Wenn Kinder töten

Nach Tod einer Zwölfjährigen in Freudenberg: Warum werden Kinder zu Gewaltverbrechern?

Johanna Mielich

Online-Redaktion

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dpa

14.3.2023, 19:25 Uhr
Die zwölfjährige Luise war am Sonntag tot in der Nähe eines Radweges auf rheinland-pfälzischem Gebiet unmittelbar an der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen gefunden worden. Zwei Kinder stehen unter Tatverdacht.

© Roberto Pfeil/dpa Die zwölfjährige Luise war am Sonntag tot in der Nähe eines Radweges auf rheinland-pfälzischem Gebiet unmittelbar an der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen gefunden worden. Zwei Kinder stehen unter Tatverdacht.

"Fassungslos - sprachlos - hilflos": Drei Worte stehen auf einer Seite im Kondolenzbuch für die getötete 12-jährige Luise. Sie drücken aus, was viele Menschen in der kleinen Stadt Freudenberg bei Siegen in Nordrhein-Westfalen gerade fühlen. Seit dem Wochenende trauern die Menschen um die 12-jährige Schülerin, die nach dem Besuch bei einer Freundin auf dem Heimweg in einem Waldstück getötet wurde. Die mutmaßlichen Täterinnen? Selbst noch Kinder. Zwei 12- und 13-jährige Mädchen haben gestanden, Luise mit zahlreichen Messerstichen getötet zu haben.

Erst im vergangenen Jahr hat ein Mord im niedersächsischen Salzgitter Aufsehen erregt, an dem ein Kind beteiligt war: Ein 14-Jähriger und ein nicht strafmündiger 13-Jähriger erstickten im Juni 2022 eine 15-jährige Jugendliche. 2016 schlug ein 13-Jähriger in Bad Schmiedeberg (Sachsen-Anhalt) einen gleichaltrigen Jungen mehrfach so heftig gegen den Kopf, dass dieser starb.

Was treibt Kinder zu grausamen Verbrechen an?

Das Schicksal der getöteten jungen Menschen bewegt viele, immer wieder stößt man auf die eine Frage: Warum? Warum begehen Kinder so grausame Taten?

Im Fall der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg halten sich die Ermittlungsbehörden mit Antworten auf diese Fragen sehr zurück. Die mutmaßlichen Täterinnen müssten geschützt werden - gerade weil sie selbst noch Kinder seien, betonte der Leitende Oberstaatsanwalt in Koblenz, Mario Mannweiler. Nur so viel sagt er: "Was für Kinder möglicherweise ein Motiv ist für eine Tat, würde sich einem Erwachsenen möglicherweise nicht erschließen." Angesichts der vielen Stichverletzungen bei dem Opfer liege jedenfalls die Vermutung nahe, "dass irgendwelche Emotionen eine Rolle gespielt haben".

Allgemein sei die Frage, warum Kinder zu Mördern werden, bislang nicht ausreichend erforscht, erklärt Christian Pfeiffer, Kriminologe und ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen gegenüber Focus-Online. "Solche grausamen Gewalttaten kommen nicht aus dem Nichts. Sie haben eine Vorgeschichte". Dabei würden laut Pfeiffer immer eigene Leidenserfahrungen eine Rolle spielen. "Man wird immer erst Opfer, dann Täter. Das gelte gerade für Kinder und Jugendliche. "Hass, Wut und das Gefühl der eigenen Ohnmacht" seien oft Hintergründe. Gegenüber dem Blatt betont der Kriminologe, dass niemand als Mörder geboren werde.

In seinem Buch "Wenn junge Menschen töten" (C.H.Beck Verlag 2019) analysiert der Marburger Kinder- und Jugendpsychiater Helmut Remschmidt Fälle aus den vergangenen Jahren. Danach werde niemand allein wegen einer schweren Kindheit zum Verbrecher. Eine Reihe von Faktoren sei hier entscheidend: eigene Gewalterlebnisse, Alkohol- und Drogenkonsum oder auch die Gruppendynamik können laut dem Experten eine Rolle spielen.

Wie häufig sind Gewaltverbrechen von Kindern?

Dass Kinder unter 14 Jahren Gewalttaten wie schwere Körperverletzung, sexuellen Missbrauch, Totschlag oder Mord begehen, kommt eher selten vor. 2021 ist die Zahl der tatverdächtigen Kinder in diesem Bereich gegenüber dem Vorjahr bundesweit angestiegen (7477 zu 7103). Verglichen mit 2019 gab es 2021 jedoch einen Rückgang um rund zehn Prozent.

Bei den Delikten gegen das Leben sind die absoluten Zahlen äußerst niedrig: 2021 gab es in diesem Bereich bundesweit 19 tatverdächtige Kinder, darunter vier Mädchen. Die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr stark, in den vergangenen 20 Jahren lagen sie jährlich zwischen vier und 21 Tatverdächtigen. Zur Einordnung: Laut Statistischem Bundesamt lebten in diesem Jahr rund 8,5 Millionen Kinder unter 14 Jahren in Deutschland.

Kinder unter Mordverdacht: Was geschieht mit ihnen?

Strafrechtlich kommen auf Kinder unter 14 Jahren nach derartigen Verbrechen keine Konsequenzen zu. Sie sind grundsätzlich schuldunfähig - selbst bei einem so schlimmen Verbrechen wie Mord oder Totschlag. Denn es wird davon ausgegangen, dass sie die Folgen ihres Handelns noch nicht ausreichend überblicken.

Am Ende der Ermittlungen gibt die Staatsanwaltschaft den Fall an die Jugendbehörden weiter. Welche Maßnahmen dort ergriffen werden, hängt Experten zufolge stark vom Einzelfall ab. Denkbar sei, dass ein Kind eine psychiatrische Behandlung bekommt, unter Umständen auch in einer geschlossenen Einrichtung. Möglich ist auch, dass die Eltern Hilfe bei der Erziehung bekommen - oder dass das Kind eine Zeit lang in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie untergebracht wird. Die rechtlichen Hürden für eine Trennung von den Eltern gegen deren Willen sind aber hoch.