EU-Impfpass: Politiker warnen vor überzogenen Erwartungen

27.2.2021, 09:52 Uhr

Politiker warnen parteiübergreifend vor zu hohen Erwartungen an einen EU-Impfpass. Mehrere Branchen, die besonders unter der Corona-Pandemie leiden, setzen hingegen große Hoffnungen in einen solchen Nachweis. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union verständigten sich am Donnerstag darauf, dass innerhalb der nächsten drei Monate ein europäischer Impfpass entwickelt werden soll. Unklar ist aber noch, welche Erleichterungen damit verbunden sein werden.


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CDU-Chef Armin Laschet wertete die Pläne für einen solchen Impfpass vor allem als Signal für gemeinsames Handeln in Europa. Er mahnte aber in der "Rhein-Zeitung" (Samstag): "Auf Dauer dürfen wir die Menschen aber nicht einteilen in Geimpfte und Nicht-Geimpfte. Wir müssen insgesamt Grundrechtseingriffe zurücknehmen und Leben wieder möglich machen, für alle - und nicht nur für die, die geimpft sind."

Die SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar sagte der "Welt" (Samstag): "Ein europäisches Impfzertifikat ist kein Freifahrtschein mit Privilegien für Einzelne." Der Linke-Gesundheitsexperte Achim Kessler warnte in der Zeitung, das "Spaltungspotenzial eines Impfausweises" sei enorm. Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche mahnte in der "Welt": "Die Frage eines europäischen Impfpasses für die Covid-19-Impfung und eine damit einhergehende Andersbehandlung Geimpfter stellt sich so lange nicht abschließend, bis die Daten verlässlich zeigen, inwieweit die Immunität anhält und ob eine Transmission des Virus durch die Impfung verhindert werden kann."

TUI-Vorstandschef Friedrich Joussen, sagte hingegen der Zeitung, mit einem EU-einheitlichen Nachweis könne die Politik jetzt eine wichtige Basis für das Reisen im Sommer schaffen. Die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, Ingrid Hartges, betonte im "Focus", sobald ausreichend Impfstoff vorhanden sei, müsse man "Geimpften ihre Freiheiten zurückgeben." "Es hat nichts mit Privilegien zu tun, wenn für Geimpfte, die andere nicht mehr anstecken können, die Grundrechte wieder gelten und sie auch wieder reisen können", sagte der Geschäftsführer des Deutschen Tourismusverbandes, Norbert Kunz, dem Nachrichtenmagazin. Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, forderte im "Focus": "Wer nachweislich geimpft ist, sollte in jedem Fall von den Quarantänebestimmungen ausgenommen werden."

Zahlreiche Politiker mahnten unterdessen vor dem nächsten Bund-Länder-Treffen am Mittwoch zur Vorsicht bei möglichen Lockerungen der Corona-Beschränkungen. Es gehe darum, in "kleinen, vorsichtigen Schritten" etwas zu ermöglichen, sagte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) am Freitagabend beim digitalen Jahresempfang der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Wiesbaden. Das Schlimmste wäre: "Wir machen auf, stellen fest, es klappt nicht und dann sind die Zahlen wieder hoch und machen wieder relativ streng zu."

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte der Mediengruppe "Straubinger Tagblatt"/"Landshuter Zeitung" und der "Münchner Abendzeitung" (Samstag) ebenfalls: "Das Schlimmste wäre, wenn wir in drei Wochen wieder alles zurückdrehen müssten." Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) mahnte im "Reutlinger General-Anzeiger" (Samstag): "Es wäre niemand damit geholfen, wenn wir überhastet öffnen und wir müssten in wenigen Wochen wieder zumachen."

Kretschmann verteidigte zugleich seinen Vorstoß für eine stärkere Lockerung des Corona-Lockdowns mit Hilfe von Schnelltests. Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, bezeichnete es dagegen als "reines Wunschdenken", weitere Öffnungsschritte mit Schnelltests abzusichern. "Selbst für hunderttausende geimpfte Pflegeheimbewohner gibt es keine Freiheitsrechte, weil die täglichen Schnelltests für Besucher und Altenpflegekräfte fehlen", sagte Brysch den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). "Wie soll es dann in Einkaufszentren, Schulen, Universitäten, Kneipen oder Kinos funktionieren?" fragte er.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) erwartet, dass Bund und Länder einen "Perspektivplan" beschließen. Nach Schulen und Kitas sowie Friseuren gehe es nun zuerst um Perspektiven für den Einzelhandel und für die Kultur, sagte Dreyer der "Saarbrücker Zeitung" (Samstag). Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte dem "Tagesspiegel" (Samstag), nach der schrittweisen Öffnung von Schulen und Friseuren wären "verbunden mit der 35er-Inzidenz und sinkenden Werten oder verstärktem Testeinsatz, Einzelhandel und Kultur dran". Man müsse aber vorsichtig sein bei möglichen Öffnungsschritten. Müller betonte zugleich: "Wir können nicht dauerhaft im Lockdown leben."

In den vergangenen Tagen war die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland nicht mehr gesunken oder sogar gestiegen. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag laut RKI am Freitagmorgen bundesweit bei 62,6, also weit weg vom 35er-Ziel der Politik für weitere Lockerungen.

Der Gründer des Mainzer Unternehmens Biontech, Ugur Sahin, geht davon aus, dass die Infektionsrate in Deutschland erst "ab Ende Mai oder Anfang Juni einen deutlichen impfstoffbedingten Rückgang verzeichnen" könnte. "Bis zum Spätsommer sollten wir die Pandemie deutlich besser unter Kontrolle haben, wenn sich genügend Menschen impfen lassen", sagte der 55-Jährige dem "Spiegel". Das bedeute nicht, dass es keine neuen Ansteckungen mehr gebe. "Aber, dass wir ein normales Leben haben können." Sahin erwartet auch, dass die Menschen in einiger Zeit eine dritte Dosis einer Corona-Schutzimpfung brauchen könnten.

Bundesaußenminister Heiko Maas regte unterdessen einen europäischen Trauerakt für die Corona-Toten an. Über eine halbe Million Menschen hätten in Verbindung mit einer Corona-Infektion ihr Leben verloren, sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). "Ich würde mir sehr wünschen, dass wir der Verstorbenen auch in einem europäischen Akt gemeinsam gedenken", sagte Maas.

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© Sophia Kembowski, NNZ

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