Das mag sein, sagt Walter Krämer, aber nicht alles, was möglich ist, ist auch gleich richtig. Mit der Ankündigung, mehr als 12 000 Personen- und Berufsbezeichnungen mit weiblicher und männlicher Form in die Netz-Version des Werkes aufzunehmen, betreibe der Duden "eine problematische Zwangssexualisierung", die in der deutschen Sprache so nicht vorgesehen sei. Denn: Das biologische Geschlecht (Sexus) dürfe man keinesfalls mit dem grammatikalischen Geschlecht (Genus) gleichsetzen.
CSU steht einer geschlechtergerechten Sprache skeptisch gegenüber
"Der Engel" etwa ist, obwohl noch niemand ihn gesehen hat, mit Sicherheit geschlechtslos; "der Scherzkeks" kann auch eine Frau sein, man muss sie nicht "Keksin" nennen. Noch irrwitziger, finden die Verteidiger der "alten" Sprache, werde das Vorgehen des Dudens beim Plural: "die Ärztekammer" vertritt Ärztinnen und Ärzte gleichermaßen, ebenso wie das Finanzamt Geld vom "Steuerzahler" einzieht – unabhängig vom Geschlecht. Walter Krämer macht nur ein auch für ihn längst unabdingbares Zugeständnis: "Wenn wir konkrete Personen ansprechen, sagen wir selbstverständlich ‚Ärztin‘ oder ‚Lehrerin‘."
Die Linguistik-Professorin Helga Kotthoff findet, dass mit derartiger Kritik "über das Ziel hinausgeschossen wird." Es sei nun einmal nachgewiesen, dass ein Text, der sich von oben bis unten um "den Lehrer" drehe, das Maskuline verstärke: "Es kann uns doch niemand erzählen, dass dann vor dem inneren Auge eine Lehrerin auftaucht." Ihr pflichtet der Wissenschaftler Anatol Stefanowitsch bei, wenn er sagt, die Bewahrer wollten "mit Vollgas zurück in die Vergangenheit", den ganzen VDS als "reaktionär" einstuft und ihm gar "Anschluss an rechtspopulistische Diskussionen" vorwirft. Verdiente sprachsensible Stilisten vom alten Schlag wie Wolf Schneider ("Deutsch für Kenner") dagegen halten alle gendergerechten Anstrengungen schlichtweg für eine "Verhohnepiepelung der deutschen Sprache."
"Frau Doktor Friedrich Müller"
Diese Sprache hat es in den letzten Jahrhunderten weit gebracht. Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich eine (auch nicht promovierte) Gattin darüber mokierte, wenn man sie nicht mit dem Namen ihres Mannes ansprach: "Frau Doktor Friedrich Müller" etwa, und auf dem Türschild meiner Eltern stand noch im vergangenen Jahrhundert "Fam. Hermann Noack". Vieles änderte sich stillschweigend, automatisch, weil es augenscheinlich nicht unbedingt ans Diskriminierende, gehörig jedoch ans Absurde grenzte.
Sprache ist flexibel, passt sich neuen Verhältnissen an. Als Alltagsmittel reagiert sie von sich aus, ohne dass man ihr Vorschriften macht. Sie kann ausgleichend und entrümpelnd wirken – "Fräulein" kommt heute nur noch literarisch vor. Sie neigt aber auch dazu, sich selber zu verleugnen, zu verstümmeln: Die fragmentarischen Sätze mit ihren Geheimausdrücken, die Jugendliche heute verwenden, sind der stotternden SMS-"Kultur" geschuldet. Goethe hatte wohl Recht: "Nicht die Sprache an und für sich ist richtig, tüchtig, zierlich, sondern der Geist ist es, der sich darin verkörpert."
Abschaffen aber lässt sie sich nun einmal nie. Also wird um sie gerungen, wenn auch nur der Verdacht aufkommt, ihr könnte etwas zuleide getan werden. Bis hinauf in die obersten Justizetagen. "Mieter: Substantiv, maskulin – männliche Person, die etwas gemietet hat." So steht es im Duden – Frauen könnten demnach keine Mieter sein. Damit widerspreche das Regelwerk aber nicht nur den Regeln der deutschen Grammatik, meint der VDS, sondern auch dem Bundesgerichtshof, der im März 2018 letztinstanzlich festgehalten hätte, dass mit der Bezeichnung "der Kunde" Menschen jeglichen Geschlechts angesprochen seien. Die Beschwerde der Klägerin, die von ihrer Sparkasse mit "Kundin" angeredet werden wollte, wurde vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen.