Manipulation der Rechtsextremen

"Ich könnt kotzen": Wie die AfD versucht, auf Social Media die Reichweite von Influencern zu nutzen

Veronika Kügle

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26.9.2024, 05:00 Uhr
Influencerinnen wie Laetitia Colacicco grenzen sich auf Instagram und TikTok klar von der AfD ab.

© Imago // Instagram Influencerinnen wie Laetitia Colacicco grenzen sich auf Instagram und TikTok klar von der AfD ab.

"Leute, ich kann euch versprechen: Das war nicht der Plan". Die Influencerin Laetitia Colacicco ist geschockt und wendet sich auf Instagram an ihre knapp 33.000 Follower. Was passiert ist?

Bei einer Straßenumfrage hat die Reporterin aus Nürnberg ironisch einen AfD-Wähler nachgeahmt, behauptet, sie sei auch nicht mehr die Jüngste, um ironisch aufzugreifen, wie wenig AfD-Wählende oft tatsächlich über das Programm der rechtsextremen Partei wissen. Die Reaktion der AfDler? Zuspruch, Lob und Videos, in denen sie die Audiospur der Reporterin über die Aufnahme ihres eigenen Gesichts legen. Nach dem Motto: Du bist jetzt eine von uns.

Influencerin Laetitia Colacicco positioniert sich klar gegen rechts

"Ich könnte kotzen", ist Laetitias Colaciccos Reaktion darauf. Die Reporterin möchte in der Öffentlichkeit nicht mit der AfD in Verbindung gebracht werden. Trotz der ernsten Thematik ist Humor derzeit ihr Weg, wie sie es schafft, damit umzugehen. Auf ihren Accounts positioniert sich die Influencerin klar gegen rechts, was sie auch in den Hashtags unter ihren Beiträgen deutlich macht.

Auf TikTok schrieb Colacicco sogar die Aufforderung: "Geht wählen, aber nicht für die AfD", unter das Video. Ist für AfD-Anhänger der eigene Populismus so naheliegend, dass sie Sarkasmus nicht mehr erkennen, selbst wenn er ihnen ins Gesicht springt?

Strategisch und erfolgreich: Manipulation durch rechte Parteien

Viel wahrscheinlicher: Die AfDler wollten den Audioschnipsel der Influencerin gezielt für die eigene Reichweite nutzen und sich zu eigen machen. Der Partei scheinen auf Social Media genau die Menschen ins Netz zu laufen, nach denen sie suchen.

"Die AfD hat die effektivste Social-Media-Kommunikation unter den Parteien", sagt Johannes Hillje gegenüber dem "ZDF". Der Politikberater hat 2014 als Wahlkampfmanager für die Grünen gearbeitet und ist seitdem freiberuflicher Berater.

Aktuell hat die AfD mehr als doppelt so viele Facebook-Fans wie die restlichen Parteien. Auf YouTube liegen demokratische Parteien wie Grüne und SPD nicht mal bei 30.000 Abonnenten, die AfD zählt mehr als das zehnfache.

Auch auf Instagram liegt die AfD mittlerweile mit 245.000 Followern vor den Grünen – und hat auch die deutlich aktiveren Nutzer. Die Interaktionsrate pro Post ist laut Hilljes Analyse mit rund 3,6 Prozent etwa doppelt so hoch wie der anderen Parteien. Unter eine Interaktion fallen Menschen, die einen Inhalt kommentieren, liken oder teilen und so für noch mehr Reichweite sorgen.

Die Social-Media-Strategie der AfD

Doch welche Strategie steckt hinter dem Social-Media-Erfolg der AfD?

1. Zielgruppenorientierung

Die AfD-Abgeordneten und Social-Media-Manager der Partei wissen, wen sie erreichen wollen. Heranwachsende und junge Erwachsene halten sich vermehrt auf Plattformen wie TikTok oder Instagram auf. Der ideale Raum also, um Erstwähler abzugreifen.

2. Aufbau und Nutzung eines Netzwerks

Die AfD-Accounts vernetzen sich geschickt mit anderen rechten Bewegungen und Gruppen. Accounts wie die von "Junge Alternative" und "Identitäre Bewegung" pushen den der AfD und umgekehrt. Auch Soziologe Özgür Özvatan betont gegenüber dem "RBB", wie wichtig es auch für demokratische Parteien sei, sich eine sogenannte Peripherie aufzubauen. "Sie müssen mit Influencern und Influencerinnen zusammenarbeiten, aber auch mit Wissenschaftler:innen und Social-Media-Professionals, die dann alle gemeinsam versuchen, das, was auf dem Spiel steht, zu verteidigen: nämlich die liberale Demokratie."

3. Emotionen und direkte Ansprache

In den Reels auf TikTok und Instagram sprechen AfDler ihre Follower direkt an, arbeiten mit Aufforderungen und Imperativen. Gut beobachten lässt sich das in dem Reel "Echte Männer" auf TikTok, in dem Maximilian Krah erklärt: Wer eine Freundin möchte, muss rechts wählen. Damit liefern sie vermeintlich einfache und schnelle Lösungen für die Ängste, Sorgen und Emotionen von verunsicherten jungen Menschen. Sie sprechen also bewusst vulnerable Gruppen an, die sich womöglich benachteiligt oder einsam fühlen.

4. Persönliche Eindrücke

Was die Partei auch schnell erkannt hat: Die Algorithmen auf Social Media freuen sich über Gesichter. Während andere Parteien oft hauptsächlich über allgemeine Accounts posten, nutzen bei der AfD einzelne Personen ihren eigenen Account, um mal mehr und mal weniger politische Inhalte zu teilen. Ulrich Siegmund, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD in Sachsen-Anhalt etwa folgen auf TikTok mehr als 376.000 Accounts. Auch er spricht seine Follower direkt an, interagiert mit ihnen und nimmt sie mit in seinen Arbeitsalltag oder auf öffentliche Termine.

5. Plattform-gerechtes Sprechen

In ihren Videos teilt die AfD ihre Kernbotschaft direkt zu Beginn. Oft sehen sich TikTok-Nutzer:innen nur die ersten 15 Sekunden eines Videos an, bevor sie weiterscrollen. Rechten Parteien kommt das zugute: Die Erklärungsansätze und Parolen sind meist simpel und innerhalb weniger Sekunden auserzählt. Sie bemühen sich nicht darum, die Komplexität großer Krisen zu erklären.

Auch die Reden im Parlament sind für Social Media mitgedacht. Özvatan weiß über die AfD: "Es gibt einen 90-sekündigen oder 30-sekündigen Part, der für TikTok inszeniert und in sich geschlossen ist. Der hat einen eigenen Spannungsbogen. Das haben die Redner:innen schon im Kopf, bevor sie die Rede halten."

Die AfD setzt ihre Ressourcen – Geld, Zeit und Personal – also klug und gezielt ein, um ihre Zuhörerschaft zu manipulieren und zu lenken. Emotionale Inhalte kommen bei Algorithmen gut an. Der ideale Raum also, um Ängste zu schüren und Hetze zu betreiben.

Was demokratische Parteien tun können

Zugleich ist die Sperrung von rechtsextremen Parteien auf den Plattformen nur bedingt hilfreich. Auf YouTube könnte es dem Erfolg der AfD einen Dämpfer verpassen, weiß Politikberater Hillje. Auf TikTok sei das aber völlig überflüssig. Denn dort wird den Usern der Content einfach in die Timeline gespült und so hat jedes neu hochgeladene Video die gleiche Chance auf Reichweite.

Und Reichweite ist die Währung der AfD. Vor allem unter jungen Wählern ist diese Strategie offenbar erfolgreich, wie sie noch vor wenigen Tagen bei der Wahl in Brandenburg beweisen konnte. Mit 32 Prozent holten sie die meisten Stimmen bei Jungwählenden.

Es bleibt, so scheint es, demokratischen Parteien nichts anderes übrig, als selbst Geld und Energie in die Hand zu nehmen, um auf Social Media konkurrenzfähig zu werden.