Diskussion über Legalisierung
Oberarzt der Psychiatrie: Alkohol ist deutlich schlimmer als Cannabis
7.11.2021, 06:00 UhrHerr Lins, haben Sie schon mal gekifft?
Ein einziges Mal, das ist über 20 Jahre her. Es fühlte sich aber nicht angenehm an. Ich war total erschlagen, als ob man mir mit einem Hammer auf den Kopf gehauen hätte. Vielleicht wäre es nicht bei diesem einen Mal geblieben, falls die Erfahrung positiv gewesen wäre.
Die Ampelkoalition verfolgt den Plan, das Cannabis zu legalisieren. Finden Sie das gefährlich?
Aus medizinischer Sicht wird die Legalisierung wahrscheinlich keinen großen Unterschied machen. Wer Cannabis konsumieren möchte, tut es sowieso. Es gibt Statistiken aus Holland und den USA, die zeigen, dass der Konsum durch die Legalisierung beziehungsweise Entkriminalisierung nur leicht gestiegen ist. Wenn der Staat den Anbau kontrolliert, könnte es sogar einen positiven Effekt haben, weil der Stoff dann reiner ist. Viele Komplikationen durch Cannabis, etwa Psychosen, treten nicht nur, aber insbesondere durch die Verunreinigung auf dem Schwarzmarkt auf.
Glauben Sie, dass durch die Legalisierung weniger Patienten bei Ihnen vorstellig werden könnten?
Nein, weil sich die Zahl der Konsumenten wahrscheinlich kaum ändern wird. Die negativen Symptome, die wir hier beobachten, treten wie gesagt durch die Verunreinigung auf, und weil die Patienten viel konsumieren.
Was heißt „viel konsumieren“? Mehrere Joints pro Tag?
Bei einem Gramm Cannabis täglich würde ich die Schwelle setzen. Man weiß, dass dauerhafter Konsum einen negativen Effekt auf den IQ, die Konzentrationsfähigkeit und die Stimmung hat. Selbst wenn man mit dem Kiffen aufhört, kann es Wochen oder Monate dauern, bis die negativen Effekte ausbleiben.
Regelmäßiges Kiffen macht also dumm. Kann man das so sagen?
Ja. Man vermutet, dass negative Effekte bei Erstkonsumenten unter 13 Jahren, die dann regelmäßig kiffen, sich nicht mehr vollständig zurückbilden. Somit laufen gerade die ganz Jungen Gefahr, ihr geistiges Potenzial niemals voll ausschöpfen zu können.
Ist Cannabis eine Einstiegsdroge?
Dieses Argument wird von der CSU gebraucht, ist aber aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr haltbar. Heroinkonsumenten haben sehr häufig durch Cannabis und Alkohol mit dem Drogenkonsum angefangen. Das heißt aber nicht, dass sie durch das Cannabis zum Heroin geführt wurden. Ich sehe in der Klinik ja nur die Cannabiskonsumenten, die irgendwann beim Heroin gelandet sind. Die vielen Kiffer, die ausschließlich Cannabis konsumieren und dies gelegentlich, werden hier nicht vorstellig. Die Zwangsläufigkeit - erst Cannabis, dann das, dann das, dann das - gibt es nicht.
Der bloße Cannabiskonsum genügt aber schon, um strafrechtlich verfolgt zu werden.
Es ist ein Problem, dass Cannabiskonsumenten in die Mühlen der Justiz geraten. Gerade hier in Bayern, wo die Gesetzte deutlich schärfer als in den nördlichen Bundesländern angewandt werden. Ich habe Patienten kennengelernt, die mir erzählt haben, dass sie erstmalig wegen ein paar Gramm Cannabis verurteilt wurden. Dadurch sind sie aus ihrem Job rausgeflogen, auf die schiefe Bahn geraten, dann kam irgendwann das Heroin dazu. Dass ihr Leben letztendlich durch den Konsum von Cannabis zerstört worden ist, ist unverhältnismäßig.
Gibt es aus Ihrer Sicht auch positive Effekte durch Cannabiskonsum?
Der Konsum von Drogen ist eine menschliche Eigenschaft. Wir tun es schon immer. Die wenigsten trinken und rauchen nie, auch dabei handelt es sich um Drogen. Wenn jemand einmal pro Woche kifft, hat das wahrscheinlich keine großen negativen Konsequenzen für seine Gesundheit. Das Problem ist die Suchtentwicklung. Der positive Effekt ist der Rausch, weil er uns Spaß macht. Bei gewissen Schmerzformen und appetitanregender Wirkung z.B. bei Krebspatienten wirkt medizinisches Cannabis laut Studien. Es wird aber mittlerweile auch manchmal für Depressionen und ADHS eingesetzt, dieser Einsatz ist jedoch nicht durch die Datenlage gerechtfertigt. Deswegen würde ich es aktuell auch hierfür nicht verschreiben. Wenn mir ein Heroinabhängiger sagt, dass er Suchtdruck hatte, dann aber lieber einen Joint geraucht hat statt sich eine Spritze zu setzen, finde ich es gut. Um es aber deutlich zu sagen: Ich finde jegliche Art des Drogenkonsums nicht gut.
Wissen wir noch zu wenig über die Pflanze Cannabis?
Wir wissen noch zu wenig, wie es als Therapeutikum wirkt, ja. Es gibt verschiedene Hypothesen oder Annahmen, die Studien sind aber noch nicht aussagekräftig. Ich habe einen Patienten, der unter einer Depression leidet. Er sagt, das auf Amphetamin basierende Medikament habe ihn aggressiv gemacht. Mit Cannabis, das er jetzt von einem anderen Arzt verschrieben bekommt, gehe es ihm super. Das kann aber auch ein Placeboeffekt sein.
Weil der Patient Lust hat, zu kiffen.
Das möchte ich ihm gar nicht unterstellen. Es geht mehr um die Annahme, dass es sich um nichts Chemisches handelt, dass Cannabis nicht aus einer großen Fabrik kommt. Deshalb wird es von manchen Menschen dann lieber genommen als herkömmliche Tabletten.
Wer kifft, behauptet gerne, Cannabis sei nicht so schädlich wie Alkohol. Stimmt das?
Schlimmer ist auf jeden Fall das Nervengift Alkohol. Es greift nicht nur Leber und Gehirn an, sondern kann auch den Rachen schädigen. Alkoholentzug kann sogar lebensbedrohlich sein. Cannabis ist für den Körper, bis auf das Gehirn, harmlos.
Kommen wir zu Ihrer Arbeit in der Klinik. Haben Sie Patienten in Behandlung, deren Probleme tatsächlich auf den Cannabiskonsum zurückzuführen sind?
Wir haben Patienten, die zu uns gekommen sind, weil sie ihrer Ansicht nach zu viel kiffen und davon wegkommen wollen. Die größte Gefahr ist, eine Psychose zu entwickeln, wenn etwa der THC-Gehalt der Pflanze, die konsumiert wurde, sehr hoch ist. Es ist für den Konsumenten oft schwer abzuschätzen, um welches Cannabis es sich handelt. In den meisten Fällen aber war aber die psychische Erkrankung schon vorher da und der Cannabiskonsum war der Versuch, die Erkrankung zu betäuben.
Das hört sich danach an, als würden Menschen versuchen, ihr bereits existierendes Problem mit Cannabis zu bekämpfen.
Das ist bei Alkohol auch so. Sedierende Drogen werden vor allem in Zuständen genommen, in denen man mit der Welt nicht mehr klarkommt und Betäubung möchte. Dadurch wird das Problem aber nur überdeckt. Und wenn man dann nicht mehr von der Droge loskommt, kommt zum eigentlichen Problem noch die Abhängigkeit dazu. Erfolgversprechender ist, wenn man sich dem Problem gleich stellt, beispielsweise mit Angeboten aus der Sozialarbeit oder einer Therapie.
Muss jemand, dessen Cannabiskonsum problematisch war, nach dem Entzug trocken bleiben wie ein Alkoholiker?
Es gibt auch Alkoholiker, die irgendwann wieder kontrolliert trinken können. Die Gefahr, durch einen Schluck Alkohol wieder in die Abhängigkeit zu geraten, ist aber verdammt hoch. Daher lautet der medizinische Ratschlag: lieber abstinent bleiben. Bei Cannabis ist es auch so.
Wie führt man einen Dauerkiffer zurück in ein Leben ohne Cannabis?
Indem man analysiert, warum er gekifft hat. Man muss das eigentliche Problem herausarbeiten. Der nächste Schritt ist der körperliche Entzug. Das kann mehrere Wochen dauern und Unruhezustände mit sich bringen, die überwunden werden müssen. Nach dem körperlichen Entzug geht es darum, Strategien zu entwickeln, wie der Betroffene mit dem eigentlichen Problem anders umgehen kann. Hierfür gibt es auch in Erlangen Selbsthilfegruppen und Suchtberatungsstellen. Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihren Alltag zu bewältigen, kann zusätzlich eine Betreuung zur Seite gestellt werden.
Herr Lins, würden Sie noch mal einen Joint rauchen, falls es zur Legalisierung kommt?
Nein, ich denke nicht.
Zum Abschluss eine Frage, die wir allen Gesprächspartnern in dieser Serie stellen: Legalisierung von Cannabis - ja oder nein?
Ich bin für jegliche politische Maßnahme, die den Cannabiskonsum reduziert, nur scheint ein Verbot diesen Zweck nicht zu erfüllen und eine Legalisierung dem nicht sonderlich abträglich zu sein. Insofern fehlen mir aus heutiger Sicht die Argumente für ein Verbot und somit wäre eine Legalisierung die logische Konsequenz. Zu ihrer Frage: Wenn wir es mit einem Pendel vergleichen, dann schlägt es eher zur Ja-Seite aus.
Dr. Stephan Lins (40) leitet die Substitutionsambulanz der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen. Er ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und stammt aus Berlin.