Zu wenig Schutz
Queere Geflüchtete: Warum viele auch in Deutschland ihre Identität verbergen müssen
12.10.2024, 05:00 UhrTafari ist auf einer queeren Party. Sie ist privat - und findet im Geheimen statt. Als er durch ein offenes Fenster Geschrei hört, rennt er nach außen und sieht, wie ein Freund angegriffen wird. Jemand erwischt auch Tafari, hält ihn am Arm fest. Er windet sich aus der Jacke und rennt. Auch sein Freund entkommt. Sie verbringen die Nacht in dessen Wohnung, haben Angst, doch noch von den Angreifern gefunden zu werden. Am Morgen geht Tafari nach Hause. Als sein Vater ihn sieht, nimmt er einen Stuhl und schlägt zu. Er bricht Tafari die Hand. "Du bist dreckig, du bist nicht mein Sohn." Er hat durch den Vorfall auf der queeren Party von der sexuellen Orientierung seines Sohns erfahren.
So erzählt Tafari es unserer Redaktion. Er heißt eigentlich anders. Um ihn zu schützen, haben wir ihm für diesen Artikel einen anderen Namen gegeben. Er ist homosexuell und deswegen vor etwa einem Jahr aus Äthiopien nach Deutschland gekommen. Homosexuelle Handlungen sind dort illegal und können mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Nicht nur rechtlich werden queere Menschen in Äthiopien verfolgt, auch die Gesellschaft akzeptiert ist Homosexualität nicht. Queere Personen werden auf der Straße angegriffen und von ihren Mitmenschen bei der Polizei gemeldet.
Und von ihrem eigenen Vater geschlagen. So wie Tafari. Nach dem Angriff fällt er in ein Loch, er geht seinem Vater aus dem Weg, isst allein, kann seine queeren Freunde nicht treffen. Nur in die Arbeit traut er sich noch. "Ich habe zu viel getrunken in der Zeit. Ich habe überlegt, mich umzubringen. Ich wollte nur noch sterben", sagt er.
Angst am Amt
Schließlich entscheidet sich der 23-Jährige dazu, zu seiner Tante in die Schweiz zu gehen. Doch auch bei ihr und ihrem Mann erlebt er Anfeindungen, wird wieder beleidigt. "Aber ich konnte auch nicht zurück", sagt Tafari. "Ich hatte Angst, dass mein Vater mich umbringt oder die Regierung mich erwischt und ins Gefängnis steckt." Also entscheidet er sich dafür, Asyl in Deutschland zu beantragen.
Inzwischen lebt er in einer Unterkunft für Geflüchtete in Regensburg. Doch Angst hat er noch immer. Vor den anderen Geflüchteten in der Unterkunft, vor den Securitys, davor, seine Identität zu offenbaren. Auch im Interview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erzählt er nicht, dass er schwul ist.
Das ist nicht ungewöhnlich, sagt Bettina Degen, Flüchtlings- und Integrationsberaterin bei Fliederlich e.V. in Nürnberg. Der Verein setzt sich unter anderem für queere Geflüchtete ein und berät sie. "Viele verbergen ihre Identität, weil sie Angst haben, auch hier Gewalt zu erfahren, wenn sie sich outen." Menschen, die wegen ihrer queeren Identität geflüchtet sind, hätten ihr Leben lang Angst gehabt, dass sie geoutet werden. Viele würden sich daher nicht trauen, das am Amt zu erzählen.
Das kann aber schwerwiegende Folgen haben: "Viele werden dann abgeschoben, obwohl es eigentlich einen triftigen Grund für Asyl gäbe. Weil sie wegen ihrer Identität politisch verfolgt werden", sagt Degen.
Zu wenige Unterkünfte für queere Geflüchtete
Doch auch in Deutschland haben queere Geflüchtete weiter Probleme. Schließlich sind sie hier erstmal in Unterkünften "mit denselben Leuten, vor denen sie geflohen sind", erklärt die 34-Jährige. "Das ist eine ganz explosive Mischung mit viel Gewaltpotential." Wenn in einer Unterkunft herauskomme, dass jemand einer Minderheit angehört, die von Menschen dort sowieso schonzum Teil diskriminiert werde, könne das für queere Geflüchtete schnell gefährlich werden.
Auch Tafari fühlt sich in seiner Unterkunft nicht wohl. Er hat Angst vor dem Sicherheitspersonal und hält sich bewusst von Äthiopiern fern. Die Tür zu seinem Zimmer hält er verschlossen, geht vormittags zum Deutschkurs, nachmittags in die Arbeit. Er würde gerne nach Nürnberg wechseln, in eine Unterkunft für queere Menschen. Doch das geht nicht.
Eine Zeit lang war das möglich. "Aber die Regierung Mittelfranken und auch die Stadt Nürnberg haben irgendwann gesagt: Wir können einfach nicht mehr alle Leute aus ganz Bayern aufnehmen", sagt Bettina Degen. Die Stadt Nürnberg nehme sowieso schon mehr Geflüchtete auf als sie müsste. Und die Regierung von Mittelfranken sei stolz, dass man Unterkünfte für queere Geflüchtete anbietet. Es sei aber eben auch die Aufgabe der anderen Regierungsbezirke, das Gleiche zu tun. "Das ist aber auch sehr schwer für die Menschen, die wir dann ablehnen müssen", sagt Degen. Menschen wie Tafari. "Auf systematischer Ebene verstehe ich das", so die Integrationsberaterin, "Das wird aber leider auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen."
Denn obwohl die Regierung von Mittelfranken hofft, Druck auf die anderen Bezirke aufzubauen, sieht es dort noch "eher düster" aus. In wenigen Städten wie beispielsweise Würzburg gebe es ein paar wenige Plätze, sagt Degen. Besonders in Schwaben, wo die großen Ankerzentren in Augsburg und Ulm sind, wo eine Unterkunft für queere Geflüchtete besonders wichtig sei, gebe es nichts. Bis Anfang nächsten Jahres wird es in Nürnberg dagegen etwa 140 Plätze geben, aktuell sind es schon über 50.
"Laut sein und Hilfe suchen"
Wenn sich bei Bettina Degen Geflüchtete melden, die sie nicht aufnehmen kann, stellt sie den Kontakt zu Sozialdiensten vor Ort her und leistet am Telefon die meist nötige Aufklärungsarbeit. Sie versucht zu vermitteln und den Geflüchteten aus der Ferne zu helfen. Aufnehmen kann sie diese in Nürnberg aber nicht. Und das Problem bleibt: Es gibt viel zu wenige Unterkünfte für queere Geflüchtete in Bayern.
Deshalb rät sie queeren Menschen, die sich in den Geflüchtetenunterkünften nicht wohlfühlen oder dort Gewalt und Anfeindungen erleben: "Laut sein und Hilfe suchen." Es sei wichtig, nicht nachzulassen, von den Problemen zu erzählen, Netzwerke zu knüpfen und Unterstützungsangebote, zum Beispiel queere Vereine, vor Ort zu finden. "Möglichst viele Menschen müssen so vielen Stellen wie möglich erzählen, dass etwas schiefläuft. Damit das präsent ist, damit ein Bewusstsein dafür geschaffen wird", sagt Degen.
Und Tafari gibt nicht auf. Eine Arbeitserlaubnis hat der 23-Jährige schon, einen Deutschkurs besucht er bereits. Auf sein Asyl wartet er noch, bei seinem nächsten Interview beim Bamf will er mutig sein. "Ich werde ihnen alles erzählen, was in meinem Leben passiert ist." Vielleicht kann er sich dann bald wieder sicher fühlen. Bis dahin wird es aber ein Kampf sein. Ein Kampf, den nicht nur Tafari mit zu wenig Unterstützung kämpfen muss.
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