Ein Jahr große Liebe: CSU und Freie Wähler loben Koalition

Roland Englisch

Nürnberger Nachrichten

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5.11.2019, 05:48 Uhr
Ein Jahr große Liebe: CSU und Freie Wähler loben Koalition

© Matthias Balk/dpa

Ein Jahr dauert die Beziehung nun schon, und die Liebe beruht wohl auf Gegenseitigkeit. "Sehr zufrieden", sei er, sagt Markus Söder, Chef der von Aiwanger so umschwärmten CSU. "Wir leben diese Koalition in einem guten Miteinander." Auch menschlich sei "die Zusammenarbeit sehr gut". Ursächlich, findet Söder, sei das Gemeinsame: "Wir haben einen festen Kanon an gemeinsamen bürgerlichen Überzeugungen."

Grundverschiedene Typen

Tatsächlich schätzt der Nürnberger den Rahstorfer. Auch wenn ihre Welten nicht unterschiedlicher sein könnten. Söder, aufgewachsen in Nürnberg, steht für die Großstadt-CSU. Aiwanger, dessen Hof nahe Rottenburg an der Laaber liegt, verkörpert mit jeder Faser den ländlichen Typ. Der eine ist Jurist, der andere Agraringenieur. Der eine ist verheiratet, hat vier Kinder von zwei Frauen; der andere lebt in wilder Ehe und hat zwei Kinder. Der eine ist Protestant, der andere Katholik.

In ihrem Politikverständnis allerdings sind sie sich ähnlich. Hubert Aiwanger führt seine Freien Wähler als Ein-Mann-Show, ist Landes- und Bundesvorsitzender, war bis zur Wahl 2018 ihr Fraktionschef, ist heute Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident. Und redet gerne und jederzeit seinen Parteifreunden (und denen von der CSU) in die Geschäfte hinein.

Söder bestimmt, Kabinett muss liefern

Söder führt die CSU-Minister in seinem Kabinett mit straffer Hand. Wer nicht liefert, was er sich vorstellt, bekommt schon mal eine schmallippige SMS mit einem schlichten "Schade". Thematisch hat der Nürnberger die Arbeit auf sich zugeschnitten. Er bestimmt die Linien, die Handlungsfelder. Informationen teilt er spärlich; vor Regierungserklärungen und Kabinettsbildungen etwa kennen seine Parteifreunde allenfalls Teile, nie das ganze Bild.

Beide haben ein robustes Verständnis von Politik. Als Generalsekretär war Söder wenig zimperlich, wenn er die politischen Gegner anging. Gleichzeitig suchte er nach Themen, die populär sind. Sein Kampf für die Mainzelmännchen zählt dazu. Oder seine Forderung, Jugendliche unter 14 Jahren sollten nach 20 Uhr nicht mehr auf die Straße dürfen.

Mit der Rakete zum Mond schießen

Aiwanger wiederum packt den Säbel aus, wenn er gegen den Gegner ins Feld zieht. Auch gegen Söder. Dessen Politik sei "von Showeffekten getrieben", sagt er dann, bescheinigt sich selbst "gesunden Menschenverstand" und setzt ihn "gegen Söders Größenwahn". Wenn der ernsthaft ein Weltraumprogramm aufsetzen wolle, dann wisse er, Aiwanger, wen er als Ersten mit der Rakete zum Mond schießen würde: Markus Söder.

Das war im Wahlkampf. Söder ist noch auf der Erde und Aiwanger mittlerweile fest an seiner Seite. Die beiden duzen und schätzen sich. Und auch wenn alle betonen, wie hart das Ringen gewesen sei, haben CSU und Freie Wähler in erstaunlich kurzer Zeit ihr Vertragswerk ausgehandelt.

Es ist ein Experiment, das zehn Jahre zuvor noch an Horst Seehofer gescheitert war. Der wollte die Freien Wähler nicht ins Boot holen, als er eine Koalition schmieden musste nach der Landtagswahl 2008. "Fleisch vom Fleisch der CSU" seien die. Wer sie in die Regierung holt, der mache sie nur stark. Seehofer wählte die FDP. Und zermalmte sie binnen fünf Jahren mit seinem Führungsstil.

Aiwanger fremdelt mit Rolle

Söder agiert anders. Er hat die Freien Wähler ins Boot geholt, mit ihnen einen Koalitionsvertrag entworfen, der in vielen Punkten der CSU-Linie folgt und in einigen der der Freien Wähler. Er erkauft sich den Frieden mit sehr viel Geld. Der Härtefallfonds für die Strabs und ihr Aus insgesamt gehört dazu, das kostenfreie letzte Kindergartenjahr, das Aus für den Umbau des Riedberger Horns. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten verzichtet die CSU auf das Bildungsministerium, legt das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium obendrauf. Letzteres führt seitdem Hubert Aiwanger. Der Forchheimer Thorsten Glauber hat das Umweltressort übernommen – eine Wahl, die viele skeptisch gesehen hatten, die inzwischen aber allgemein auf Zustimmung trifft.

Aiwanger dagegen fremdelt mit seiner Rolle. Weil seine erste Aktion ein Wirtshausprogramm für das Land ist, gilt er fortan als Gastwirtschaftsminister. Wirtschaftsbosse, heißt es, gingen lieber direkt zu Söder als zu Aiwanger. Der mischt sich in die Themen seines Umweltministers ein, und in die der CSU-Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber auch. Die legt dem Aktenhasser Aiwanger dafür gerne mal ein Bündel Papiere auf den Kabinettstisch, auf dass er sich einarbeite. Freunde werden die beiden nicht mehr.

Keine Konflikte

Doch unter dem Strich poppen keine großen Konfliktlinien auf; selbst Söders radikalen Schwenk in der Umweltpolitik gehen die Freien Wähler mit, wenn auch widerstrebend. Aiwanger macht seitdem, was die CSU seit Jahrzehnten in Berlin praktiziert hat: Er stimmt in München zu und geht draußen auf Distanz.

Er kämpft gegen die Stromtrassen; er nennt das Volksbegehren Artenschutz "einen Kartoffelsack"; er stimmt in München dafür und rät dann den Landwirten, "verlasst euch nicht auf die Politik, sondern sucht euch euren eigenen Weg". In der CSU schätzen sie Aiwangers Attacken nicht. Doch Söder nimmt sie hin, auch, weil ihm der Stil vertraut ist. Aiwanger selbst hält seine Linie für in Ordnung. "Wir können die Bauern nicht im Regen stehen lassen", sagt er ganz so, als ob die CSU das täte.

Und so gibt der eine den Populisten, der auch auf die AfD-Wähler schielt. Der andere erfindet sich neu als Staatsmann und Landesvater, der über den Dingen steht. Selbst der Rüffel bleibt milde, den Söder auf Druck seiner Partei den Freien Wählern erteilt. "Alles wird in München von beiden beschlossen, von CSU und Freien Wählern", sagt er. "Von den Entscheidungen in München kann sich keiner vom Acker machen." Wie das eben so ist in einer Beziehung, sie hat ihre Höhen und Tiefen.

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