Amazon Greenpeace

Greenpeace-Recherche: Zerstört Amazon Neuware - und verstößt gegen Gesetz?

Marina Hochholzner

nordbayern.de

E-Mail zur Autorenseite

21.5.2021, 09:46 Uhr
Die Aufnahme zeigt, wie die Neuware vorsortiert wird, ehe sie zur Zerstörung abtransportiert wird.

© © Greenpeace Die Aufnahme zeigt, wie die Neuware vorsortiert wird, ehe sie zur Zerstörung abtransportiert wird.

Der Vorwurf von Greenpeace sitzt: Mit Videoaufnahmen wollen sie beweisen, dass der Onlinehändler Amazon völlig intakte Neuware zerstört. Aufgenommen wurde das am Standort Winsen (Niedersachsen). Greenpeace unterstellt: Dort werden an acht Arbeitsplätzen, die Amazon "Destroy-Stationen" nennt, originalverpackte Produkte für die Vernichtung vorsortiert. Die völlig intakte Neuware wird nach Wertstoffklassen sortiert und in Abfallsammelbehälter geworfen.

Bei den Produkten handelt es sich zum Beispiel um originalverpackte T-Shirts, Krawatten, Kuscheltiere, Bücher oder fabrikneue Elektroartikel, wie die Umweltschützer in einem Bericht auf ihrer Seite veröffentlichten. Demnach entsorge der Versandhändler auf diese Weise allein an einem Standort jede Woche mindestens eine LKW-Ladung nicht verkaufter Ware.

Und das, obwohl ein Gesetz dies eigentlich verhindern sollte. Denn 2020 trat eine Auflage gegen Ressourcenverschwendung in Kraft: Die sogenannte Obhutspflicht soll verhindern, dass intakte Ware zerstört wird. Auch damals hatten Greenpeace-Enthüllungen Ende 2019 erstmals dokumentiert, welche Neuwaren in Winsen regelmäßig weggeworfen werden. Der Bundestag reagierte 2020 mit der Reform des Kreislaufwirtschaftsgesetzes.

T-Shirts zerschneiden

Die Obhutspflicht schreibt vor, "beim Vertrieb der Erzeugnisse, auch im Zusammenhang mit deren Rücknahme oder Rückgabe, dafür zu sorgen, dass die Gebrauchstauglichkeit der Erzeugnisse erhalten bleibt und diese nicht zu Abfall werden". Bisher wird diese Verpflichtung weder umgesetzt noch von den Behörden überwacht – "und Amazon hat sich für den Fall einer Kontrolle bereits auf eine Gesetzesumgehung vorbereitet, wie die Greenpeace-Recherchen belegen", schreibt Manfred Redelfs von Greenpeace Investigation.

Amazon nutze demnach bislang noch aus, dass es bisher an einer Rechtsverordnung zur Obhutspflicht fehlt - und dass deshalb noch keine Strafen verhängt werden dürfen. Und der Konzern bereitet sich bereits darauf vor, das Verbot der Warenvernichtung zu umgehen, sollte die Obhutspflicht künftig ernster genommen werden. "Dies könnte der Fall sein, wenn das Entsorgungsunternehmen, das den Müll abholt, strenger auf die Regeln achtet und nur noch Container mit kaputten Produkten übernimmt", erklärt Redelfs

Greenpeace lägen Informationen vor, dass Amazon künftig originalverpackte T-Shirts zerschneiden wollte, bevor sie in die Abfalltonne geworfen werden, schreibt Redelfs weiter. Ein Testlauf fand demzufolge bereits statt, bei dem Textilien mit der Schere zerstört wurden.


Bestätigt: Amazon eröffnet neues Verteilzentrum in Nürnberg


Konzern reagiert auf Vorwürfe

Inzwischen äußerte sich auch ein Amazon-Sprecher zu den massiven Vorwürfen, die Greenpeace erhebt. "Wir arbeiten daran, möglichst gar keine Produkte zu deponieren. Unser Ansatz ist der Aufbau eines umfassenden Kreislaufwirtschaftsprogramms mit dem Ziel, Retouren zu reduzieren, Produkte wiederzuverwenden und weiterzuverkaufen und so wenig wie möglich davon zu entsorgen. Nur wenn wir keine andere Möglichkeit mehr haben, geben wir Artikel zum Recycling oder zur Energierückgewinnung – oder als allerletzte Option – zur Deponierung."

Dies würde auch in Winsen passieren. Dieser Weg sei für den Konzern die letzte und am wenigsten attraktive Option – ökologisch und ökonomisch. Tatsächlich läge die Zahl der von Amazon verkauften und versandten Produkte, die entsorgt werden müssen, im Promillebereich, heißt es weiter – "und wir geben alles, diese Zahl weiter zu reduzieren."

Auch das System zum Vernichten von Neuware würde so nicht existieren, behauptet der Sprecher. "Es gibt keinen Prozess zum Zerschneiden von Modeartikeln vor der Übergabe an ein Entsorgungsunternehmen und es gab und gibt keinerlei Planungen, ein solches System einzuführen. Wir weisen diese Vorwürfe entschieden zurück." Stattdessen habe man Ende 2020 einen ersten Testlauf mit einem neuen Partner in Winsen durchgeführt, um sicherzustellen, dass er die von Amazon bereitgestellten Stoffe recyceln könne.

"Für diesen Test mussten wir einmalig unbrauchbare Ware zur Verfügung stellen. Seitdem ist das Recyclingprogramm erfolgreich angelaufen und alle bereitgestellten Materialien werden zu neuen Waren verarbeitet", so der Amazon-Sprecher.

Zu Zeiten der Klimakrise unmoralisch

Für die Aktivisten von Greenpeace ist die Sache klar: "Amazon plante bereits, ein Gesetz zu unterlaufen, bevor das Umweltministerium es überhaupt schafft, es anzuwenden! Bundesumweltministerin Svenja Schulze muss handeln, denn Ressourcenschutz ist Klimaschutz!", sagt Viola Wohlgemuth, Expertin für Ressourcenschutz von Greenpeace.

"Amazon setzt allein auf schnellen Umsatz und hält deshalb den Platz im Regal für wertvoller als das Produkt darin", so Wohlgemuth. "Doch all diese Produkte werden mit endlichen Ressourcen unter hohem Energieaufwand produziert und dann zum Teil sogar noch um die halbe Welt zu uns transportiert. In Zeiten der Klimakrise ist es nicht nur unmoralisch, sondern schlicht nicht mehr akzeptabel, vollkommen gebrauchsfähige neue Produkte zu zerstören."

"Amazon hält seine Obhutspflichten hinsichtlich der vertriebenen Waren ein. Wir haben Maßnahmen implementiert, um die Warenvernichtung so weit wie möglich zu vermeiden", versichert derweil der Sprecher des Konzerns.

Für die Enthüllung hat ein Greenpeace-Rechercheur mehrere Wochen als Angestellter im Amazon-Logistikzentrum in Winsen gearbeitet und die Vorgänge dokumentiert.

15 Kommentare