Cold Case

37 Jahre nach Doppelmord an A3: Hatte die Mafia ihre Finger im Spiel?

18.2.2020, 09:55 Uhr
Die Phantombilder des Mannes, der "Franco" heißen soll, wurden in verschiedenen Ansichten und mit unterschiedlichen Merkmalen gezeichnet. Sein Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Von seiner Ehefrau, mit dem Namen "Franca", konnte eine Retusche angefertigt werden. Ihr Gesicht war besser zu erkennen.

© Foto: Polizei Mittelfranken Die Phantombilder des Mannes, der "Franco" heißen soll, wurden in verschiedenen Ansichten und mit unterschiedlichen Merkmalen gezeichnet. Sein Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Von seiner Ehefrau, mit dem Namen "Franca", konnte eine Retusche angefertigt werden. Ihr Gesicht war besser zu erkennen.

Die Erinnerung verblasst, man vergisst. Für Menschen, die Schreckliches erfahren haben, ist das wichtig. Denn wenn die Zeit Wunden heilt, ist für sie das Leben vielleicht einmal wieder lebenswert. Doch das Vergessen spielt auch Tätern in die Hände. Menschen, die selbst Schreckliches getan haben, die selbst töteten oder für den Tod von Menschen verantwortlich sind.

Die Erinnerung an die frühen Morgenstunden des 1. Mai 1983 wäre auch schon längst verblasst, wenn es da nicht Menschen gäbe, die das aus guten Gründen verhindern. Klaus Bauer ist so einer. Der Erste Kriminalhauptkommissar arbeitet bei der Kripo Erlangen. Er befasst sich seit 2014 mit einem Fall, der bald 37 Jahre zurückliegt. Dieses Verbrechen lässt den 58-Jährigen nicht mehr los.

Dabei hat der Fall alles, was einen Ermittler frustrieren müsste. Bis heute kennt man die Identität der Opfer nicht, von dem oder den Mördern ganz zu schweigen. Enorme Geduld ist gefragt. Und die scheint sich bei Klaus Bauer zu bewähren, denn er kommt immer wieder einen Schritt voran. Und möglicherweise weiß die Kripo schon bald, wer da eigentlich auf einem Autobahnparkplatz an der A3 vor den Toren Nürnbergs verbrannt wurde.

Hier am Rastplatz "Breslau" (heute heißt er "Weißer Graben") lagen die brennenden Körper des Ehepaares aus Italien. Der Parkplatz liegt an der Autobahn A 3 in der Nähe von Tennenlohe bei Erlangen.

Hier am Rastplatz "Breslau" (heute heißt er "Weißer Graben") lagen die brennenden Körper des Ehepaares aus Italien. Der Parkplatz liegt an der Autobahn A 3 in der Nähe von Tennenlohe bei Erlangen. © Foto: Günter Distler

Rückblick: Am 1. Mai 1983 fuhr ein Zeuge mit seinem Wagen auf der A3 in Richtung Regensburg. Kurz nach 3 Uhr in der Früh rollte er am Parkplatz "Breslau" vorbei und sah aus dem Augenwinkel Flammen, die dort in die Höhe züngelten. Handys gab es zu dieser Zeit noch nicht. Er stoppte mit seinem Auto an der nächsten Notrufsäule und meldete, dass am Rastplatz ein Waldstück in Flammen stand. Die Feuerwehr Erlangen rückte aus und ein Streifenwagen der Polizei.

Doch was die Einsatzkräfte dort auf einer Wiese sahen, waren keine Bäume, die in Flammen standen, sondern die Körper zweier Menschen. Während die Feuerwehr den Brand löschte, alarmierten die Beamten die Kripo, der Fundort wurde weiträumig abgeriegelt. "Alle Gegenstände auf dem Parkplatz nahmen wir mit, darunter Zigarettenkippen, Flaschen, Müll", erinnert sich Bauer, der heute die Ermittlung leitet, aber damals selbst als junger Polizist des Erlanger Einsatzzuges am Parkplatz "Breslau" mithalf.

Kriminaltechnik kannte die DNA-Spur noch nicht

1983 kannte man in der Kriminaltechnik die DNA-Spur noch nicht. Die Spurensicherung nahm damals dennoch Blutproben mit, allerdings um die Blutgruppen der Toten auszuwerten, die in den weiteren Ermittlungen helfen könnten. Bis heute liegen die mit Blut getränkten Mullbinden bei den Asservaten. Sie sind heute, in Zeiten von DNA-Analysen, für weitere Ermittlungen sehr wertvoll.

Die Leichen kamen zur Rechtsmedizin und wurden obduziert. Bald war klar: Jemand hatte mit einem schweren Gegenstand, vermutlich ein Wagenheber, auf die beiden eingeschlagen und aufs Übelste zugerichtet. Der Täter hat dann die leblosen Körper mit einem Brandbeschleuniger (Benzin) übergossen und angezündet. Bei den Opfern handelt es sich um eine Frau und einen Mann im Alter zwischen 25 und 35 Jahre. Beide trugen Eheringe mit der Gravur: 3 - 4 - 81, das Datum der Hochzeit des Paares. Die Gerichtsmediziner fanden außerdem heraus, dass die Frau mindestens einmal ein Kind zur Welt gebracht hatte. Besonders grausam: Als sie angezündet wurde, lebte sie noch. "Die junge Frau hat noch geatmet", sagt Bauer.

Mordermittler Klaus Bauer

Mordermittler Klaus Bauer

Abgesehen vom Ehering trug die Unbekannte zwei weitere Schmuckstücke: eine Kette mit einem Eulen-Anhänger und eine Rolex-Armbanduhr, die exakt um 1.40 Uhr stehen geblieben ist. Es scheint der Tatzeitpunkt zu sein, da das Uhrwerk einen Ankerschaden hatte, der wahrscheinlich durch die Schläge gegen den Körper der Frau entstanden ist.

An Zufallsopfer glaubt Bauer nicht. "Das würde auf einen Raubmord hindeuten. Das schließen wir aber aus, weil der Schmuck ja noch da war." Es spricht also einiges dafür, dass es zwischen Täter und Opfer eine Verbindung gab. Außerdem war der Fundort auch der Tatort. "Die Frau lief auf dem Gelände des Rastplatzes zuvor herum. An ihrem Schuhabsatz wurden Gräser gefunden, die dort wachsen", erklärt der Kripo-Beamte.


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Schmuck und Kleidungsstücke der Opfer verrieten, woher das Ehepaar stammt: aus Italien. Das Textil, das die Frau trug, stammt aus der Region Vicenza. "Die Teile wurden ausschließlich in Italien vertrieben, sie müssen dort auch gekauft worden sein", erklärt der Kriminalhauptkommissar. Die Ermittlungen konzentrierten sich daher schon ab Mai 1983 auf Italien. Man fragte in dortigen Diözesen und Kirchenämtern, ob am 3. April 1981 (Gravur Eheringe) Vermählungen stattfanden. Doch die Gefragten hielten sich mit Auskünften zurück. Die Ermittlungen drohten stecken zu bleiben.

Dann aber kamen die Erlanger Kripo-Beamten auf die Idee, mit den Bildern, die von den Opfern angefertigt wurden, den Schmuckstücken und weiteren Fundstücken in Italien an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn im dortigen Fernsehprogramm Rai 3 gibt es eine Sendung, die vergleichbar ist mit der ZDF-Fahndungssendung "Aktenzeichen XY … ungelöst". Sie heißt: "Chi l‘ha visto?" (Wer hat es gesehen?). Den Kontakt zum italienischen Fernsehen organisierte ein Berliner Journalist.

Im November 2017 wurde der Beitrag über den Doppelmord am Autobahnrastplatz bei Erlangen ausgestrahlt. 100 Hinweise gingen danach ein. Eine Anruferin war vielversprechend. Die Getötete auf dem veröffentlichten Bild erinnere sie an eine Frau, die mit ihrem Mann in der Nähe von Frankfurt lebte. Klaus Bauer beantragte Rechtshilfe, konnte nach Süditalien fahren und die Zeugin vernehmen. Parallel dazu läuft derzeit in Italien ein Abgleich der Opfer-DNA, die damals durch das Blut am Rastplatz gesichert wurden.

"Man muss den Zeugen Zeit lassen, sich zu erinnern"

"Franca" und "Franco" sollen die beiden Ermordeten heißen. Die Zeugin habe mit dem Ehepaar zu einer Gruppe italienischer Gastarbeiter gehört, die in derselben Firma gearbeitet hätten. "Das liegt alles sehr lange zurück. Deshalb muss man den Zeugen viel Zeit lassen, so dass sie sich so genau wie möglich an die Menschen und die Umgebung von damals erinnern können", sagt Bauer. Franca habe außerdem ein Kind gehabt, auf das die Zeugin gelegentlich aufgepasst habe. "Wir wissen, dass das Opfer einmal entbunden hatte. Das Alter des Kindes stimmt mit den Ergebnissen der Rechtsmedizin zum Entbindungszeitraum überein." Wo sich das Kind heute aufhält, ist noch nicht bekannt. "Wir ermitteln derzeit in Frankfurt. Aber auch in Italien werden weitere Personen vernommen." Vielleicht steht die Identität der Opfer bald fest.

Und die Täter? Eine Spur führt zur organisierten Kriminalität, der Mafia. "Es gibt vergleichbare Todesumstände in Italien. Menschen wurden umgebracht und anschließend verbrannt. Das ist die Handschrift der Mafia", so Klaus Bauer. Den Verbrechern geht es darum, die Mordopfer unkenntlich zu machen. So, dass keine Identifizierung möglich ist. Mehr will Bauer zu diesem Komplex aber nicht verraten. "Das gefährdet sonst die Ermittlungen."