Mittel gegen Corona: Dieses Antidepressivum macht Hoffnung

Dominik Mayer

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1.12.2020, 06:32 Uhr

Das kollektive Aufatmen war groß als die deutsche Firma Biontech und der US-amerikanische Pharmakonzern Pfizer ihren Impfstoffkandidaten in den USA zur Notfallzulassung anmeldeten. Schließlich sind die ersten Daten zur Wirksamkeit ermutigend. Doch bei aller Euphorie darüber, im Kampf gegen die Pandemie bald einen starken Verbündeten in Form eines Impfstoffs zur Verfügung zu haben ist klar, dass der Weg zurück in die Normalität noch lang ist.


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Alleine bis die wichtigsten Risikogruppen geimpft sind, dürften einige Monate vergehen. Unter denen, die nicht oder noch nicht geimpft sind, wird sich das Virus derweil weiter verbreiten. Das ist gefährlich, nicht nur für hochbetagte Menschen. Eine umfangreiche Untersuchung amerikanischer und australischer Wissenschaftler zur Infektionssterblichkeit kommt zum Ergebnis, dass schon in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen die Gefahr an Covid-19 zu sterben mehr als zehnmal höher liegt als bei einer klassischen Influenza-Grippe.

Ein Befund, der verdeutlicht, wie wichtig es wäre, neben einem Impfstoff auch über wirksame Medikamente zu verfügen. Nach wie vor gibt es nur wenige Wirkstoffe, die nachweislich einen positiven Effekt auf schwere oder Dauer einer Covid-19-Erkrankung haben. Das Ebola-Medikament Remdesivir etwa, das lange als Hoffnungsträger galt, wird inzwischen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht mehr zur Behandlung von Corona-Patienten empfohlen.

Fluoxetin hemmt Coronavirus in der Zelle

Forschungsergebnisse der Universitäten Münster und Würzburg legen jedoch nahe, dass es eine wirksame Behandlungsalternative geben könnte. Konkret handelt es sich dabei um das Antidepressivum Fluoxetin, das bereits seit 30 Jahren auf dem deutschen Markt verfügbar ist. Es gehört zur Gruppe der Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), eine Klasse von Medikamenten, die Mediziner standardmäßig bei Depressionen oder Angststörungen einsetzen.

"Wir wissen, dass Fluoxetin den Eintritt des Influenza-Virus in die Körperzellen hemmt. Also haben wir uns gefragt, ob das auch bei SARS-CoV-2 geht", erklärt Ursula Rescher die Idee hinter ihrer Studie. Die Professorin für Molekularbiologie leitet am Institut für Medizinische Biochemie der Universität Münster die Arbeitsgruppe, die an Fluoxetin als Behandlungsoption gegen Covid-19 forscht. "Wir haben beobachtet, dass Fluoxetin die Vermehrung von SARS-CoV-2 in der Zellkultur stark hemmt. Das ist recht vielversprechend", berichtet Rescher.


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Die Wissenschaftlerin vermutet, dass das Antidepressivum den Coronaviren den Eintritt in die menschlichen Zellen erschwert. Außerdem verlangsamt es signifikant die Vermehrung des Virus in den Körperzellen. Damit könnte die Einnahme von Fluoxetin besonders in einem frühen Stadium der Krankheit effektiv sein. Positiv ist auch, dass für diesen Effekt keine ungewöhnliche hohe Fluoxetin-Konzentration im Blut nötig ist. Die zur Behandlung von Depressionen übliche Standarddosierung reicht aus.

Vorteile in der Intensivmedizin?

Zwar basieren die Münsteraner Forschungsergebnisse auf reinen Laborexperimenten, es spricht jedoch einiges dafür, dass sich die Befunde auf Patienten übertragen lassen. "Nach der Veröffentlichung haben mir Psychiater geschrieben, die berichtet haben, dass ihre Patienten, die Fluoxetin einnehmen, recht problemlos durch eine Corona-Infektion kamen", berichtet Molekularbiologin Rescher. Gemeinsam mit dem Friedrich Loeffler-Institut plant sie nun, ihre Ergebnisse in einer Studie an Hamstern zu bestätigen.


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Dass Fluoxetin in Zellkulturen gegen SARS-CoV-2 wirkt, weiß man auch an der Universität Würzburg. Gemeinsam mit seinem Team kam der Virologe Jochen Bodem vom Institut für Virologie und Immunologie zum gleichen Ergebnis wie die Kollegen in Münster. "Wir haben auch andere SSRI als Fluoxetin ausprobiert, damit funktioniert es aber nicht. Offenbar hat Fluoxetin also eine spezifische Wirkung auf SARS-CoV-2", berichtet Bodem.

Außerdem sieht er noch einen weiteren Vorteil des Wirkstoffes. "Man könnte damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, weil Fluoxetin auch den Zytokinsturm hemmt." Dabei handelt es sich um eine massive Überreaktion des Immunsystems, die Intensivmediziner häufig im Zusammenhang mit einem besonders schweren Verlauf von Covid-19 beobachten. Ließe sich dieses Überschießen der körpereigenen Abwehr verhindern, wäre das für die Patienten ein entscheidender Vorteil. Für das Antidepressivum spricht zudem, dass es als relativ nebenwirkungsarm gilt.

Klinische Studien dringend erforderlich

Eine Eigenschaft, die sich sogar noch verbessern ließe, wie Virologe Bodem erklärt: "Fluoxetin besteht aus zwei spiegelbildlichen Molekülen. Nur eines davon ist für die antidepressive Wirkung und damit auch für mögliche Nebenwirkungen verantwortlich. Gegen SARS-CoV-2 wirken aber beide Moleküle." Theoretisch ist es also möglich, das Molekül, welches nicht in den Gehirnstoffwechsel eingreift, zu isolieren und nur dieses Corona-Patienten zu verabreichen.


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Doch auch wenn die ersten Ergebnisse zur Wirksamkeit optimistisch stimmen, bräuchte es große klinische Studien, um den Effekt an Patienten zu belegen. Auch für eine offizielle Zulassung als Medikament gegen Covid-19 sind derartige Untersuchungen erforderlich. Solange hier keine positiven Befunde vorliegen, können Ärzte das Medikament zwar verschreiben, die Krankenkassen erstatteten die Kosten dafür jedoch nicht.

Umfangreiche klinische Studien sind teuer und aufwendig. Bodem hofft trotzdem, dass sich Unternehmen oder Organisationen dafür finden. Das wünscht sich auch Ursula Rescher von der Universität Münster. Doch Fluoxetin ist schon lange auf dem Markt, das Patent ist ausgelaufen, die Tabletten günstig. 100 Stück gibt es schon ab 20 Euro. Keine idealen Voraussetzungen für Pharmaunternehmen, die mit einem Medikament gegen Covid-19 natürlich Geld verdienen wollen.

Unterstützung aus Nürnberg

Der Schweizer Pharmariese Novartis, dessen Deutschland-Zentrale in Nürnberg sitzt, hat sich aber immerhin dazu entschlossen, die Würzburger Forschungen zu Fluoxetin mit 75.000 Euro zu unterstützen. "Es war uns hier ein Anliegen, unseren Beitrag zur Entwicklung von Medikamenten gegen Covid-19 zu leisten und ein wissenschaftlich interessantes Projekt entsprechend zu fördern", teilt das Unternehmen auf Anfrage mit.

Kann man sich bei Novartis auch vorstellen, klinische Studien finanziell zu unterstützen? "Zum jetzigen Zeitpunkt ist es zu früh, eine entsprechende Aussage zu treffen." Der Würzburger Virologe Jochen Bodem ist dennoch sehr dankbar für die bereits erfolgte Finanzspritze. Und hat eine positive Nachricht für Patienten, die aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung sowieso schon Fluoxetin nehmen: "Das sollte eine gewisse Schutzwirkung im Fall einer Corona-Infektion haben."

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