13 Menschen getötet

IS-Terrormiliz reklamiert Anschlag in Kabul für sich

26.8.2021, 22:04 Uhr
Nach Taliban-Angaben sind bei den Anschlägen in Kabul mindestens 13 Menschen getötet worden.

© Wali Sabawoon/AP/dpa Nach Taliban-Angaben sind bei den Anschlägen in Kabul mindestens 13 Menschen getötet worden.

Ein Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Afghanistan will für den Anschlag am Flughafen von Kabul verantwortlich sein. Das erklärte der IS-Khorasan (IS in Afghanistan und Pakistan) am Donnerstagabend im Internet. Der IS ist mit den Taliban verfeindet.

Bei zwei Sprengstoffanschlägen in der afghanischen Hauptstadt Kabul sind nach Angaben der militant-islamistischen Taliban mindestens 13 Menschen getötet und mehr als 50 weitere verletzt worden. Bei dem Anschlag außerhalb des Flughafens von Kabul sind nach Angaben der US-Regierung zwölf amerikanische Soldaten getötet worden. Das sagte US-General Kenneth McKenzie, der das US-Zentralkommando Centcom führt, am Donnerstag in einer Videoschalte mit Journalisten im Pentagon. 15 US-Soldaten seien verletzt worden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem oder mehreren Selbstmordattentätern und verurteilte die Bluttat als "absolut niederträchtig". Die deutsche Luftwaffe flog unterdessen alle Bundeswehrsoldaten, Diplomaten und verbliebenen Polizisten aus dem Krisenstaat aus, wie Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nach dem Start der letzten Maschine sagte.

Die genaue Zahl der Anschlagsopfer blieb zunächst offen. Auf Videos waren zahlreiche Tote zu sehen; es wurde daher befürchtet, dass die Zahl der Opfer noch deutlich steigt. Pentagonsprecher John Kirby sprach auf Twitter von einer "komplexen Attacke". Merkel sagte, Terroristen hätten es auf Menschen abgesehen, die vor den Flughafentoren gewartet haben. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte: "Wir haben zurzeit keine Informationen über deutsche Opfer."

Der Sprecher des politischen Büros der Taliban in Doha, Suhail Schahin, erklärte, man verurteile den grausamen Vorfall aufs Schärfste und werde alles unternehmen, um die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Er bestätigte, dass sich zwei Explosionen ereigneten. Eine fand ersten Informationen zufolge an einem der Flughafentore statt, eine weitere bei einem nahe gelegen Hotel.

Selbstmordattentäter habe sich in großen Menschenmenge in Luft gesprengt

Der lokale Fernsehsender Tolo-News veröffentlichte auf Twitter Bilder, auf denen zu sehen ist, wie Verletzte in Schubkarren transportiert werden. Ein Augenzeuge erzählte dem TV-Sender, die Explosion sei sehr stark gewesen. Manche Menschen seien ins Wasser gefallen - an einem Gate ist ein langer Wassergraben - und mehrere ausländische Soldaten seien zu Boden gefallen.

Der gut vernetzte afghanische Journalist Bilal Sarwari schrieb auf Twitter, ein Selbstmordattentäter habe sich in einer großen Menschenmenge in die Luft gesprengt. Mindestens ein weiterer Angreifer habe danach das Feuer eröffnet. Sarwari berief sich auf mehrere Augenzeugen in dem Gebiet.

Die Sicherheitslage rund um den Flughafen hatte sich zuletzt noch einmal deutlich zugespitzt. Die Bundeswehr hatte bereits am Dienstag berichtet, das zunehmend potenzielle Selbstmordattentäter der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Kabul unterwegs seien. Ähnlich hatte sich US-Präsident Joe Biden geäußert. Praktisch täglich versuche ein örtlicher Ableger des IS, den Flughafen anzugreifen, hatte er erklärt. Die Terrormiliz sei auch ein "erklärter Feind" der Taliban. Biden begründete unter anderem mit dieser Terrorgefahr auch sein Festhalten an dem Plan, die US-Truppen bis zum 31. August aus Afghanistan abzuziehen.

Seit Taliban-Machtübernahme versuchen Tausende ins Ausland zu fliehen

Seit der Machtübernahme der Taliban versuchen Tausende Menschen, aus Angst vor Repressionen ins Ausland zu fliehen. Seit mehr als einer Woche versammeln sie sich rund um verschiedene Eingänge des Flughafens, um auf einen Evakuierungsflug zu kommen. Dabei herrschten rund um den Flughafen dramatische Zustände. Der Andrang stieg dabei noch einmal, wie ein Augenzeuge der Deutschen-Presse Agentur berichtete. Die Menschen stünden an einem Tor "so eng aneinander wie Ziegel einer Mauer", es gehe keinen Meter voran.

Nach der Explosion setzten US-Soldaten an einem anderen Flughafentor Tränengas ein, um die Menschen auseinander zu treiben, sagte ein Bewohner Kabuls, der an diesem Gate war. Er schätzte, zu dem Zeitpunkt seien dort 2000 bis 4000 Menschen gewesen, die auf einen Evakuierungsflug ins Ausland warteten. Mehrere Frauen und Mädchen seien durch das Tränengas verletzt worden.

Einige internationale Partner hatten die USA zu einer Verlängerung des Einsatzes aufgefordert, um noch mehr Zeit für die Evakuierungen zu haben. Der Militäreinsatz ist von den US-Truppen abhängig. Taliban-Kämpfer sollen an ihren Kontrollstellen im Umfeld des Flughafens bereits mehrere Attentäter des IS abgefangen und getötet haben, hieß es aus Militärkreisen. Die US-Streitkräfte setzen die Evakuierungsmission in Kabul auch nach dem verheerenden Terrorangriff am Flughafen der afghanischen Hauptstadt fort. "Wir führen den Auftrag weiter aus", sagte US-General Kenneth McKenzie.

Merkel: "Wir beenden die Luftbrücke mit dem heutigen Tag"

Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn sagte am Donnerstag, dass die Bundeswehr seit Beginn des Einsatzes am 16. August 5200 Menschen aus 45 Nationen ausgeflogen habe. Darunter seien 4200 Afghanen und 505 deutsche Staatsbürger.

Kramp-Karrenbauer und auch Merkel betonten, dass die Bundesregierung weiter versuchen werde, schutzbedürftigen Menschen die Ausreise zu ermöglichen. "Wir beenden die Luftbrücke mit dem heutigen Tag", sagte Merkel. "Wir sind mit Hochdruck und Nachdruck dabei, eben Bedingungen auszuhandeln mit den Taliban darüber, wie weitere Ausreisen auch möglich sein werden."

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, hat mit Blick auf die Lage in Afghanistan ein besseres Zusammenspiel innerhalb der Bundesregierung angemahnt. Er hielt der Regierung am Donnerstagabend in den ARD-„Tagesthemen“ vor, „nur bedingt strategiefähig“ zu sein. Der vernetzte Ansatz, das Zusammenwirken der Ressorts in der Strategiebildung und der Zieldefinition, „da muss man besser werden, das geht so nicht mehr“, sagte Wüstner auch mit Blick auf das deutsche Engagement im Irak und in der Sahelzone. „Das können wir uns nicht mehr erlauben.“

Angesichts der chaotischen Situation und angespannten Sicherheitslage in Afghanistan lud UN-Generalsekretär António Guterres die Vetomächte zu einem Krisentreffen ein. Diplomatenkreisen zufolge sollen die Botschafter der USA, Chinas, Russlands, Großbritanniens und Frankreichs am Montag in New York mit dem UN-Chef zusammenkommen, um sich über die Lage auszutauschen.

US-Militär flog binnen 24 Stunden erneut mehr als 13.000 Menschen aus

Unter anderem Belgien, Dänemark, Polen und Kanada stellten ebenso wie Deutschland ihre Evakuierungen inzwischen ein, Frankreich plante das für Freitag. Das US-Militär flog binnen 24 Stunden erneut mehr als 13.000 Menschen aus. Nach Angaben des Weißen Hauses flogen die USA und ihre Partner mehr als 95 000 Menschen aus. Auf dem US-Luftwaffenstützpunkt im pfälzischen Ramstein landeten dabei bis Donnerstag mehr als 14 500 Evakuierte.

Wie das US-Außenministerium am Donnerstagabend mitteilt, seien noch rund 1000 amerikanische Staatsbürger in Afghanistan. Die Regierung stehe mit ihnen in Kontakt, und rund zwei Drittel hätten erklärt, dass sie bereits Schritte unternähmen, um das Land zu verlassen. Am Mittwoch war das Ministerium noch von bis zu 1500 US-Bürgern in Afghanistan ausgegangen.

Kanzlerin Angela Merkel sagte ihre für Samstag bis Montag geplante Reise nach Israel wegen der dramatischen Entwicklung in Afghanistan ab. Die Entscheidung sei in Absprache mit dem israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennet getroffen worden, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit.

Immer mehr Afghanen brechen in Richtung Pakistan auf

Unterdessen brechen immer mehr Afghanen in Richtung Pakistan auf. Täglich überquerten mindestens 10.000 Afghanen die Grenze bei Spin Boldak/Chaman, sagte ein Grenzbeamter der dpa. Zuvor seien es an normalen Tagen etwa 4000 gewesen. Die meisten seien auf dem Weg zu Verwandten in Städten und Regionen unweit der Grenze. Pakistan hat seit 40 Jahren Millionen afghanische Flüchtlinge aufgenommen. Aktuell sind es 1,4 Millionen Afghanen, die als Flüchtlinge offiziell registriert sind, und etwa 600.000 undokumentierte Afghanen.

Auch die Balkanländer Albanien und Kosovo erklärten ihre Bereitschaft, insgesamt etwa 6000 Menschen zumindest vorübergehend aufzunehmen. Die EU-Innenminister wollen kommenden Dienstag zur Lage in Afghanistan beraten. Dabei soll es auch um Migrationsbewegungen in Richtung Europa gehen.

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