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„Shigidi“ von Wole Talabi: Urban Fantasy trifft auf afrikanische Mythologie - Buchtipp

Benedikt Dirrigl

Redakteur

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26.04.2025, 07:00 Uhr
„Shigidi“ von Wole Talabi

© Benedikt Dirrigl „Shigidi“ von Wole Talabi

So ganz astreine Helden sind Shigidi, Albtraumgott im Ruhestand und seine Partnerin Nneoma, freiberufliche Sukkubus, auch in diesem Roman nicht. Schließlich ernähren sich die beiden von den Geistern mehr oder weniger unschuldiger Menschen. Dennoch gelingt es Wole Talabi, dass wir beim Lesen mit seinen Figuren mitfiebern.

Liebe, Rache und böse Götter

Tatsächlich rückt die vermeintliche Haupthandlung des Romans in den Hintergrund, angesichts der ausgeklügelten Hintergrundstorys der Figuren. Shigidi und Nneoma bekommen von Olorun, dem obersten Gott von Shigidis Pantheon, damit beauftragt, ein mächtiges Artefakt aus dem britischen Museum in London zu stehlen. Wobei stehlen hier ein ambivalenter Begriff ist, schließlich hatten die Kolonialisten das Artefakt zuerst entwendet. Olorun braucht das Artefakt, um sich die Herrschaft in seinem eigenen Pantheon zu sichern. Der Auftrag stellt sich als knifflig heraus, und es hilft nicht gerade, dass Shigidi sich in Nneoma verliebt hat.

Das Faszinierende an Talabis Buch ist, dass alle Figuren mit aufwendigen Herkunftsgeschichten ausgestattet werden, die die eigentliche Handlung des Romans ausmachen. So gesehen ist „Shigidi“ im Grunde eine Sammlung an Kurzgeschichten über spannende Figuren, die sich zu einem Abenteuer zusammenfinden. Dieser Spagat der Genres glückt nicht nur, er gibt den Figuren auch Tiefe und Authentizität, denn auf diese Weise bekommen wir beim Lesen direkte Einblicke in die Motive der Charaktere.

„Shigidi“: Mythologie und Glaube wird urbanisiert

Talaibis Roman hat viele Ebenen, was ihn umso interessanter zu lesen macht. Etwa die Kritik an den Kolonialmächten, die sich an den Bodenschätzen und der Kultur der besetzten Länder bereicherten. Auch die Liebesgeschichte zwischen Shigidi und Nneoma kommt nicht zu kurz, wirkt dabei allerdings weder aufdringlich noch aufgesetzt.

Die Gottheiten verschiedener Kulturen haben zudem gemein, dass sie von Gebeten und Gläubigen abhängig sind, um zu überleben. In modernen Zeiten, in denen Religion immer mehr an Bedeutung verliert, stellt sich die Frage, welchen Sinn diese Gottheiten noch haben. Irgendwie erfüllen sie nur noch ihren Selbstzweck und haben sich in Firmen mit modernen Strukturen zusammengeschlossen, damit sie überleben können.

Der zuvor erwähnte Pantheon, dem Shigidi ursprünglich angehörte, ist also viel mehr eine moderne Firma. Eine interessante Sichtweise, in der die Modernisierung unserer Welt auch nicht an der Geisterwelt vorbeiging. Selbst Götter sind in dieser Welt nicht vor einem Burnout gefeit.

Shigidis Geschichte stellt den Sinn von Gottheiten und deren Anbetung infrage. Eigentlich hat jeder Gott und jede Göttin in der Firma eine feste Aufgabe, die sicherlich irgendwann mal einen eigenen Sinn hatte. Doch wenn die Götter mehr von ihren Gläubigen abhängig sind, als umgekehrt, welchen Sinn hat ihr Dasein dann noch? Shigidi sieht in seiner Aufgabe jedenfalls keinen Nutzen mehr, er ist unzufrieden und nimmt seine Gelegenheit wahr, die Firma zu verlassen und mit Nneoma ein Leben außerhalb seines Alltagstrotts zu leben.

„Shigidi“

von Wole Talabi

  • übersetzt von Andreas Helweg
  • 352 Seiten
  • Penhaligon
  • ISBN: 978-3-7645-3330-4
  • 18 Euro

„Shigidi“ oder „Nneoma“?

Beim Lesen stellt sich die Frage, warum eigentlich der Albtraumgott Shigidi der Namensgeber des Buches ist und nicht seine Partnerin Nneoma. Klar, er macht eine interessante Entwicklung durch, vom hässlichen Albtraumgott zu seiner schönen Form, außerdem ist er aus einem wichtigen Teilaspekt von Olorun geboren, der ihn als seinen persönlichen Back-Up-Plan sieht. Doch eigentlich ist es Nneoma, die das Bindeglied zwischen allen Figuren des Romans darstellt. Sie hat Shigidi aus der Firma befreit und ihm seine neue Form gegeben, dazu hat sie ihm beigebracht, wie er seine Kräfte nutzen kann. Sie hat in der akuten Gefahrensituation, als sie und Shigidi in Lebensgefahr schwebten, den Deal mit Olorun ausgehandelt, der überhaupt die Grundlage für die Handlung des Romans darstellt. Sie ist es auch, die den Magier Aleister ins Spiel bringt, dessen Hilfe beim Raub aus dem Museum unabdingbar ist.

Sicherlich ist das aber nur eine von vielen Lesarten des faszinierenden und interessanten Romans von Wole Talabi.

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