Neuerscheinung

Detektiv-Fans aufgepasst: Ist das der neue Sherlock Homes?

Benedikt Dirrigl

Redakteur

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22.04.2025, 11:40 Uhr
„Der Tote in der Crown Row“ von Sally Smith: Das Debüt von Sir Gabriel Ward.

© Benedikt Dirrigl „Der Tote in der Crown Row“ von Sally Smith: Das Debüt von Sir Gabriel Ward.

Detektive mit scheinbar übersinnlichen Fähigkeiten haben uns immer wieder fasziniert, seien es die klassischen Gentleman-Detektive wie Sherlock Holmes oder Hercule Poirot oder auch moderne Adaptionen in Film und Fernsehen, wie Patrick Jane in „The Mentalist“ oder Dr. Gregory House, der in „Dr. House“ medizinische statt kriminalistische Rätsel löste. Was sie alle gemeinsam haben? Ein überdurchschnittliches Gespür für Details und eine außergewöhnliche Auffassungsgabe.

In „Der Tote in der Crown Row“ von Sally Smith betritt nun ein neuer Gentleman-Detektiv die Bühne. Wer ist Sir Gabriel Ward? Kann er sich bei Holmes, Poirot und Co einreihen oder ist er nur der Abklatsch eines Genres von gestern?

„Der Tote in der Crown Row“: Sir Gabriel Wards erster Fall

Vorweg: nein. Sir Gabriel Ward ist kein Abklatsch. Zwar ist er auch ein Gentleman um die Jahrhundertwende in England, doch gibt es einige deutliche Unterschiede zu den Kollegen Holmes und Poirot. Allen voran ist Ward ein Detektiv wider Willen.

Tatsächlich ist Sir Gabriel Ward Kronanwalt. Er lebt in Temple, einem gesonderten Viertel in London, das wichtige juristische Institutionen beherbergt. Temple hat eigene Regeln und eine eigene Polizei, nämlich die Pförtner, die die Herren über die Tore von Temple sind und genau beachten, wer das Viertel betritt und wer es verlässt. Da verwundert es nicht, dass der Schatzmeister und Präsident des Inner Temple nicht einfach die Londoner Polizei ermitteln lassen will, als sich ein schreckliches Verbrechen im so sicher geglaubten Temple ereignet: Der Lordoberrichter Norman Dunning wird auf offener Straße erstochen.

Sir Gabriel ist für seinen analytischen Verstand und sein unglaubliches Wissen in juristischen Fragen bekannt. Außerdem hat er ein wasserdichtes Alibi, mehrere Personen haben ihn zur Tatzeit durch das Fenster seiner Wohnung am King‘s Bench Walk gesehen. Und so fällt die Wahl auf ihn, der doch eigentlich mit seinen Fällen beschäftigt ist und seine begrenzte Freizeit ausschließlich in festen Routinen verbringt. Bevor die Londoner Polizei in Temple ermitteln darf, soll zunächst Sir Gabriel Ward einige Befragungen durchführen. Dazu wird ihm der junge Constable Maurice Wright zur Seite gestellt, der Ward bereits durch seine fortschrittlichen Methoden positiv aufgefallen ist.

Damit ist im Grunde das Ermittlergespann des klassischen Detektivromans gegeben. Doch hier entwickelt sich die Dynamik anders. Anstatt eines unwissenden Sidekicks, der für uns Nachfragen stellt, wenn wir nicht mit dem genialen Meisterdetektiv mitkommen, ist Maurice Wright ein eigenständiger Part, der eigene Ermittlungen außerhalb des Temple durchführt, den Ward nur ungern verlässt. Auch entspricht Sir Gabriel Ward nicht dem Bild des hochgelobten Meisterdetektivs, der scheinbar mühelos kombiniert und die Fakten in die richtige Reihenfolge bringt.

Ward ist Anfänger als Detektiv und gibt das auch zu. Er nutzt aber seine Fähigkeiten als Anwalt, um in seinen Befragungen die wichtigsten Informationen aus den Zeuginnen und Zeugen herauszukitzeln. Wird es ihm auf diese Weise gelingen, den Mord aufzuklären und den Bewohnern von Temple das Gefühl von Sicherheit zurückzubringen?

„Der Tote in der Crown Row“

von Sally Smith

übersetzt von Sybille Schmidt

400 Seiten

Goldmann

Erscheinungstermin: 23. April 2025

ISBN: 978-3-442-31792-9

22 Euro

Holmes, Poirot, Ward: Der neue Gentleman-Detektiv

Sir Gabriel Ward ist also kein neuer Aufguss von Sherlock Holmes oder Hercule Poirot. Der Gentleman im England der Jahrhundertwende ist im Grunde gar kein Detektiv, sondern Anwalt. Außerdem löst er die Fälle nicht einfach in seinem Kopf, mithilfe der von Poirot so gerne bemühten „kleinen, grauen Zellen“, sondern durch Befragungen und Sammeln von Beweisen. Er lebt zurückgezogen mitten in der Gesellschaft, seine Wohnung quillt über vor Büchern. „Gabriel war ein Reisender, nicht von der Sorte mit Tropenhelm und Bambusspazierstock, auch nicht von der Sorte mit Reiseführer und Lederhandkoffer.“ Lieber bereist er die Welt im Geiste, durch Bücher und Geschichte. Physisch hatte er den Temple-Bezirk vor seiner Aufgabe als Detektiv seit Jahren nicht verlassen.

Die Autorin und Schöpferin von Sir Gabriel Ward, Sally Smith, ist selbst Kronanwältin am Londoner Temple.

Die Autorin und Schöpferin von Sir Gabriel Ward, Sally Smith, ist selbst Kronanwältin am Londoner Temple. © Max Cutting

Ward ist dennoch ein fortschrittlicher Geist, das lässt sich aus seiner Einschätzung der klassischen Polizeiarbeit erkennen, die in Beweismitteln wie Fingerabdrücken keinen Sinn sieht. Auch kritisiert er die Einschätzung, Frauen könnten keine Anwältinnen werden, nur weil die soziale Konvention das so verlangt. Während der Handlung muss er außerdem lernen, dass die Welt um einiges härter ist, als es sich für einen privilegierten Kronanwalt für gewöhnlich anfühlt, denn er lernt die Probleme der Unterschicht kennen und sie nachzuvollziehen.

Sally Smith: Kronanwältin und Buchautorin

Abschließend kann für „Der Tote in der Crown Row“ eine Leseempfehlung für alle ausgesprochen werden, die Detektivgeschichten lieben. Sally Smith hat es geschafft, eine neue Figur zu erschaffen, die an die großen Meisterdetektive anknüpft, aber dennoch eigene Wege geht.

Smith selbst ist ebenfalls Kronanwältin und hat ihr gesamtes Berufsleben in Temple verbracht. Die historische Umgebung des einst von den Templerrittern erbauten Bezirks hat sie zu ihrem ersten Roman inspiriert.

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