Meinung
Längst überfällig: Warum gibt es immer noch kein Böllerverbot in Deutschland?
8.1.2025, 13:40 UhrEs gibt Themen, von denen Politikerinnen und Politiker gerne die Finger lassen, insbesondere in einem Wahljahr. Da wäre zum Beispiel ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, dessen bloße Erwähnung so manche politische Karriere in der Vergangenheit beendet zu haben scheint. Mittlerweile werden dazu immer öfter Stimmen laut, getan hat sich dennoch noch nichts.
Ein mögliches Böllerverbot an Silvester ist da ein bisschen anders. Durch die zeitliche Beschränkung auf wenige Tage im Jahr lässt sich die Diskussion für Politikerinnen und Politiker in der Regel gut aussitzen, nur wenige Tage nach Silvester ist der Spuk meistens vorbei. 2025 könnte es aber anders kommen.
Denn in diesem Jahr hat die Gewerkschaft der Polizei dem Innenministerium eine Petition mit rund 1,5 Millionen Unterschriften übergeben, hinzu kommt die ähnlich gerichtete Petition der Deutschen Umwelthilfe mit mehr als 500.000 Unterschriften. Ob daraus ein politisches Handeln entsteht, bleibt abzuwarten.
Meinung: Ein Böllerverbot ist längst überfällig!
Obwohl schon seit Jahren über ein mögliches Böllerverbot diskutiert wird, war das Zünden von Sprengkörpern an Silvester nur während der Corona-Pandemie untersagt. Warum eigentlich? Welche Argumente sprechen gegen ein Böllerverbot?
Tradition und Kulturgut
Die häufigste Antwort auf diese Frage ist, das Böllern an Silvester sei nun mal Tradition und Kulturgut. Alle können selbst entscheiden, ob sie an dieser Tradition teilnehmen wollen oder nicht, niemand wird dazu gezwungen, einen Böller zu zünden. Tradition sind wichtig, sie stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Traditionen müssen aber auch immer wieder hinterfragt werden. Erfüllen sie ihren Nutzen noch? Auch Spaß an der Freude kann ein Nutzen sein, solange diesem Nutzen nichts anderes im Wege steht. Da gibt es im Fall der Silvesterböller einige Faktoren. Eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts kann hier wohl kaum gegeben sein, sonst würde nicht jedes Jahr wieder über ein mögliches Verbot debattiert werden. Zwei Millionen Unterschriften sprechen auch dafür, dass es sich hierbei nicht um eine kleine Minderheit handelt, die der Mehrheit den Spaß vermiesen will.
Übrigens muss man zwar nicht selbst einen Böller zünden, mit dem Lärm und den Konsequenzen für die Umwelt und Tiere müssen aber alle gleichermaßen auskommen.
Böllern als Wirtschaftsspritze
Angeblich ist das Böllern auch ein wichtiger Faktor für die Wirtschaft, Arbeitsplätze hängen am Silvesterfeuerwerk, der zusätzliche Umsatz von rund 180 Millionen Euro zum Jahreswechsel sei wichtig für den deutschen Einzelhandel. Setzen wir diese Zahl mal in Relation. Über das ganze Jahr 2024 machte der deutsche Einzelhandel einen Umsatz von etwa 657,4 Milliarden Euro. Die 180 Millionen, die das Geschäft um das Silvesterfeuerwerk ausmacht, entsprechen also einem Anteil von 0,027 Prozent. So groß kann dieser Wirtschaftssektor demnach nicht sein.
Ein Böllerverbot ist nicht durchsetzbar
Häufig wird auch das Argument angeführt, ein Böllerverbot sei nicht umsetzbar, die Polizei würde dadurch noch mehr belastet, Menschen würden sich einfach Böller aus dem Ausland besorgen. Dann käme es vermutlich zu noch mehr Verletzungen, auch dem Vandalismus würde ein Böllerverbot nichts entgegenwirken. Am besten fragt man an dieser Stelle doch die Instanz, die für die betreffende Durchsetzung zuständig wäre. Im Falle eines Böllerverbots wäre das die Polizei. Diese spricht sich, vertreten durch ihre Gewerkschaft, gerade besonders stark für ein Böllerverbot aus.
Weitere Argumente für ein Böllerverbot
Die Argumente, die gegen ein Böllerverbot sprechen, sind also diskutabel. Hinzu kommt, dass es auf der anderen Seite noch einige Punkte gibt, die abseits davon für ein Böllerverbot sprechen.
- Umweltschutz
In der Silvesternacht erreicht die Feinstaubbelastung ihren jährlichen Höchstpunkt. Normalerweise liegt der Wert der Belastung in deutschen Städten bei rund 15 Mikrogramm pro Quadratmeter, an Silvester springt der Wert gerne auf 1000 (!) Mikrogramm. Hinzu kommen Unmengen an Müll, die nach der Silvesternacht das Stadtbild verschandeln. - Verletzungsrisiko
Niemand, der selbst gerne böllert, wird sich denken, dass ihm sowas selbst mal passiert. Schließlich verhält man sich richtig und weiß, was man tut. Das haben sich die unzähligen Verletzten, die Jahr für Jahr die Notaufnahmen überschwemmen, sicher auch gedacht. In Deutschland starben in der letzten Silvesternacht fünf Menschen infolge von Böllerunfällen. Dabei handelte es sich keineswegs nur um Jugendliche, die womöglich den Umgang mit Silvestersprengfeuer nicht gewohnt waren. Die beiden Opfer aus Sachsen waren 45 und 50 Jahre alt. Die Vielzahl an Verletzten verstopft zudem die Notaufnahmen, wodurch nicht nur das Personal überfordert wird, sondern auch andere Notfälle erst später versorgt werden können. - Tierleid
Dieser Punkt liegt mir als Autor und als Haustierhalter besonders am Herzen. Für viele Hunde und Katzen ist Silvester die schlimmste Nacht des Jahres. Der Lärm, die Lichter: Für die Tiere bedeutet das puren Stress. Laut einer Umfrage, die der Zentralverband der zoologischen Fachbetriebe Deutschlands 2023 durchführen ließ, leben in rund 45 Prozent der deutschen Haushalte Haustiere, davon sind 15,7 Millionen Katzen und 11,5 Millionen Hunde.
Natürlich reagieren nicht alle Haustiere gleich auf das Silvesterfeuerwerk. Spaß macht es sicherlich keinem. Ich persönlich lebe mit einer Katze und einem jungen Hund zusammen. Die Katze hat sich nie sonderlich für das Feuerwerk interessiert. Meine Hundedame hat gerade ihr zweites Silvester erlebt. Während das erste sehr stressig für sie war, hat sie das zweite Jahr recht gut und entspannt überstanden.
Während der Recherche für diesen Beitrag bin ich über verschiedene Kommentare zum Thema gestolpert. Etwa sei das eine Frage der Erziehung. Aus eigener Erfahrung kann ich diese Aussage klar verneinen. Ich wüsste gar nicht, wie wir unseren Hund auf ein Silvesterfeuerwerk hätten trainieren sollen, dementsprechend haben wir auch nichts in diese Richtung unternommen. Hunde haben wie auch Menschen unterschiedliche Gemüter, manche sind schreckhafter oder ängstlicher, andere sind weniger anfällig. Das ist vorher nicht absehbar und im Nachhinein nicht steuerbar. Die meisten Hunde sind jedenfalls nicht so entspannt wie unsere Emmi.
Ebenfalls sehr interessant fand ich die Auffassung, Tiere könnten gar nicht zwischen einem Silvesterfeuerwerk und einem normalen Gewitter unterscheiden. Wer diese Meinung hat, hat vermutlich noch nie mit einem Tier zusammengelebt und unterschätzt Katzen und Hunde gewaltig. Ja, es gibt Hunde, die auch bei Gewitter Angst bekommen. Ja, diese Hunde haben dann vermutlich auch beim Silvesterböllern Angst. Wer allerdings glaubt, dass Katzen und Hunde nicht den Unterschied zwischen einem Donnergrollen und dem Geböller, das in der Regel bereits am 29. Dezember beginnt, über drei Tage hinweg stetig anschwillt und sich in der Silvesternacht über mehrere Stunden in ohrenbetäubendem Lärm ergießt, liegt mit Sicherheit falsch.
Übrigens gibt es in Deutschland nicht nur Haustiere. Nutztiere wie Kühe, Schweine und Pferde haben gemeinsam, dass sie Fluchttiere sind. Während manche Hundebesitzer ihre Tiere ins Auto packen und auf die Autobahn flüchten, gibt es diese Option für Landwirtinnen und Landwirte nicht. Nutztiere haben häufig keine Fluchtmöglichkeit, geraten dann möglicherweise in Panik und können Sachschäden an Zäunen und ähnlichem sowie Verletzungen an Menschen und anderen Tieren verursachen.
Neben Haus- und Nutztieren leben in Deutschland auch Wildtiere, die unter der Silvestertradition leiden. Wildtiere zeigen dann abnormales Verhalten, beispielsweise fliehen sie an Orte, die sie sonst meiden, wie etwa viel befahrene Landstraßen.
Es gibt noch weitere Argumente für ein Böllerverbot. So gibt es neben den Menschen, die akute Verletzungen durch Feuerwerkskörper bekommen, auch viele, die aufgrund von Vorerkrankungen unter Böllern und Raketen leiden. Der Sachschaden, der durch Feuerwerkskörper entsteht, Feuerwehreinsätze die ganze Nacht. Die Liste scheint kein Ende zu nehmen.
Was könnte eine Lösung sein?
Schaut man sich die beiden Seiten der Diskussion an, sieht man auf der einen Seite unzählige Argumente, die faktenbasiert die Nachteile von Silvesterböllern darlegen, ob es nun um den Wunsch zur menschlichen Unversehrtheit, dem Tierwohl oder der Erhaltung einer lebenswerten Umwelt geht. Demgegenüber steht hauptsächlich das Argument, dass das Feuerwerk schön anzusehen ist und Spaß macht. Und was sagt die deutsche Politik dazu? Bundeskanzler Olaf Scholz ist zum Beispiel gewohnt zielstrebig in seiner Ansicht. Gegenüber dem Stern sagte er, ordentliche Regeln würde er zwar befürworten, ein Verbot sei aber "irgendwie komisch".
Wenn sich eine einfache Maßnahme für Umweltschutz, Tierwohl und menschliche Unversehrtheit für Herrn Scholz also "irgendwie komisch" anfühlt, muss natürlich ein Kompromiss her. Wie wäre es also mit einigen strategisch sinnvoll positionierten, professionell durchgeführten Feuerwerken, die von den Städten und Gemeinden durchgeführt werden? Dadurch ließe sich der entstehende Müll minimieren und das Verletzungsrisiko senken. Ein Feuerwerk, welches über wenige Minuten dauert, ist schön anzusehen und verursacht dabei eine wesentlich geringere Belastung durch Feinstaub. Auch die Tierwelt würde durch ein kurzes Feuerwerk, welches das neue Jahr einläutet, weniger gestört als durch ständiges Geböller vom 29. Dezember bis in den ersten Januar hinein. Dann könnte ich mir sogar vorstellen, dass meine Hündin nicht begreift, ob da gerade ein Feuerwerk oder ein Gewitter rumpelt.