K-Frage: Söder hat seine Fallen für Laschet früh aufgestellt
15.4.2021, 13:44 UhrAuch nach drei Tagen hadert Ursula Münch noch mit sich selbst. "Ich ärgere mich", sagt die Parteienforscherin, "dass ich auf Markus Söder reingefallen bin. Es hätte mich stutzig machen sollen, dass er seine Linie verlassen hat." Die Linie: Über Monate hinweg hat Söder beteuert, sein Platz sei in Bayern und das Kanzleramt nicht sein Ziel. Erst am Sonntag, als CDU-Chef Armin Laschet sich zum Kanzlerkandidaten ausrufen lassen wollte, kam Söder aus der Deckung.
Es war ein freundlicher Auftritt des Ministerpräsidenten, der milde verkündete, er stehe bereit, wenn eine Mehrheit in der CDU dies wünsche. Andernfalls verzichte er "ohne Groll", und stehe hinter Laschet. "Das klang nach sanftem Rückzug", sagt Münch. Gerade so, als ob da einer sich pflichtschuldig meldet und doch dem anderen den Vortritt lässt. "Nur war es nicht so gemeint."
Nicht nur die Münchner Professorin hat Söder das abgekauft. Auch die CDU-Führung lehnte sich entspannt zurück und sprach sich tags darauf für Laschet aus. Der strahlte, sah keinen Grund mehr, warum er um die eigenen Leute buhlen müsste und verzichtete auf einen Auftritt vor der Unionsfraktion im Bundestag. Die Sorge, zwischen Laschet und Söder könnte ein Machtkampf um das Kanzleramt entbrennen, hatte sich aufgelöst. Bis Söder sich am Abend zu Wort meldete.
Was zwischen Sonntag Nachmittag und Montag Abend geschehen ist, darüber rätseln sie in der Union. Beobachter wie Ursula Münch vermuten, dass Söder nie ans Aufgeben gedacht, dass er die nächsten 24 Stunden genau choreografiert hatte. "Er hatte im Kopf, dass im CDU-Vorstand einige wackeln", sagt Münch. Andere tippen, dass ihn im Lauf des Montags neue Umfragen überzeugt haben, die ihn weit vor Armin Laschet sehen in der Gunst der Wähler. "Er hat dann auch noch Meldungen direkt aus CDU-Vorstand und CDU-Präsidium bekommen, die ihm ein etwas anderes Bild der Einmütigkeit vermittelt haben", sagt ein CSU-Mann. Söder hat das selbst in seiner denkwürdigen Pressekonferenz angedeutet.
Ob das stimmt oder ob es nur eine weitere Finte in einem an Finten reichen Machtkampf ist, bleibt dahingestellt. Söder jedenfalls, das sehen Parteifreunde so, hat die Auseinandersetzung in eine neue Dimension gehoben. Und Laschet hätte gewarnt sein können. Seit Monaten beschwört Söder die Einheit der Union, seit Monaten feuert er Giftpfeile gegen den NRW-Ministerpräsidenten ab. Seine Bühne ist die Corona-Pandemie, seine Tarnung die des Ministerpräsidenten. Doch nicht nur Laschet dürfte allmählich dämmern, dass Söder aus der Deckung heraus seinen Widersacher demontiert hat.
In der CSU haben sie sich anfangs verwundert die Augen gerieben über das, was da gerade in Berlin abgeht. Mittlerweile herrscht bei vielen blankes Entsetzen. "Strategisch ist Söder viel zu spät dran", sagt einer, der die Mechanismen der Macht kennt. "Wenn er vor Monaten aus der Deckung gekommen wäre und den Gärprozess in der CDU ausgelöst hätte, hätte das vielleicht geklappt." So aber laufe nicht nur Laschet die Zeit davon, sondern auch Söder.
Der tritt mit einer Chuzpe auf, die auch langjährigen Weggefährten die Sprache verschlägt. Als er sich am Montag nach seinem Coup vom Bayerischen Rundfunk interviewen lässt, sitzt dort wieder der alte Söder. Breitbeinig, aggressiv, sein Gegenüber scharf attackierend. Er mokiert sich über das Demokratieverständnis, das BR-Chefredakteur Christian Nitsche angeblich bei seinen Fragen an den Tag lege. Er degradiert die beiden wichtigsten Gremien einer Partei, ihr Präsidium und ihren Vorstand, zu einer Runde im "kleinen Hinterzimmer", als ob die CDU ihre Spitzenleute nicht demokratisch gewählt hätte.
Natürlich steckt dahinter ein Plan. Der 54-Jährige beobachtet die Umfragen genau. Er verfolgt, wie sich der neue Söder in die Herzen der Menschen geschlichen hat, wie er sich in der Corona-Pandemie profiliert hat als harter Macher und Merkel-Versteher. Vergessen, dass er vor nur drei Jahren die Kanzlerin kalt lächelnd opfern wollte im Kampf um die Stimmen der AfD.
Söder hatte die CSU aus der Mitte gelöst und weit nach rechts geschoben auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Er prägte Begriffe wie Asylgehalt und Asyltourismus. Er wähnte sich auf der richtigen Spur, es konnte ihm nicht weit genug nach rechts gehen. Bis die Umfragen das Gegenteil signalisierten.
Einen Machtpolitiker zeichnet aus, dass er die Richtung unvermittelt wechseln und das als Läuterung verkaufen kann. Söder hat das mehrfach getan, zuletzt, als er die CSU in den grünen Farbtopf tauchte, weil er früher als andere in der Partei die Niederlage beim Bienenvolksbegehren voraussah und den Zeitgeist witterte. Söder verpasste nicht nur der CSU einen neuen Anstrich, sondern sich auch ein neues Image. Plötzlich war er nicht mehr der bullige Hardliner, sondern der landesväterlich milde Staatsmann, der die Beine übereinanderschlägt, beim Zuhören den Kopf schief legt und geduldig ist.
Es gibt zwei Blaupausen für seinen Stil. Da ist Sebastian Kurz, jung-dynamischer Kanzler Österreichs. Söder wird die Bilder nicht vergessen haben, wie da vor drei Jahren Kurz neben ihm im oberösterreichischen Linz stand, jung, schlank, die Haare gegelt, der Anzug perfekt, das weiße Hemd offen und krawattenlos. Söder wirkte daneben etwas bieder mit Schlips und schwarzen Halbschuhen zum blauen Anzug. Heute trägt auch er das Hemd gern ohne Krawatte, wagt er bei den Schuhen mehr Mode und beim Anzug auch.
Und dann ist da Donald Trump, verhasst in Deutschland für seine Politik, insgeheim bewundert von vielen für sein politisches Gespür. Trump hat nichts gegeben auf den Mainstream. Er hat das politische Establishment angegriffen, dessen Institutionen in Frage gestellt. Und darauf seine Macht begründet.
Söder hat das am Montag auch versucht. In der CSU wundern sich manche, dass die Empörung sich in CDU-Vorstand und Präsidium in Grenzen gehalten hat. Bei der CSU sei das ja noch nachvollziehbar. "Wir wissen, was er von unseren Gremien hält", sagt ein Ex-Vorständler. Für die CDU aber gelte das nicht. Trotzdem hat die Partei Söders Ausfall akzeptiert.
Das ist Teil des Söderschen Erfolgsrezeptes. Und nach Ansicht langjähriger Wegbegleiter seine größte Schwäche. Söder sei "ein Populist und Egomane", sagt einer, der seinen Namen lieber nicht nennen möchte. Sein Blick sei verengt, "typisch für einen Populisten. Er schielt auf Umfragen und auf Rückmeldungen von der Basis. Dann stürmt er drauf los."
Armin Laschet ist so etwas fremd. Und deshalb müssen sich für ihn andere ins Zeug legen, Friedrich Merz zum Beispiel, der gegen ihn im Kampf um den Parteivorsitz unterlegen war. Merz attackiert Söder scharf. Er warnt vor dem "Flurschaden", den Söder anrichte, ausgerechnet Söder, der 2018 das schlechteste Landtagswahlergebnis der CSU eingefahren habe. Er wünsche sich "etwas weniger Anbiederung an den Zeitgeist", sagt Merz und meint Söders Schielen auf die Umfragen.
Zum Drama gehört, dass Armin Laschet ihm auch noch ein paar Hindernisse aus dem Weg geräumt hat. Hätte der Aachener am Montag angekündigt, er werde die Bundestagsfraktion besuchen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit beim bundespolitischen Machtzentrum der Union, es wäre womöglich anders gelaufen. Laschet sah in seiner Siegesgewissheit die Falle nicht, die ihm Söder gestellt hat. Der überrumpelte seinen Gegner, trat vor die Fraktion und drängte Laschet in die Defensive.
Dort steckt er immer noch. Nicht nur in der Union rätseln sie, wie das aufgelöst werden soll, ohne dass der Schaden gigantisch wird. Söder und sein Generalsekretär Markus Blume zeigen keinen Ausweg auf. Nebulös sprechen sie davon, man müsse in die Partei hineinhören, in die Basis. Und dann klug entscheiden. Die Gremien aber, die die Basis repräsentieren, haben sie für belanglos erklärt. Eine Mitgliederbefragung lehnen sie ab, ein Votum der Fraktion ebenfalls. Wer an ihrer Stelle entscheiden soll, sagen sie nicht. Andere sehen nicht, wie Laschet zurückweichen könnte, weil für ihn alles auf dem Spiel steht. Die beiden blockieren sich.
Das könne eine Gefahr für die Union werden, egal, wer sie in die Wahl führt, warnt Günther Beckstein. "Ich habe das selbst erlebt", sagt der Nürnberger, der als Ministerpräsident 2007 gescheitert war. "Ich weiß, dass sich die Wunden aus dem Aufstellungsverfahren bitter rächen können. Wenn nicht alle hinter einem stehen, bekommt man kein gutes Wahlergebnis."
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Söder quälen solche Gedanken im Moment nicht. Ausgeschlossen, dass er nicht weiß, was er tut. Der Nürnberger hat zu viele Machtkämpfe durchgefochten, wenn auch keinen von dieser Wucht. Als er am Mittwoch im Landtag aufscheint, ist er bester Laune. "Am Ende wird alles gut werden", sagt er nur. Was "gut" für ihn bedeutet, behält er für sich.
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