Die Regierung muss eine kluge Exit-Strategie finden

Michael Husarek

Chefredakteur Nürnberger Nachrichten

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28.4.2020, 16:46 Uhr

Ministerpräsident Markus Söder zog am Dienstag eine erste Bilanz zu den seit Montag gültigen Lockerungen in der Corona-Krise. Dabei nahm er auch Bezug zur Öffnungsdebatte, die in sämtlichen Medienhäusern und natürlich im Bundes- Und Landttag selbst in alle Richtungen geführt wird. "Ich lese Kommentare von ein und derselben Zeitung, wo Chefredakteure, veritable Persönlichkeiten, einen Kommentar Pro schreiben, einen Kommentar Contra. Ich glaube, diese Gratwanderung umfasst weite Teile unserer Bevölkerung. Wie schnell kann es gehen? Ich rate uns Sensibilität zu zeigen.", erklärte Söder bei der Live-Schaltung. Dem Anschein nach nahm der Ministerpräsident dabei Bezug auf die beiden Pro- und Contra-Kommentare der Chefredakteure der Nürnberger Nachrichten. Lesen Sie hier, warum NN-Chefredakteur Michael Husarek eine kluge Exit-Strategie für notwendig hält. (Anbei dazu können Sie den Pro-Kommentar von Chefredakteur Alexander Jungkunz hier nachlesen: Darum handelt die Regierung richtig.):

Haben Sie heute schon eine Orgie gefeiert? Wohl nicht. Keinem Menschen und ganz gewiss keinem Länderchef steht der Sinn nach "Öffnungsdiskussionsorgien" (O-Ton Bundeskanzlerin Merkel). Viele lechzen hingegen nach ein bisschen mehr Freiheit. Das ist nachvollziehbar und sollte nicht stigmatisiert ("Orgien") werden.

Damit wird nur eine unnötige Frontlinie mitten durch unsere Gesellschaft gezogen. Denn kein vernünftiger Mensch will in den nächsten Monaten Massenveranstaltungen besuchen, fast jeder hat Verständnis für das Wahren bestimmter Abstandsregeln.


Kommentar zu Corona-Maßnahmen: Die Regierung handelt richtig


Allerdings muss das Gebot der Verhältnismäßigkeit zum bestimmenden Maßstab des politischen Handelns werden. Dabei hilft es, unbequeme Fragen zu stellen: Ist es weniger schlimm, wenn eine Seniorin in einem Pflegeheim an wochenlanger Vereinsamung stirbt als an Covid-19? Ist es noch länger hinnehmbar, Kinder zu isolieren und sie somit jeglicher Kontakte zu Gleichaltrigen zu berauben? Warnungen von Experten vor den Folgen ignoriert die Politik bislang konsequent.

Was die nächste Frage aufwirft: Sind die Jüngsten weniger systemrelevant als die Alten? Wie lange kann Familien die derzeitige Belastung (Arbeit, Betreuung und Bildung unter einen Hut zu bringen) noch zugemutet werden?

Zu all diesen Fragen bleiben die Regierungen in Bund und Land differenzierte Antworten schuldig. Dabei wiegen die gesellschaftlichen Folgen für mich mindestens so schwer wie die Bedenken der Virologen. Unterdessen werden Statistiken des Robert Koch-Instituts heruntergebetet. Wobei unklar ist, wie diese Zahlen zu interpretieren sind. Wie viele der Infizierten starben wirklich an Corona? Und wie aussagekräftig ist die Reproduktionsrate? Die Politik hat Verantwortung übernommen, sie hat mit dem Lockdown massivste wirtschaftliche Folgen ganz bewusst in Kauf genommen. Doch die Koste-es-was- es-wolle-Phase ist vorbei. Die Coronakrise wird jetzt, da es um Lockerungen geht, erst so richtig kompliziert. Statt weiterhin Einbahnstraßenpolitik zu betreiben muss eine kluge Exit-Strategie gefunden werden. Den Bürgern ihre Grundrechte zurückzugeben, das ist weder zügellos noch ausschweifend.


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