Skurrile Forschung

33 Jahre Ig-Nobelpreis: War Michail Gorbatschow wirklich der Antichrist?

Christian Urban

Redakteur - nordbayern.de

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9.9.2024, 05:00 Uhr
Der damalige US-Präsident Ronald Reagan (r) und der damalige sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow unterzeichnen den INF-Vertrag zur Vernichtung der atomaren Mittelstreckenraketen.

© Photoreporters/Photoreporters/dpa Der damalige US-Präsident Ronald Reagan (r) und der damalige sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow unterzeichnen den INF-Vertrag zur Vernichtung der atomaren Mittelstreckenraketen.

Er ist die höchste Auszeichnung, die einem Menschen im wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Kontext verliehen werden kann: der Nobelpreis. Gestiftet vom schwedischen Erfinder und Industrielle Alfred Nobel, geht die Auszeichnung einmal pro Jahr an herausragende Forscher oder Persönlichkeiten wie Marie Curie (Chemie, 1911), Albert Einstein (Physik, 1921), Ernest Hemingway (Literatur, 1954) oder Martin Luther King (Friedensnobelpreis, 1964). Gemein haben die Preise, dass die Verleihung eine eher trockene Angelegenheit ist und die ausgezeichneten Forschungen besonders in den Bereichen Physik oder Chemie für Laien meist - zurückhaltend formuliert - nicht unbedingt leicht zu verstehen ist.

Dass es auch anders sein kann, zeigt eine Auszeichnung, die seit 1991 existiert: In besagtem Jahr wurden zum ersten Mal in der Geschichte von der in Cambridge erscheinenden Zeitschrift "Annals of Improbable Research" die Ig-Nobelpreise vergeben. Die Preise - es handelt sich um ein Wortspiel aus "Nobel" und "ignoble" (englisch für "unwürdig") - sind eine satirische Auszeichnung für wissenschaftliche Leistungen, die Menschen "zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen".

Die Preisverleihung, bei der die Geehrten stets mit Unmengen an Papierfliegern beworfen werden, findet im Normalfall kurz vor der Bekanntgabe der Nobelpreis-Empfänger statt - in diesem Jahr am 12. September. Ort der Zeremonie war von 1991 bis 2011 das Massachusetts Institute of Technology (MIT), 2012 löste die Harvard-Universität das MIT ab. Doch wofür bekommt man eigentlich den Ig-Nobelpreis überhaupt?

Teilweise wird die Auszeichnung rein satirisch verliehen, so beispielsweise 1991 an Edward Teller, besser bekannt als "Vater der Wasserstoffbombe". Er erhielt den Friedens-Ig-Nobelpreis für "seinen lebenslangen Einsatz, die Bedeutung des Wortes ‚Frieden‘ zu verändern." Ebenso unerfreut gewesen sein dürfte der Banker Michael Milken, der im gleichen Jahr den Wirtschafts-Ig-Nobelpreis erhielt: Milken ist auch bekannt als "König der Junk Bonds" (Ramsch-Anleihen).

Andere ausgezeichnete Forschungen wiederum brachten einen echten Erkenntnisgewinn im Alltag mit sich. Der Physiker Robert Matthews beantwortete beispielsweise eine Frage, die sich vermutlich schon viele Menschen gestellt haben: Warum fällt Toast irgendwie immer auf die bestrichene Seite?

Durch Experimente stellte Matthews fest, dass Toast, der von einem Tisch fällt, in 62 Prozent aller Fälle tatsächlich auf der bestrichenen Seite landet, was an einem einfachen Grund liegt: Durch die durchschnittliche Höhe eines Esstischs hat ein fallender Toast oft keine Zeit für eine Rotation um 360 Grad. Für 180 Grad reicht die Zeit des Fallens allerdings problemlos - also landet Toast tatsächlich häufiger mit der Butter- oder Marmeladenseite auf dem Boden. Das war 1996 den Ig-Nobelpreis für Physik wert.

Apropos Toast: Um das Röstbrot ging es auch später noch einmal. 2014 erhielten Jiangang Liu, Jun Li, Lu Feng, Ling Li, Jie Tian und Kang Lee den Ig-Nobelpreis im Bereich Neurowissenschaften - für ihren Versuch, zu verstehen, was im Gehirn von Menschen passiert, die das Gesicht Jesu auf einem Toast sehen.

Und sonst so?

Und auch sonst ist die Liste der ausgezeichneten Forschungen reich an Skurrilitäten. Mehrmals stand dabei das männliche Geschlechtsorgan im Mittelpunkt: Michael L. Smith wurde 2015 im Bereich Physiologie und Entomologie für seine Untersuchungen ausgezeichnet, wo Bienenstiche besonders schmerzhaft sind (Nasenloch, Oberlippe und Penisschaft). Jerald Bain und Kerry Siminoski erhielten 1998 den Preis für Statistik, weil sie den Zusammenhang zwischen Körpergröße, Penislänge und Schuhgröße untersuchten - und James F. Nolan, Thomas J. Stillwell und John P. Sands, Jr. bekamen 1993 den Preis für Medizin wegen ihrer Forschungsarbeit "Akutes Management von in Reißverschlüssen eingeklemmtem Penis".

Auch Frauen waren Forschungsgegenstand: George und Charlotte Blonsky hatten die großartige Idee, Geburten durch Fliehkräfte zu erleichtern, indem sie die gebärenden Frauen auf einen Tisch schnallen und diesen dann schnell rotieren lassen. Für die Entwicklung und Patentierung einer entsprechenden Apparatur erhielten die beiden 1999 die Auszeichnung im Bereich Apparatemedizin.

Weitere Highlights ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit:

1994 ging der Preis im Bereich Medizin unter anderem an einen anonymen ehemaligen US-Marine, der von einer Klapperschlange gebissen worden war und sich selbst zu behandeln versuchte, indem er ein Starterkabel an seine Lippen klemmte und den zugehörigen Automotor fünf Minuten lang bei 3000/min laufen ließ.

1993 erhielt Robert W. Faid den Mathematik-Ig-Nobel-Preis, weil er berechnet hatte, dass Michail Gorbatschow mit einer Wahrscheinlichkeit von 710.609.175.188.282.000 zu 1 der Antichrist war.

Ein Jahr später hatte die Auszeichnung im Bereich Mathematik dann gleich wieder etwas mit dem Teufel zu tun: 1994 wurde die Southern Baptist Church von Alabama mit dem Preis belohnt, weil sie exakt errechnet hatte, wie viele Prozent der Einwohner bestimmter Bezirke des Staates zur Hölle fahren werden, wenn sie nicht für ihre Sünden büßen.

1996 schaffte George Goble das Kunststück, einen Holzkohlegrill mit Hilfe von flüssigem Sauerstoff innerhalb von drei Sekunden zu entzünden, was nicht nur Weltrekord war, sondern ihm auch noch den Chemie-Ig-Nobelpreis verschaffte.

Nützlich für den Winter: 1997 erhielten Carl J. Charnetski, Francis X. Brennan, Jr. und James F. Harrison den Preis im Bereich Medizin, weil sie feststellten, dass Fahrstuhlmusik Erkältungen vorbeugen kann, weil sie die Bildung von Immunglobulin A (IgA) anregt.

1998 ging der Biologie-Ig-Nobelpreis an Peter Fong, der das Wohlbefinden von Muscheln steigerte, indem er ihnen Antidepressiva gab.

Im Bereich "Interdisziplinäre Forschung" wurden 2003 Stefano Ghirlanda, Liselotte Jansson und Magnus Enquist von der Uni Stockholm für ihren Bericht "Hühner bevorzugen schöne Menschen" ausgezeichnet.

Geradezu bahnbrechend waren die Erkenntnisse, die 2007 im Bereich der Linguistik an ein Team der Uni Barcelona verliehen wurde - für den Beweis, dass Ratten eine Person, die japanisch rückwärts spricht, nicht von einer Person unterscheiden können, die niederländisch rückwärts spricht.

Ebenfalls bahnbrechend und sicherlich auch auf andere Städte übertragbar wäre die Leistung des Bürgermeisters von Vilnius (Litauen), der 2011 mit dem Friedens-Ig-Nobelpreis ausgezeichnet wurde - für den Nachweis, dass man Probleme mit illegal geparkten Luxusautos lösen kann, indem man sie mit einem Panzer überrollt.

Eine mit dem Ig-Nobelpreis ausgezeichnete Forschungsarbeit hat es sogar - nicht zuletzt im Zusammenhang mit Donald Trump - in den normalen Sprachgebrauch geschafft: David Dunning (Cornell University) und Justin Kruger (University of Illinois) erhielten im Jahr 2000 den Preis im Bereich Psychologie für ihre Arbeit, "Ungebildet und ahnungslos davon. Wie Schwierigkeiten, die eigene Inkompetenz wahrzunehmen, zu übersteigerter Selbsteinschätzung führen." Der beschriebene Mechanismus ist mittlerweile auch bekannt als Dunning-Kruger-Effekt.