18 Jahre Spielsucht: Franke verspielt Viertelmillion Euro
25.8.2019, 05:18 UhrErst sind es kleine Beträge, die eingesetzt werden: 5 Euro, 15 Euro, vielleicht auch mal 30 Euro. Jeder Gewinn erzeugt ein Glücksgefühl. Um den Kick zu wiederholen, wettet der Spieler weiter und weiter. Den immer stärker werdenden Sog bemerkt er nicht. Auch Peter Homburg hat ihn nicht wahrgenommen.
Die dritte ist die letzte Phase. Sie heißt auch Verzweiflungsphase. Zu diesem Zeitpunkt hat ein Spielsüchtiger jede Kontrolle über das Spielen verloren. Gewinne verwahrt er nicht mehr, sondern setzt sie sofort wieder ein. Er belügt Familie und Freunde, um weiter wetten zu können und erfindet Geschichten, um sich neues Geld zu beschaffen.
"Es hat ganz harmlos angefangen"
Zwischen der ersten und der dritten Phase liegen bei Peter Homburg 18 Jahre. In dieser Zeit hat er 250.000 Euro verspielt. Eine Viertelmillion Euro. Homburg, 39 Jahre alt, wohnt in einem Vorort von Nürnberg. Er ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und arbeitet im öffentlichen Dienst. Homburg gewährt tiefe Einblicke in sein Leben, das die Sucht nach Sportwetten prägte. Mit seiner Offenheit geht die Bitte einher, seinen Namen nicht zu veröffentlichen. In dieser Geschichte ist Peter Homburg daher sein Pseudonym.
Alkohol und Glücksspiel: So süchtig sind die Deutschen
"Es hat alles ganz harmlos angefangen", sagt er. Damals, als 20-Jähriger, dient er bei der Bundeswehr. Ein Kollege erzählt ihm, er wette in seiner freien Zeit auf Sportergebnisse. Mit etwas Fachwissen ließe sich damit ein bisschen Geld verdienen. Peter Homburg kennt sich mit Fußball aus. In seiner Jugend hat er in einem Verein gekickt. Er blättert regelmäßig in Sportmagazinen und verfolgt die Bundesliga im Fernsehen. Er wähnt sich auf der sicheren Seite. Dass das Ergebnis auch vom Zufall bestimmt wird, ist ihm damals noch nicht bewusst.
Jeder Gewinn steigert das Selbstbewusstsein
Von seinem Sold bleibt jeden Monat etwas übrig. Homburg beginnt, das Geld auf Spiele der 1. und 2. Bundesliga zu setzen. Hamburg gegen Schalke. Bayern München gegen Leverkusen. Er tippt auf den Gewinner des Duells oder auf die Zahl der im Spiel fallenden Tore. Und Homburg hat Erfolg. Pro Wochenende gewinnt er zwischen 100 und 200 Mark. Jeder gewonnene Euro steigert sein Selbstbewusstsein.
Rückblickend ist der Gewinn Homburgs Pech. Denn Verlierern vergeht auf Dauer die Lust am Spiel. Gewinner aber wollen mehr. Die Erwartung, dass ihr getipptes Ergebnis wieder eintrifft, steigt – ebenso wächst die Risikobereitschaft. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben über 75 Prozent der Spielsüchtigen am Anfang ihres Glücksspielverhaltens oft gewonnen.
Noch geht Homburg wohlüberlegt vor – er wägt ab, an welcher Wette
er sich beteiligt. Er recherchiert über die Mannschaften und die Fitness der Spieler. Wer ist verletzt? Fehlt vielleicht der Top-Stürmer oder ein wichtiger Abwehrspieler? Jede Information kann schließlich das Endergebnis entscheidend beeinflussen. "Ich habe geglaubt, dass ich aufgrund dieses Wissens den Spielausgang vorhersagen kann."
Der Fachverband Sucht e.V. schätzt, dass 100.000 bis 170.000 Menschen in Deutschland krankhafte Glücksspieler sind. Sie investieren ihr Geld in Pokerrunden oder Black Jack, kaufen Rubellose oder tippen Lottozahlen. Die meisten sind allerdings Automatenspieler.
Diese Einschätzung teilt auch Thomas Bauer. Er leitet die Fachstelle
für Glücksspielsucht bei der Stadtmission Nürnberg. Allerdings beobachtet er seit einigen Jahren einen Wandel, denn die Zahl der Süchtigen nach Onlinespielen und Sportwetten steigt. Wer das Gespräch mit Thomas Bauer sucht, hat in der Regel bereits acht Jahre gespielt, ist männlich und zwischen 20 und 40 Jahre alt. Noch nie saß in seinem Büro eine Frau, die nach Sportwetten süchtig ist.
Wetten auf die japanische dritte Liga
Mit den Jahren wird das Wetten für Peter Homburg immer einfacher. Musste er anfangs noch die Höhe des Einsatzes und den erhofften Spielausgang dem Wettanbieter telefonisch mitteilen, kann er dies nun dank Internet und Glücksspiel-Apps mit ein paar Klicks erledigen. Auch die Wettoptionen steigen. "Irgendwann konnte man auf die dritte Liga in Japan wetten." Homburg setzt sein Geld nun auch auf Spiele anderer Sportarten – American Football, Baseball. Wetten ist rund um die Uhr möglich.
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Peter Homburg bereits in der zweiten Phase der Spielsucht. "Die Gedanken, wann und wie das nächste Mal
wieder gespielt werden kann, beherrschen die Spieler", heißt es zu diesem Stadium der Spielsucht auf einer Internetseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Gesellschaften des Deutschen Lotto- und Totoblocks. "Das inzwischen leidenschaftliche Spielen führt dazu, dass mehr Geld verloren als gewonnen wird."
70.000 Euro Schulden
Homburg überzieht sein Konto. Er will sich nicht eingestehen, dass er ein Problem hat und sucht die Erklärung in einer Pechsträhne. Die Bedenken seiner Frau schiebt er zur Seite. Er habe alles unter Kontrolle, beschwichtigt er sie. Weil der Dispo ausgereizt ist, nimmt Homburg Kredite auf. 2500 Euro, dann 3500 Euro, 5000 Euro. Er redet sich ein, im Falle eines Gewinns den Kredit zurückzuzahlen und nur mit dem Geld weiterzuspielen, das übrig bleibt.
Aus Spielsucht: Bankangestellter veruntreut 320.000 Euro
Mittlerweile steht er bei mehreren Kreditanbietern mit 70.000 Euro in der Kreide. Homburg kann nicht mehr schlafen. Seine Gedanken drehen sich im Kreis: Wie kann er das Geld zurückzahlen? Damit sich die finanzielle Situation nicht weiter verschlechtert, vereinbart Homburg mit seiner Frau, sein Gehalt auf ihr Konto zu überweisen. So können Miete und andere Ausgaben beglichen werden. Seiner Frau verspricht er, nicht mehr zu spielen. Es ist eine Lüge.
"Ich habe jede Lücke gesucht, um weiterspielen zu können", sagt Homburg. Seine Frau überweist ihm 850 Euro im Monat, damit er die Raten für den Kredit tilgen kann. Die Lastschriften lässt er jedoch stornieren – mit dem Geld spielt er.
Irgendwann geht es nicht mehr ums Geld
Peter Homburg geht es längst nicht mehr darum zu gewinnen. Er sucht den Kick. "Zu diesem Zeitpunkt konnte ich gar nicht klar
denken." Er ist süchtig nach dem Glücksgefühl, das den Körper durchströmt, wenn das erhoffte Ergebnis eintrifft und sich die Anspannung löst. "Diese Momente wollte ich immer wieder erleben."
Homburg verändert sich. Er ist nervös, gereizt und hat schlechte
Laune. Die Last der Schulden drückt. Manchmal ist ihm so schlecht, dass er sich übergibt. Er fängt die Kontoauszüge der Bank ab und die Briefe. Bekommt seine Frau dennoch ein Schreiben zu Gesicht, behauptet er, es sei ein Fehler der Bank.
Ehe und Kinder - oder das Spielen
Februar 2018. Es ist bereits Abend. Die Kinder schlafen. Um den Esstisch im Wohnzimmer sitzen Homburgs Frau, seine Mutter und Großmutter. Seine Frau hat herausgefunden, dass er die Lastschriften storniert. Seine Mutter und Großmutter reden auf ihn ein, flehen ihn an, mit dem
Spielen aufzuhören. Er zerstöre sein Leben und das seiner Familie, entfährt es seiner Frau. Sie ist wütend. Tränen fließen. Am Ende stellt seine Frau ihn vor die Entscheidung: Sie und die Kinder oder das Spielen.
Homburg liegt im Bett. An Schlaf ist nicht zu denken. Er starrt an die Decke. Wie komme ich da wieder raus, fragt er sich. Seine Hand sucht das Smartphone. Bei Google tippt er die Worte Spielsucht, Sportwetten und Beratung ein. Je mehr er liest, desto klarer wird ihm: Ohne Hilfe wird er es nicht schaffen.
Am nächsten Morgen wählt er die Nummer von Furth im Wald. Die
Klinik ist ein Therapiezentrum für Abhängigkeitserkrankungen. Dort werden Alkohol- oder Medikamentenabhängige behandelt und Menschen mit einem pathologischen Glücksspielverhalten. Homburg kontaktiert auch die Stadtmission Nürnberg und bittet um Hilfe. Im Juli darf er in Furth im Wald eine Therapie beginnen. Fast jedes Wochenende bekommt er Besuch von seiner Frau und den Kindern.
Fitnessstudio statt Sportwetten
Seit jenem Abend im Februar 2018 ist er spielfrei. "Ich bin dankbar, dass meine Frau mir so in den Arsch getreten hat." Er weiß, dass er nicht geheilt ist, aber er hat gelernt, mit seiner Suchterkrankung umzugehen und seine freie Zeit sinnvoll zu nutzen. Er fährt nun Rad oder geht ins Fitnessstudio. Peter Homburg hat sich einen Schuldnerberater gesucht und Privatinsolvenz angemeldet. Monatlich zahlt er 250 Euro ab. In viereinhalb Jahren ist er schuldenfrei.
Es hat sich viel geändert im Leben von Peter Homburg. Vor kurzem hat ihm seine Frau erklärt, dass sie sich scheiden lassen will. Homburg kann sie verstehen. Er hat viel kaputt gemacht. "Ich habe das alles verbockt."
Betroffene und Angehörige haben verschiedene Optionen, sich helfen zu lassen. Sie können sich etwa an die Stadtmission Nürnberg wenden, Telefon: 0911 / 35 05 0. Nähere Infos unter www.stadtmission-nuernberg.de. Auf der Website der Landesstelle für Glücksspielsucht in Bayern www.lsgbayern.de findet sich ein Überblick über weitere Beratungs- und Behandlungsstellen in der Region.
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