Ex-Familienministerin Schmidt: "Die Erwerbsarbeit von Frauen wird zu gering entlohnt"

Hans-Peter Kastenhuber

Nürnberger Nachrichten

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21.10.2019, 20:21 Uhr
Ex-Familienministerin Schmidt:

© Foto: Andreas Gebert/dpa

Frau Schmidt, warum werden Sie Ihrem Grundsatz, sich nicht mehr zu tagespolitischen Debatten zu äußern, gerade beim Thema Grundrente untreu?

Renate Schmidt: Weil manchmal der Ärger, den man empfindet, so groß ist, dass man unter Umständen Magengeschwüre bekäme, wenn man sich nicht äußert. Und das will ich vermeiden.

Woher rührt Ihr gesundheitsgefährdender Ärger im konkreten Fall?

Schmidt: Ich finde, dass die Union mit ihrer Forderung nach einer Bedürftigkeitsprüfung geschichtsvergessen ist und sich nicht mehr an ihre eigenen Maximen hält.

Welche Maximen meinen Sie da?

Schmidt: Anfang der 70er Jahre hat die SPD in der Koalition mit der FDP die Rente nach Mindesteinkommen eingeführt hat. Sehr verkürzt beschrieben, ging es darum: Wer 25 Jahre eingezahlt und immer unterdurchschnittlich verdient hatte, der wurde auf das Niveau der Durchschnittseinkommen angehoben . . .

. . . ohne Bedürftigkeitsprüfung?

Schmidt: Ja, ohne. Und das wurde damals mit den Stimmen der Union verabschiedet. Die Begründung: Frauen haben wegen Kinderbetreuung weniger Versicherungsjahre und verdienen außerdem im Durchschnitt auch noch viel weniger als die Männer. Als das Ganze dann auslief, wurde die Regelung mit Zustimmung der Union verlängert. Anfang der 90er Jahre führte die Union in Koalition mit der FDP die Rente nach Mindestentgeltpunkten ein. Ohne Bedürftigkeitsprüfung. Begründet wurde es auch damals wieder damit, dass Frauen weniger verdienen als Männer, aber jetzt auch mit der Lebensleistung der Frauen, die ja – auch dank der konservativen Familienpolitik und aufgrund fehlender Betreuungseinrichtungen – unbezahlt in ihren Familien gearbeitet haben, ihre Erwerbsarbeit unterbrechen mussten oder nur Teilzeit arbeiten konnten.

Ex-Familienministerin Schmidt:

© Foto: Eduard Weigert

Das ist die Historie . . .

Schmidt: Zu ergänzen noch um die vor allem auf CSU-Drängen hin beschlossene Aufstockung der Mütterrente – leider finanziert durch Rentenversicherungsbeiträge und nicht durch Steuern, was richtig gewesen wäre. Auch sie kommt ohne Bedürftigkeitsprüfung aus. Davon profitieren Menschen wie ich, die ohnehin eine gute Altersversorgung haben. Es sollte honoriert werden, dass eine Frau Kinder zu betreuen hatte.


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Aber ist eine Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundrente nicht gerade deshalb ein Akt sozialer Gerechtigkeit?

Schmidt: Nein. Eine solche Regelung konterkariert vielmehr das Anliegen des Gesetzes. Es wäre eine Absage an eine eigenständige Altersversorgung der Frauen. Ihre Rente muss unabhängig vom Einkommen des Mannes sein. Ausgeglichen werden kann das, wenn die Frau mal den Mann überlebt und sie eine Hinterbliebenenrente bekommt. Dann kann man sicher die Anrechnungsmöglichkeiten verschärfen.


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War dann die SPD auch etwas geschichtsvergessen, als sie im Koalitionsvertrag einer Bedürftigkeitsregelung bei der Grundrente zustimmte?

Schmidt: Ich kann nicht beurteilen, wie das zustande kam. Ich habe nur folgende Sorgen: Eine Bedürftigkeitsprüfung wäre erstens ein bürokratischer Moloch. Und außerdem werden vor allem diejenigen unter die Räder kommen, die auch jetzt schon auf die Grundsicherung im Alter verzichten, weil sie nämlich eine Scheu davor haben, auf Ämter zu gehen oder weil sie sich einfach nicht so gut auskennen. Die es am nötigsten hätten und keine Ehepartner mit dickem Einkommen haben, die würde man zu einem großen Prozentsatz ausschließen. Und die Rente von Frauen darf nicht davon abhängig sein, wie hoch die Rente oder das Einkommen des Ehepartners ist. Auch was die Gleichstellungspolitik und die Emanzipation von Frauen angeht, halte ich eine Bedürftigkeitsprüfung für absolut kontraproduktiv und hoffe nur, dass da kein fauler Kompromiss zustande kommt.

Sie haben darauf hingewiesen: Bei den verschiedenen Rentenanhebungsmodellen der Vergangenheit wurde immer wieder auf die schlechtere Einkommenssituation von Frauen hingewiesen. Werden Frauen immer stärker von Altersarmut bedroht sein?

Schmidt: Da ist in der Tat eine der großen Gerechtigkeitslücken unserer Gesellschaft. Die Erwerbsarbeit von Frauen wird zu gering entlohnt. Warum ist das Arbeiten mit Menschen weniger wert als die Arbeit mit Dingen? Warum verdient man in der Pflege, im Krankenhaus oder als Erzieherin weniger als beim Reparieren von Autos? Uns müsste zudem endlich klar werden, dass die Betreuung von Kindern in der Familie eine gemeinschaftliche Aufgabe von Männern und Frauen ist. Dass man sich zum Beispiel Elternzeiten verbindlicher teilen sollte und es für ein Unternehmen dann ein – in Anführungszeichen – ähnlich großes Risiko ist, einen jungen Mann oder eine junge Frau einzustellen.

 

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