Hausärzte melden sich von Impfkampagne ab

"Aggressive Stimmung": Erste Hausärzte stoppen das Impfen wieder

Marina Hochholzner

nordbayern.de

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18.5.2021, 10:14 Uhr
In NRW haben die ersten Hausärzte die Impfungen bereits wieder gestoppt, da ihre Mitarbeiter überfordert sind und sie sich mit teils aggressiven Impfwilligen auseinander setzen müssen.

© Christoph Schmidt, dpa In NRW haben die ersten Hausärzte die Impfungen bereits wieder gestoppt, da ihre Mitarbeiter überfordert sind und sie sich mit teils aggressiven Impfwilligen auseinander setzen müssen.

"Eine Aufhebung der Priorisierung würde einen Ansturm auf die Praxen auslösen, und angesichts des knappen Impfstoffes würde das zu einer weiteren Frustration bei allen Beteiligten führen", sagte Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein, RP Online. Seine Kollegen in Nordrhein-Westfalen schauen zur Zeit besorgt nach Bayern oder Baden-Württemberg, denn dort wird ab Donnerstag die Impfpriorisierung aufgehoben.

Deshalb raten sie nun ab, diesen Schritt auch in ihrem Bundesland zu gehen. "Wir erleben schon heute eine extrem aggressive Stimmung bei der Impfstoffnachfrage", warnt Funken. Die Belastung für die Hausärzte ist auch so schon groß genug: Er berichtet von heißlaufenden Telefonen in den Praxen, von zunehmenden Schwierigkeiten bei der Regelversorgung der Patienten, und von einer gefährlichen, daraus resultierenden Entwicklung: "Zahlreiche Hausarztpraxen melden sich vom Impfsystem wieder ab." Das würde die Hausärzte in einen inneren Konflikt bringen, denn natürlich wolle man der Bevölkerung helfen, aber man müsse auch das Wohl der Beschäftigten im Blick behalten. Und auch den Fortbestand der Praxis.

"Es kann nicht sein, dass die Mitarbeiter angesichts der chaotischen Situation in die innere Kündigung (Anm. d. Red.: bewusste Senkung der eigenen Leistung) gehen, weil sie mit diesem Massenansturm nicht klarkommen", warnte er. Er verwies außerdem auf ein weiteres Problem, das viele Politiker und Patienten im Moment gar nicht bedenken: "In den Sommermonaten werden wir noch einmal Engpässe erleben, denn natürlich müssen auch Ärzte und medizinisches Personal irgendwann mal Urlaub machen – erst recht, wenn sie sich in einem Ausnahmejahr wie diesen befinden." Man müsse davon ausgehen, dass 30 Prozent der Arztpraxen in den Sommerferien ein oder zwei Wochen schließen.

Spahn "kapituliert vor Alleingängen der Ministerpräsidenten"

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte inzwischen an, die Impfpriorisierung am 7. Juni bundesweit aufheben zu wollen. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, sieht das kritisch: "Nicht ein Datum darf das Ende der ethischen Reihenfolge bei der Impfung bestimmen. Allein der Impffortschritt in den drei Prioritätsgruppen muss der Maßstab für das Ende der Priorisierung sein", äußerte er sich gegenüber RP Online.

Dabei warf er Spahn vor, dass er vor den Alleingängen der Ministerpräsidenten kapitulieren würde. Für Brysch war es ein Fehler, dass nicht der Bundestag einheitliche Regeln für das weitere Vorgehen bei den Impfungen festgesetzt hat. Denn wenn im Herbst die notwendige Auffrischungsimpfung für wenigstens 60 Millionen Menschen kommt, sind bis dahin alle ethischen Leitplanken demoliert. "Dann regierten die Starken und Schnellen", warnte er.

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