Homeschooling in the USA: Welche Unterschiede es zu Deutschland gibt
21.1.2021, 10:05 UhrSie habe gerade erfahren, dass die Schule morgen schließe für zwei Wochen, schrieb die Lehrerin unserer Fünftklässlerin am Donnerstag, 12. März 2020., abends um 19 Uhr. Seit September waren unsere Kinder auf der Graham and Parks School in Cambridge, einer öffentlichen Grundschule.
Sie werde bis morgen versuchen, ein Arbeitspaket zusammenzustellen für diese Zeit, schrieb Miss MacNeil weiter. Sie werde außerdem dafür sorgen, dass drei Apps – zwei für Mathe und eine für Englisch – bereitstünden und sich etwas überlegen für Online-Meetings. "Außerdem werde ich einige Aufgaben in den Google Classroom stellen und die Seite morgen aufräumen und nutzerfreundlicher machen."
In dieser Nacht kann Miss MacNeil kaum geschlafen haben, denn am nächsten Tag brachte das Kind einen Laptop mit allen Programmen und Apps nach Hause, die es brauchte, einem eigenen Login und einer E-Mail-Adresse. Sie musste das Gerät nur einschalten und alles funktionierte.
Von da an bekam unsere Tochter jeden Morgen um 8.30 Uhr eine Präsentation in ihrem Google Classroom, in der die Lehrerin und ihr Kollege einen Tagesplan vorstellten. Integriert waren kleine Videos, in denen die Lehrerin die Kinder begrüßte, aus einem Buch vorlas oder eine Aufgabe stellte. Mittags gab es oft ein Lunch-Meeting zum sozialen Austausch auf Google Meet, dreimal wöchentlich eine Klassenzusammenkunft, zwischendrin arbeiteten die Schüler und Schülerinnen gemeinsam an Google Dokumenten, schrieben Geschichten und korrigierten sich gegenseitig.
Und das sagt Kultusminister Michael Piazolo im Interview auf die Diskussion um die technisch instabile Lernplattform Mebis.
Unser Sechsjähriger hatte jeden Morgen um 9 Uhr ein Zoom-Meeting mit seiner ganzen Klasse. Anfangs war Chaos, die Lehrerin bestand darauf, dass zunächst jedes einzelne Kind allen drei Lehrerinnen persönlich "Guten Morgen" sagte. Danach war die Stunde dann schon beinahe vorbei.
Die Lehrerin lernte schnell
Doch Miss Kennedy, etwa 60 Jahre alt und bislang wenig bewandert mit Computern, lernte schnell. Sie arbeitete mit Breakout-Rooms und schaffte das "Guten Morgen!"-Sagen wieder ab. Innerhalb weniger Wochen war aus dem zappeligen Morning-Meeting ein effektiver Online-Unterricht geworden, in dem die Kinder mit verschiedenen Lehrerinnen in Kleingruppen an eigenen Geschichten arbeiteten oder auf einem analogen Whiteboard, das die Schule jedem einzelnen Schüler geschickt hatte, Mathe-Aufgaben lösten und in die Kamera hielten.
Unser Zweitklässler hingegen liebte vor allem die Lunch-Meetings auf Zoom mit seiner Klasse, in denen die Kinder das Sagen hatten, und in denen die Lehrerinnen erstaunlich gelassen blieben, wenn es hoch her ging. Uns wurde klar, wie wichtig die soziale Zeit für die Kinder ist. Zoom-Arbeitstreffen kamen bei ihm nicht so gut an. Er arbeitete lieber an Projekten, für die ihm seine Lehrerinnen Material und Links schickten.
Kommentar zum Homeschooling: Error statt Unterricht
Eine eigene Recherche zu Schildkröten beispielsweise oder eine selbst zusammengestellte digitale Präsentation über Martin Luther King, die er dann per Zoom der Klasse präsentierte. Es gab außerdem eine App, die Bücher vorliest zum Mitlesen und eine Mathe-App, die alle paar Aufgaben mit sehr bunten Filmchen und kleinen Spielen belohnte.
Auch unser Kleinster arbeitete gerne mit seiner Desktop-App namens Seasaw, in die seine Lehrerin allerlei Aufgaben einstellte. Sie schrieb und sprach die Anleitung selbst auf, und in den Aufgaben konnte er am Computer malen, Gegenstände einander zuordnen und die Lösungen einreichen - oder ein kleines Video von sich selbst drehen, wie er die Aufgabe löste. Mit einem Klick war das Video hochgeladen, und schon kurz darauf gab es Feedback von Miss Kennedy dazu.
Was war anders?
Was war deutlich anders im Vergleich zu Deutschland (wie der Start bei einer Familie mit drei Kindern in Gunzenhausen lief, lesen Sie hier)? Die Lehrerinnen haben es mit viel Humor genommen, sie haben sich permanent abgestimmt mit den Kolleginnen der gleichen Klassenstufen, sie verteilten die Arbeit und erstellten Lernvideos für die gesamte Stufe. So gab es viel Abwechslung. Unsere ganze Familie verfolgte, wie sich die Schildkröte der Sekretärin entwickelte. Jeden Tag gab es einen neuen kleinen Videoclip über die Pflege und das Leben einer Schildkröte.
Wir lernten die Kinder des Rektors kennen, die bei seiner morgendlichen Videobotschaft mal auf seinem Schoß saßen und mal selbst "Guten Morgen" sagten. Die Lehrerinnen waren extrem experimentierfreudig: "Ein neuer Tag, ein neues Abenteuer mit Technologie und Lernen", schrieb Miss MacNeil beispielsweise, "hier ein paar Dinge, die ich mit der Klasse ausprobieren will". Wenn etwas nicht funktionierte, wurde es wieder abgeschafft. Jedes Kind konnte sich aus dem Pool der Möglichkeiten Dinge heraussuchen, die zu ihm passten.
Natürlich war Distanzlernen trotzdem anstrengend für alle. Wir mussten unsere Kinder motivieren und unzählige Fragen beantworten. Die Freunde fehlten. Aber die positive Stimmung und eine Athmosphäre von "wir experimentieren hier zusammen" haben geholfen.
Der Datenschutz als Hindernis?
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Die Technik hat funktioniert, was möglicherweise einfacher ist, wenn der Datenschutz hinten runter fällt (und das ist nicht gut). Machbar sein sollte es aber auch mit Datenschutz – man müsste es aber eben machen. Als unsere Tochter sich in den USA ein Mal nicht einloggen konnte, haben sich innerhalb von Minuten zwei Systemadministratoren gemeldet, die das Problem behoben haben. Als das gleiche hier am Montag geschah, gab es keinen Ansprechpartner. Die Lehrerin schrieb per Mail "Ich komme auch nicht mehr rein." Digitales Schulterzucken. Höhere Gewalt.
In Cambridge wurde es zur Priorität gemacht, dass das Erlebnis für Kinder und Lehrer so gut wie möglich ist. Dass möglichst alle Kinder am Distanzlernen motiviert teilnehmen können. Laptops wurden verteilt, bedürftige Familien erhielten kostenlos Wlan, eine große Bewegung Ehrenamtlicher lieferte ihnen Schulessen nach Hause.
Zum Abschied gab es ein riesiges Zoom-Meeting mit der ganzen Schule, der Schauspieler Matt Damon hielt eine sehr persönliche Rede. "Haltet durch", sagte er zum Abschluss zu den Kindern, "ihr werdet diese schwierige Zeit überstehen." Wir waren gerührt.
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