründen, wissen vermutlich nur die Götter des Sicherheitskonzepts der Meistersingerhalle.
Fazit: Unentschieden, denn es zählte an beiden Abenden, was im Konzert passierte. Und dort gab es, auf jeweils eigene Weise, packende Musik. Genau das richtige Signal für einen Saisonauftakt nach schwierigen Zeiten. Und den meisterten beide Orchester in der nicht nur momentan schwierig zu bespielenden Meistersingerhalle bravourös.
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