Schwangerschaftsabbrüche
Abschaffung von Artikel 218? Abgeordnete wollen mit neuem Gesetzesentwurf Abtreibung legalisieren
18.11.2024, 17:43 UhrDer Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ist laut Amnesty International ein Menschenrecht. Wie unsicher dieses Menschenrecht selbst in Demokratien ist, hat sich zuletzt allerdings in den USA gezeigt. Im Sommer hatte dort das oberste US-Gericht, der Supreme Court, das grundsätzliche Recht auf Abtreibung gekippt, damit war die Bahn frei für eigene Gesetze in den einzelnen Bundesstaaten. Mehrere haben das Recht daraufhin stark eingeschränkt, in einigen gilt inzwischen ein weitgehendes Abtreibungsverbot.
"Die USA haben gezeigt, dass nichts sicher ist", sagt Simone Hartmann von ProFamilia Nürnberg gegenüber unserer Redaktion. "Alles, was als Errungenschaft gilt, könnte sich auch wieder in eine Repression verwandeln." Das sei zum Teil auch der Grund, warum Politikerinnen und Politiker in Deutschland so lange die Füße still gehalten haben. Die Befürchtung, dass es bei einer Diskussion über eine Veränderung zu einer Verschlechterung kommen könnte, sei immer präsent.
Denn in Deutschland steht Abtreibung eigentlich unter Strafe. Seit 1871 ist in Artikel 218 des Strafgesetzbuches festgeschrieben, dass Schwangerschaftsabbrüche illegal sind. Damals wurden noch bis zu fünf Jahre Zuchthaus angedroht, mindestens aber sechs Monate Gefängnis. Heute reicht die vorgesehene Strafe von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Unter bestimmten Bedingungen darf allerdings straffrei abgetrieben werden. Bis zur zwölften Schwangerschaftswoche und mit einem verpflichtenden Beratungsgespräch ist die Abtreibung also trotz Paragraph 218, wie der Gesetzestext juristisch korrekt bezeichnet wird, möglich.
Neuregelung des Artikel 218?
Offiziell illegal ist sie aber trotzdem. Das wirke sich auch auf das Klima in der Bevölkerung aus, sagt Simone Hartmann. Es befeuere also den Eindruck, dass Abtreibungen eigentlich etwas Falsches oder Verbotenes sind. "Dabei ist es unglaublich wichtig, dass Frauen selbstbestimmt entscheiden dürfen", sagt Hartmann.
Wie wichtig zeigt erneut ein Blick in die USA, wo nach dem Wahlsieg von Donald Trump der US-Influencer Nick Fuentes schadenfroh in die Kamera ruft: "Your body, my choice." Also "dein Körper, meine Entscheidung."
In Deutschland könnte zumindest mit dem grundsätzlichen Verbot von Abtreibungen bald Schluss sein. Eine fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten hat einen Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht, der fordert, dass ein Schwangerschaftsabbruch bis zu zwölften Schwangerschaftswoche nicht mehr rechtswidrig sein soll. Der Entwurf entstand auf Initiative von Grünen und SPD, wurde von 240 Abgeordneten aus den Fraktionen der Grünen, der SPD und der Linken unterschrieben und zielt auf eine Neuregelung von Paragraf 218 ab.
"Die Grundrechte von Schwangeren setzen staatlichem Handeln Grenzen"
Nach Ende der zwölften Schwangerschaftswoche soll eine Abtreibung weiterhin rechtswidrig bleiben. Die Regelungen sollen hier bleiben wie bisher: Beim Vorlegen einer medizinischen Indikation nach deren ärztlicher Feststellung kann der Schwangerschaftsabbruch auch dann trotzdem rechtmäßig sein.
"Aufgrund der praktischen Auswirkungen stellt die geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs eine erhebliche Einschränkung der Selbstbestimmung, der persönlichen Integrität und der körperlichen Autonomie Schwangerer dar und kann ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit Schaden zufügen", heißt es in dem Entwurf. Ziel sei es, Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch widerspruchsfrei so in die Gesamtrechtsordnung zu integrieren, dass die grundrechtlichen Positionen in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. "Das erfordert die Akzeptanz eigenverantwortlicher Entscheidungen Schwangerer über die Schwangerschaft jedenfalls in den ersten Wochen der Schwangerschaft." Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht zugunsten von Embryonen und Feten stehe einem solchen Konzept nicht entgegen. Die Grundrechte der Schwangeren setzten staatlichem Handeln Grenzen."
Vereine wie ProFamilia fordern zwar, selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche komplett aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. "Das gehört nicht ins Strafrecht", sagt Thomas Fricke, Landesgeschäftsführer von ProFamilia Bayern. "Wir gehen davon aus, dass man den Schwangeren vertrauen kann, bis zu welchem Zeitpunkt es noch okay ist, die Schwangerschaft nicht fortzuführen." Trotzdem wäre eine Änderung des Paragraphs 218 nach dem neuen Gesetzesentwurf ein großer Schritt für Frauenrechte und die Selbstbestimmung von Frauen* über ihren Körper und ihr Leben.
Die Pflicht der Beratung bleibt allerdings, nur ohne die Wartepflicht von drei Tagen zwischen Beratung und Abtreibung. Wird ein Schwangerschaftsabbruch ohne den Beratungsschein vorgenommen, sollen sich in Zukunft dann nur die ausführenden Ärzte und Ärztinnen, nicht aber die Schwangeren selbst strafbar machen.
Zeitdruck bei der Umsetzung
Ab dem 6. Dezember kann der Entwurf im Bundestag diskutiert werden, die zweite und dritte Lesung könnten demnach dann im Januar stattfinden. Viel Zeit hat die Regierung aber nicht mehr, nur bis zum 23. Februar kann der Bundestag in der aktuellen Besetzung noch Gesetze beschließen, dann finden die Neuwahlen statt.
Durch den Bruch der Ampel-Regierung ist nun die Zustimmung von Abgeordneten von FDP und Union nötig, um den Entwurf durch den Bundestag bringen. Bislang hätten noch keine Vertreterinnen und Vertreter dieser Parteien unterschrieben, laut Ulle Schauws von der SPD würden aber "vertrauensvolle und kollegiale Gespräche" geführt werden. Einige könnten sich die Zustimmung offenbar vorstellen.
CDU-Chef Merz kritisiert Gesetzesvorstoß
Von CDU-Chef Friedrich Merz wird es wenig überraschend aber wohl keine Zustimmung geben. Er kritisierte den Vorstoß und Kanzler Olaf Scholz, der ebenfalls unterschrieben hat, bereits scharf. Es handle sich um ein Thema, "das wie kein zweites das Land polarisiert, das wie kein zweites geeignet ist, einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen".
Dabei zeigt eine repräsentative Studie vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dass es in der Bevölkerung eine hohe Zustimmung zur reproduktiven Selbstbestimmung der Frau in der frühen Schwangerschaft, also bis zu zwölften Woche, gibt. Der Aussage, dass es schlussendlich immer die persönliche Entscheidung der Frau sein sollte, ob sie eine Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen fortsetzen möchte oder nicht, stimmten insgesamt 83,3 Prozent zu, eine große Mehrheit der Bevölkerung also. Auch Menschen, die vorhaben CDU/CSU und FDP zu wählen, stimmten mit 81,6 und 82,4 Prozent dafür.
Der von Merz gefürchtete Großkonflikt dürfte nach dieser Studie also gar nicht erst zustande kommen, weil sowieso ein Großteil der Bevölkerung dafür ist, dass Schwangere bis zur zwölften Schwangerschaftswoche selbst entscheiden dürfen. Zeichnet sich dieses Meinungsbild auch in etwa im Bundestag ab, könnte der Gesetzesentwurf sogar noch vor den Neuwahlen umgesetzt werden.