Behörde verwehrt Einblick
Inzidenz der Ungeimpften und Geimpften: Schwachstellen bei Berechnung des LGL
21.11.2021, 10:26 UhrMitte August veröffentlichte das LGL erstmals die Sieben-Tage-Inzidenz bei Ungeimpften und bei vollständig Geimpften in Bayern. Kritiker wendeten bereits damals ein, dass man diese Werte nicht eins zu eins ins Verhältnis zueinander setzen könne. Ein Argument: Menschen mit vollständigem Impfschutz würden wahrscheinlich deutlich seltener getestet als Menschen ohne Immunisierung.
Wie viele und wie oft sich Geimpfte im Verhältnis zu Ungeimpften testen lassen, ist unklar und stark personenabhängig. Doch die veröffentlichten Inzidenzen des LGL haben noch eine ganz andere, konkrete Schwachstelle in der Berechnung. Es findet offenbar eine Untererfassung von Corona-Fällen bei Geimpften statt.
Berechnung der Inzidenzen
Wie kommt diese Untererfassung zustande? Der Berechnung der Inzidenzen liegen die Meldefälle mit Meldedatum der letzten sieben Tage zugrunde, die nach Impfstatus unterteilt werden. Diese werden den Bevölkerungszahlen für Geimpfte und Ungeimpfte aus dem Digitalen Impfmonitoring des Robert Koch-Instituts (RKI) gegenübergestellt.
Als geimpfte Covid-19 Fälle werden Personen gezählt, die zum Zeitpunkt der Infektion einen vollständigen Impfschutz hatten. Als ungeimpfte Covid-19 Fälle werden aber nicht nur Personen gezählt, die zum Zeitpunkt der Infektion keine Impfung erhalten hatten. Es zählen auch Personen mit Corona-Infektion dazu, bei denen keine Angabe zum Impfstatus von den Gesundheitsämtern vorliegt. Nicht berücksichtigt werden bei der Berechnung Personen mit unvollständigem Impfschutz.
Wie kommt ein unbekannter Impfstatus zustande?
Das LGL nennt unserer Redaktion gegenüber ein Beispiel. Die Hospitalisierung einer Person in ein Krankenhaus in Bezug auf Covid-19 ist zu melden. Diese Meldung ist wichtig, um die Hospitalisierungsinzidenz ermitteln zu können, an die weitergehende Schutzmaßnahmen geknüpft sind. Daneben wird auf dem für diese Meldung vorgesehenen Formular auch nach dem Impfstatus der hospitalisierten Person gefragt. Die Angabe in der Meldepraxis wird laut LGL häufig nicht vollständig ausgefüllt.
Untererfassung von Corona-Fällen bei Geimpften
Dass Personen mit unbekanntem Impfstatus zunächst - Angaben werden, falls vorhanden, mit Zeitverzug nachgetragen - zu der Gruppe der Ungeimpften gezählt werden, kann zu einer zu höheren Inzidenz bei Ungeimpften und einer zu niedrigeren Inzidenz bei Geimpften führen.
Nun ist die entscheidende Frage, wie hoch der Anteil der Covid-19 Fälle mit unbekanntem Impfstatus ist. Denn nur so kann tatsächlich ermittelt werden, wie stark verzerrt die beiden Kennzahlen sind. Genauere Einblicke, wie hoch diese Untererfassung der Geimpften sein könnte, kann das LGL unserer Redaktion gegenüber aber nicht geben.
Auf eine erste Nachfrage zu dieser Schwachstelle der Berechnung antwortete das LGL, dass nach gründlicher Analyse der vorliegenden Meldedaten und Überlegung entschieden wurde, die Gruppe mit unbekanntem Impfstatus zu den Ungeimpften zu zählen. Dem zugrunde liege, "dass sonst eine nicht unerhebliche Zahl an Meldefällen aufgrund fehlender Angaben bei der Auswertung zunächst ausgeschlossen würde". Das LGL arbeite stets an einer Verbesserung der Datenlage.
Wir baten die Pressestelle der Behörde, die Angabe zu präzisieren, und wollten konkret wissen, wie hoch der Anteil der Corona-Fälle mit unbekanntem Impfstatus ist - auch zum Beispiel für die am vergangenen Donnerstag, 11. November, veröffentlichten Inzidenzen. Die Auskunft des LGL: Genauere Angaben seien nicht möglich, aufgrund zahlreicher Anfragen könne das LGL keine individuellen Auswertungen anbieten.
Ähnlicher Fall beim RKI
Die Berechnung der Impfeffektivität durch das RKI hatte eine ähnliche Schwachstelle, doch dort hat man inzwischen reagiert: Zunächst zählte das RKI bei der Berechnung der Impfeffektivität ebenfalls die Personen mit nicht bekanntem Impfstatus zu den Ungeimpften. Es musste auch hier von einer Untererfassung der Corona-Fälle bei Geimpften ausgegangen werden und damit zu einer Überschätzung des Impfeffekts. Die Behörde passte Ende September ihre Berechnung allerdings an und berücksichtigt nun nur noch die Covid-19-Fälle, für die eine vollständige Angabe beim Impfstatus vorliegt.
Blick in andere Bundesländer
Es gibt keine bundesweit einheitlichen Berechnungsregelungen für die beiden Indikatoren und längst nicht alle Bundesländer erheben die beiden Inzidenzen. Ein Grund, warum beispielsweise in Nordrhein-Westfalen die Daten nicht erhoben werden, seien die Corona-Fälle mit fehlenden oder unvollständigen Angaben zum Impfstatus. Für Niedersachsen begründet ein Sprecher die Ablehnung damit, dass die Berechnung "recht komplex und aufwendig" sei.
Neben Bayern erheben unter anderem auch Thüringen und Sachsen getrennte Inzidenzen. In Thüringen werden nur Corona-Fälle berücksichtigt, wenn die Angaben zum Impfstatus vollständig sind. In Sachsen wird eine Inzidenz bei "vollständig geimpften Personen" und eine bei "nicht (vollständig) geimpften Personen" berechnet. Unter die "nicht (vollständig) geimpften" fallen hier ebenfalls auch alle Covid 19 Fälle, bei denen keine Angaben zum Impfstatus vorliegen, weil "nicht erhoben" oder "nicht ermittelbar".
In Bayern rechtfertigt das LGL seine Berechnung trotz der Schwierigkeiten: "Nichtsdestotrotz bieten die so erhobenen Daten die Möglichkeit, generelle Aussagen und Trends zum Verhältnis der Betroffenheit zwischen der geimpften und ungeimpften Bevölkerung zu analysieren."
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