Wenig Raum für Zurückweisungen

Klares Urteil: Abschiebung an Grenzen laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte unzulässig

Alicia Kohl

Volontärin

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17.10.2024, 10:22 Uhr
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beurteilt die direkte Abschiebung an Grenzen als unzulässig.

© Heise Kuhn, Violetta Kuhn, dpa/IMAGO, Sven Simon Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beurteilt die direkte Abschiebung an Grenzen als unzulässig.

In der politischen Debatte geht es aktuell weiterhin viel um Migration, Abschiebung und Asyl. Gerade die CDU/CSU fordert dabei immer wieder schnellere Zurückweisungen an den Grenzen. Im Bezug auf einen bestimmten Fall hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nun ein wegweisendes Urteil gefällt.

Haitham T. kam im September 2018 aus Griechenland nach Deutschland. In Griechenland, wo er nach seiner Flucht aus Syrien ankam, hatte er unter den Lebensverhältnissen gelitten, die laut den Nichtregierungsorganisationen Pro Asyl und ECCHR den Bedingungen in "Moria" auf Lesbos glichen. Außerdem hatte er die Abschiebung in die Türkei und eine dortige Kettenabschiebung nach Syrien gefürchtet.

Deshalb entschloss Haitham T. sich, nach Deutschland zu gehen, weil sein Bruder dort seit einigen Jahren lebte. Lange dauerte es aber nicht, bis er wieder in Griechenland war. An der österreichisch-deutschen Grenze wurde er von der Bundespolizei gestoppt. Nur wenige Stunden später setzten die Behörden ihn wieder in ein Flugzeug zurück nach Griechenland, wo er für fast drei Monate inhaftiert wurde. Nur durch eine örtliche Geflüchtetenhilfe kam er frei.

Direkte Abschiebung an den Grenzen ist unzulässig

Hinter dem schnellen Abschieben nach Griechenland steckt der sogenannte "Seehofer-Deal", ein Abkommen zwischen Deutschland und Griechenland, nach dem Geflüchtete innerhalb von 48 Stunden ohne Asylverfahren nach Griechenland zurückgeschickt werden können.

Dabei sehen die Dublin-Regeln der Europäischen Union eigentlich vor, dass der Asylantrag zumindest geprüft werden muss, wenn Geflüchtete an der Grenze einen stellen. Das sollte der "Seehofer-Deal" umgehen, solche Abschiebungen wurden in verwaltungsgerichtlichen Verfahren aber häufig als rechtswidrig befunden und wieder rückgängig gemacht.

Bei Haitham T. war das nicht so, er hat im März 2019 Individualbeschwerde eingereicht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab ihm nun recht. Die Abschiebung nach Griechenland habe gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, heißt es im Urteil. Deutschland hätte Haitham T. nicht einfach abschieben dürfen, die deutschen und die griechischen Behörden hätten gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstoßen.

Es habe die Gefahr bestanden, dass Haitham T. in andere Länder oder sogar wieder nach Syrien abgeschoben wird. Bei der Abschiebung nach Griechenland habe Deutschland außerdem nicht garantieren können, dass vor Ort seine Menschenrechte eingehalten werden würden, vor allem, da die Bedingungen der griechischen Abschiebehaft vom Gerichtshof schon häufig kritisiert wurden.

Richtungsweisend für aktuelle Debatte um Migration

Zwar behandelt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur diesen spezifischen Fall, eine größere Tragkraft für die aktuelle Debatte hat es aber trotzdem. Die Entscheidung sei so zu verstehen, dass einseitige Zurückweisungen an der Grenze ebenfalls gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, zitiert die "Tagesschau" Constantin Hruschka, Rechtsprofessor an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Genau diese Zurückweisungen werden in der aktuellen politischen Debatte um Migration aber immer wieder diskutiert. Das widerspricht zwar sowieso schon dem Europarecht, mit dem nun getroffenen Urteil sei die Menschenrechtskonvention aber ein weiteres, rechtliches Gegenargument, so Hruschka zur "Tagesschau". Ein einfaches Wegschicken sei nicht zulässig.

Auch die Nichtregierungsorganisationen Pro Asyl und ECCHR begrüßen das Urteil in einer gemeinsamen Pressemitteilung. "Das heutige Urteil in der Beschwerde von 2019 ist entscheidend für die Debatte rund um Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und kommt genau im richtigen Moment. Deutschland ist verpflichtet, menschenrechtliche Standards zu wahren und den Zugang zu rechtsstaatlichen Asylverfahren auch an deutschen Grenzen zu gewährleisten", sagt Tareq Alawos, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl. Alle Parteien müssten nun endlich die menschenrechtsverachtende Zurückweisungsdebatte und die systematische Entrechtung an deutschen Grenzen beenden.

"Der Versuch Deutschlands, Europarecht zu umgehen und Menschen im Hauruckverfahren zurückzuweisen, ist gescheitert. Der EGMR macht deutlich, dass Zugang zu einem rechtsstaatlichen Verfahren zwingend erforderlich ist, um schwerste Menschenrechtsverletzungen, wie sie der Beschwerdeführer erlitten hat, zu verhindern", sagt Hanaa Hakiki, Juristin beim ECCHR.

Inzwischen lebt Haitham T. in Deutschland, zusammen mit seinem Bruder. 2021 war er in Griechenland als Flüchtling anerkannt worden, aufgrund der dortigen Lebensbedingungen dann aber erneut nach Deutschland. 2022 wurde er durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als subsidiär schutzberechtigt anerkannt.