Entwicklungsminister Müller fordert mehr Engagement in Afrika

Interview: Alexander Jungkunz

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17.1.2020, 12:26 Uhr
Entwicklungsminister Müller fordert mehr Engagement in Afrika

© Foto: Gwenn Dubourthoumieu/afp

Herr Minister, Ihr Parteichef möchte das Bundeskabinett auffrischen und verjüngen. Haben Sie Angst um Ihren Job, sind Sie zu alt?

Müller: Ich habe eine klare Agenda für die nächsten Jahre. Die arbeite ich entschlossen ab. Es kommt nicht aufs Alter an, sondern auf Tatkraft und Erfahrung in der Welt. Das ist in meinem Amt sehr wichtig. Im Übrigen: In den USA wäre ich im besten Alter, um mich als Präsident zu bewerben… (lacht)

Es gab immer wieder Kabinettsumbildungen. Wäre so etwas nicht auch für diese Große Koalition gut mit ihrem durchwachsenen Image – neue Gesichter?

Müller: Wir müssen mehr über die Erfolge reden. Wenn wir das nicht einmal selber machen, wer dann? Vor zwei Jahren hat Deutschland sehr emotional über die Obergrenze debattiert.

Die CSU hat sie durchgesetzt. Wir haben die Zuwanderung begrenzt und waren 2019 nicht bei 200.000, sondern bei 130.000 Zuwanderern.

Das ist ein Riesenfortschritt. Oder der BAMF-Skandal: Die Nürnberger Behörde ist wieder auf solide Beine gestellt. Auch ich kann auf eine gute Bilanz verweisen – mit der Stabilisierung der Flüchtlingsregionen rund um Syrien, dem „Marshallplan mit Afrika“ und beim globalen Klimaschutz sind wir führend in der Welt. Die CSU ist der stabile Faktor dieser Regierung.

Was nehmen Sie sich konkret vor für die zweite Halbzeit?

Müller: Deutschland übernimmt im zweiten Halbjahr den Ratsvorsitz der EU, und in meine Zuständigkeit fällt der Abschluss eines neuen EU-Afrika-Vertrages. Das muss ein Jahrhundertvertrag werden mit vier Schwerpunkten: 1. Wir brauchen gemeinsame Sicherheitsstrukturen – dazu lege ich jetzt ein neues Sahel-Programm auf. 2. Wir brauchen ein Abkommen über geregelte Migration – da geht es um Fachkräftezuwanderung, aber auch um Zuwanderungsbegrenzung. 3. Wir brauchen einen Neuansatz in den Handelsbeziehungen mit fairen Lieferketten. Europa darf Menschen und Natur in Afrika nicht weiter ausbeuten, sondern wir müssen Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort schaffen. 4. Wir brauchen eine Energie- und Klimapartnerschaft mit Afrika.

Ohne Afrika stehen die Bänder still

Worum soll es dabei gehen?

Gerd Müller (64) ist seit Ende 2013 Bundesentwicklungsminister. Der Schwabe setzt sich vor allem für faire Handelsbedingungen und Lieferketten ein.

Gerd Müller (64) ist seit Ende 2013 Bundesentwicklungsminister. Der Schwabe setzt sich vor allem für faire Handelsbedingungen und Lieferketten ein. © Foto: Alexander Jungkunz

Müller: Europa benötigt mehr saubere Energie und Afrika hat genug Sonne und Wasserkraft, sie zu liefern. Wir führen die Klima-Debatte viel zu national. Klimaschutz macht nicht an den Grenzen Europas halt. Teil des Green Deals der EU muss daher ein ambitioniertes Investitionspaket für den Ausbau erneuerbarer Energie in Afrika sein. Sonst erreichen wir das 1,5-Grad-Ziel nie.

Derzeit sind in Afrika 450 Kohlekraftwerke in Planung oder Bau. Wenn diese umgesetzt werden, sind die europäischen Anstrengungen so gut wie wirkungslos. Daher entscheidet sich die Überlebensfrage Klima in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Wenn wir das nicht begreifen, dann hat unser Planet keine Zukunft.

Was für Projekte peilen Sie da konkret an?

Müller: Wir steigen momentan zusammen mit Marokko in die Methanol-Produktion ein. Solche klimaneutralen Kraftstoffe benötigen wir dringend für die Verkehrs- und Energiewende auch in Deutschland. Methanol ist leicht zu transportieren und kann als "grünes Benzin" für Autos oder zum Heizen verwendet werden - mit einem CO2-Ausstoß von Null. Ich mache mir Sorgen, wie wir dieses für die Automobilindustrie wichtige Thema derzeit angehen. Uns fehlt die Offenheit für neue Technologien wie Methanol oder Wasserstoff, die unsere Schlüsselindustrien stärken.

Sie peilen strategische Partnerschaften an - mit welchem Ziel?

Müller: Wir müssen uns klar machen: Ohne Afrika stehen die Bänder in Wolfsburg oder Dingolfing still. Weil Rohstoffe wie Kobalt, Koltan, Kupfer und Lithium zu 90 Prozent aus Afrika kommen – Rohstoffe, die wir etwa für Batterien brauchen, die aber zu 90 Prozent schon in chinesischen Händen sind. Deswegen fördern wir 2020 verstärkt den Markteintritt deutscher Unternehmen auf die Zukunftsmärkte in Afrika.

Die Produktionsbedingungen in Afrika sind oft erbärmlich – Kinderarbeit, Hungerlöhne… Das ist für die Rohstoff-Importeure bequem und vor allem billig. Wie wollen Sie das denn ändern?

Müller: In der Tat wird zu oft weder auf Mensch noch die Natur Rücksicht genommen. Ich habe das selbst in Kupfer-Minen gesehen. Anderes Beispiel: Wir trinken hier Kaffee – der kommt aus Westafrika. Das Kilo kostet bei uns 8 oder 10 Euro. Die Plantagen-Arbeiter erhalten davon nur 50 Cent. Davon kann keiner leben!

Deswegen müssen auch die Kinder schuften. Wir brauchen faire Lieferketten – nur so schaffen wir echte Lebensperspektiven für die Menschen vor Ort.

Sie stoßen aber im eigenen Kabinett auf Widerstand; der Wirtschaftsminister lehnt Ihre Pläne für faire Handesketten ab. Was sagen Sie ihm?

Müller: Es ist doch an sich recht einfach: Lösen wir die Probleme der Bevölkerungsexplosion, der Arbeitsplätze für Millionen von Afrikanern nicht vor Ort, dann kommen diese Probleme zu uns. Wer das heute nicht einsieht, wird morgen mit den Folgen konfrontiert. Es wird nicht funktionieren, die Menschen in Afrika in Armut zurückzulassen und unseren Wohlstand hier in Europa einzuzäunen.

Wir sollten vielmehr die großen Chancen sehen, die Afrika uns bietet. Es gibt dort ein enormes Investitionspotenzial. Ich sage deutschen Firmen: auf nach Afrika! In den nächsten zehn Jahren wird dort so viel gebaut wie in den letzten 100 Jahren in ganz Europa – ein Bauboom ohne gleichen. Die zweite Boombranche ist die Energie. 600 Millionen Menschen haben in Afrika noch keinen Stromanschluss.

Jetzt kommt es darauf an, gleich auf grüne Technologie zu setzen. Deutschland ist führend – das schafft Arbeitsplätze hier und in Afrika und stärkt die Technologieführerschaft in Deutschland.

"Wenn wir investieren, können wir künftige Flüchtlingsströme verhindern"

Müssen wir mit neuen Flüchtlingsströmen rechnen?

Müller: Rund 90 Prozent aller Flüchtlinge finden Aufnahme in Entwicklungsländern. Deswegen sind wir in den Herkunfts- und Transitregionen aktiv und investieren massiv in Bleibeperspektiven. Es wären in den letzten Jahren wahrscheinlich Hunderttausende zusätzlich gekommen, wenn wir nicht im Krisenbogen Syrien und Irak erheblich zur Stabilisierung der Situation in den Flüchtlingslagern beigetragen hätten.

Das ist auch eine Frage der Effizienz: Die Flüchtlinge, die seit 2015 zu uns kamen, kosten Bund und Länder noch immer jährlich über 20 Milliarden Euro. In den Flüchtlingscamps können wir das Überleben eines Kindes dagegen bereits mit 50 Cent pro Tag sichern. Und wenn ich zehn Familien in den Camps frage, wo sie ihre Zukunft sehen, dann sagen zehn: Wir wollen nach Hause. Wenn wir da investieren, können wir am wirksamsten künftige Flüchtlingsströme verhindern.

Auch der Klimawandel treibt Menschen in die Flucht...

Müller: Immer stärker. Der Klimawandel bedeutet in Afrika nicht 40, sondern 50 Grad. Ich war in der Sahelzone - mancherorts hat es drei Jahre lang nicht geregnet. Erst verdorren die Pflanzen, dann stirbt das Vieh. 20 Millionen Klimaflüchtlinge gibt es dort bereits. Das bildet neuen Nährboden für Terroristen wie Boko Haram und den IS: Wenn nichts mehr bleibt, dann haben solche Gruppen es leicht, Nachwuchs für einen Dollar Sold zu rekrutieren.

Mit einem weltweiten Engagement von 30 Milliarden Euro pro Jahr können wir eine Welt ohne Hunger schaffen - was ist das für eine Botschaft! Für Rüstung und Verteidigung geben wir weltweit jährlich 1700 Milliarden aus – für Entwicklung und Humanität nur 170 Milliarden. Bei diesem Verhältnis müssten doch alle aufstehen und sagen: Das machen wir jetzt!

Warum wirken Sie oft wie der buchstäbliche Rufer aus der Wüste?

Müller: Wir brauchen klare Botschaften, sonst rüttelt das niemanden wach. Wenn wir den Menschen in Afrika nicht helfen, werden wir das später selbst zu spüren bekommen. Vor 30 Jahren hat die Weltgemeinschaft das "0,7-Ziel" formuliert – 0,7 Prozent der Ausgaben für Entwicklung und Frieden. Alle Welt redet über zwei Prozent für Rüstung und Verteidigung – also bringen wir das mal zusammen, dann lösen wir viele Probleme.

Manche sagen: Deutsche Minister sollen deutsche Steuergelder erst einmal für Deutsche ausgeben. Was halten Sie dagegen?

Müller: Der Starke muss dem Schwachen helfen. Das ist meine Grundüberzeugung als Christ in der Politik. Unser Wohlstand ist selbst erarbeitet, er basiert aber auch auf der Ausbeutung der Ressourcen der Entwicklungsländer. Unser Glück darf nicht deren Pech sein. Deswegen haben wir eine starke humanitäre Verpflichtung, aber auch ein ganz erhebliches Eigeninteresse in Frieden, Entwicklung und den globalen Klimaschutz zu investieren.

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