Aus für "Lindenstraße": "Das wird eine lange Trauerarbeit"
16.11.2018, 17:02 UhrWer das Glück oder wahlweise auch das biographische Pech hatte, die letzten 33 Jahre mit den Klings, den Beimers, den Zenkers oder den Dagdelens zu altern, der kann nochvollziehen: Es geht mit der "Lindenstaße" ein Teil von mir selbst. Die Biographien von Lisa oder Carsten Flöter sind mir jedenfalls präsenter als die meiner Geschwister. Klar, bei denen macht man ja auch kein wöchentliches Update. Einer meiner Brüder lebt in Kanada und trotz des digitalen Zeitalters dauert es immer eine gewisse Zeit, bis ich wieder auf dem neuesten Stand bin. Sonntag, 18.50 Uhr, ARD (und wenn‘s ging ab 20.15 Uhr auch der "Tatort" im nämlichen Kanal) sind Konstanten, die der Woche Struktur und Inhalt geben. Der Rest-Theologe in mir würde sogar von einer Art Liturgie sprechen. Gut. "Kunst & Krempel" und "Sag‘ die Wahrheit" bleiben ja noch erhalten, aber sie haben halt nicht den gewissen Durchs-Schlüsselloch-Guck-Effekt wie so eine Nachbarschafts-Serie, bei der man mit den Mitbewohnern durch wenige Höhen und viel mehr Tiefen gewandert ist.
Von keinem anderen Schauspieler könnte ich Tattoos körpergeographisch so genau zuordnen wie eben bei "Jack" Aichinger oder Nico Zenker. Wenn ich jemandem mein Herz ausschütten müsste, dann eindeutig bei Gaby Zenker, die mich seit der ersten Folge mit ihrer Salzkammergut-Dialektfarbe fasziniert. Und eigentlich kenne ich in meinem Freundeskreis keinen, der Alex Behrend von der Bettkante stoßen würde. Projektionen. Ich weiß. Aber wohlige. Und dann geht eben auch ein Stück Unterhaltungswert: Die Sprüche einer Else Kling oder einer Frau von der Marwitz waren einfach unnachahmlich. Klar, dass einen das 3000. "Sagen wir mal" von Erich Schiller oder die 423. Spiegelei-Braterei von Helga Beimer auch nerven konnten.
"Niemals geht man so ganz"
Dabei leiste ich doch schon seit frühesten Tagen Trauerarbeit in Sachen "Lindenstraße". Der Serientod von Franz Schildknecht erfolgte ja schon 1993. Tatsächlich starb Schauspieler Raimund Gensel 2002 in Nürnberg . Seither vermisse ich den fröhlichen Italiener Natale Pavarotti (wenn einer schon Weihnachten und Tenorgröße heißt, hat er eh‘ bei mir gewonnen), die sonore Stimme von Egon Kling, den eher herben Charme von Klavierlehrerin Berta Griese und in jüngster Zeit, den von mir immer noch nicht verarbeiteten Abgang von Momo. Daran kaue ich immer noch. Wie soll das erst noch werden, wenn Mutter Beimer und Jo Zenker, Gung oder Murat auf einmal ihr Bildschirmleben verlieren werden?
"Niemals geht man so ganz". Ja, Trude Herr, Du hast gut reden. Du warst nie in Köln-Bocklemünd am Set und hast mit Deinem Song doch der Folge 1662 ihren prägnanten Titel gegeben. Ich werde jetzt ganz stark sein müssen. Es gab ein unbedeutendes Leben vor der "Lindenstraße", es gab ein spannendes Leben mit der "Lindenstraße" und es wird ein Leben nach der "Lindenstraße" geben müssen. Unvorstellbar. Ungenießbar. Unglaublich. Immerhin zeigten die ARD-Verantwortlichen noch einen Rest an Takt und Pietät: Die Nachricht vom baldigen Ableben der "Lindenstraße" erreichte uns noch rechtzeitig zum Volkstrauertag. . .
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