Kommentar: Die Ostsee-Pipeline nützt nur Putin
1.2.2021, 17:27 UhrWie ernst Wladimir Putin seinen hartnäckigen und mutigen Widersacher Alexander Nawalny nimmt, das zeigt ein historischer Vergleich, den ein Kreml-Propagandist kürzlich zog: Wie 1917 Lenin von den Deutschen nach Russland eingeschleust wurde, um dem Zarenreich zu schaden, so hätten nun wieder die Deutschen mit Nawalny einen Gegner Moskaus dort platziert.
Eine eigenartige Sicht: Der 44-Jährige - über dessen politische Ansichten man trefflich streiten kann - landete, vermutlich vom russischen Geheimdienst vergiftet und beinahe getötet, zur Genesung in Berlin. Er wollte unbedingt zurück nach Moskau – wo ihm, das war absehbar, Inhaftierung und Verfolgung droht. Am Dienstag wird über eine Verlängerung seiner Haft entschieden - wie das ausgeht, dürfte nicht sehr überraschend sein.
Denn wer das brutale Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten verfolgte, die auch an diesem Sonntag in vielen Städten des Riesenreichs protestierten, der sieht: Der Kreml kennt kein anderes Mittel als Härte gegen diesen erst aufkeimenden Unmut.
Wiederholt sich, was in Belarus passiert?
Möglich, dass sich da wiederholt, was im kleineren Nachbarland Belarus zu beobachten ist: eine zusehends bedrohliche Welle von Protesten gegen ein erstarrtes Regime, angeführt von den Frauen oder Vertrauten inhaftierter Gegner. Und von Nawalnys Team geschickt gesteuert über jenes Internet, das der Kreml nun an die Kette legen will: Kein Zufall, dass ausgerechnet jetzt ein Gesetz gegen Aufrufe zu Protesten im Netz auf den Weg gebracht wird.
Es ist dasselbe Netz, in dem Nawalny vor ein paar Tagen ein spektakuläres Video veröffentlicht hat: "Ein Palast für Putin" zeigt einen virtuellen Rundgang durch einen gerade im Bau befindlichen Luxus-Komplex, der Putin gehören soll – der widersprach. Aber der Film wurde über 100 Millionen Mal geklickt. Und die Klobürste - der Film zeigte ein goldenes Luxus-Exemplar für 700 Euro - wurde zum Symbol des Protests.
Besser geht es nur den Privilegierten
All das macht einen Herrscher nervös, der 20 Jahre lang regiert und nun, vor der Duma-Wahl im Herbst, wachsende Unzufriedenheit registrieren muss. Besser geht es nur den Privilegierten in Russland, der allgemeine Wohlstand sinkt. Eine gefährliche Mischung. Bisher halten die meisten Russen still - aber dass nun viele Autofahrer hupen, wenn sie Proteste sehen, das scheint den Kreml unruhig zu machen.
Putins Rezept ist das aller Diktatoren: mit buchstäblich allen Mitteln die Macht erhalten. Der Putin-kritische Autor Viktor Jerofejew spekuliert, wie es mit Nawalny weitergehen könnte: Er hält dessen Ausbürgerung à la Solschenizyn nach sowjetischem Muster für denkbar.
Deutschland verhält sich da schizophren gegenüber Moskau: Mehr als andere stützte Berlin, vor allem die Kanzlerin, Putins Gegner Nawalny. Und zugleich hält die Regierung an der Ostseepipeline Nord Stream 2 fest – einem Projekt, das Putins exportabhängiges Russland weit mehr braucht als Deutschland, das deswegen im Westen isoliert dasteht. Und längst nicht mehr so abhängig ist vom russischen Gas wie noch vor einigen Jahren.
Ein Trumpf für den Kremlchef
Ja, auch die USA wollen Gas verkaufen und sind nicht zuletzt deshalb gegen die Pipeline. Für Moskau aber wäre deren Fertigstellung ein Trumpf - aus wirtschaftlicher wie aus politischer Sicht, da vor allem gegenüber der Ukraine, über deren Terrain dann kein russisches Gas mehr fließen muss. Wieso sollte Berlin einem sich zusehends zum Diktator entwickelnden Putin diesen Trumpf einfach so gönnen? Eine Abkehr von dem Vorhaben würde dem Kremlchef klarmachen, dass er überreizt hat. Verbunden mit einer diplomatischen Initiative, die Russland nicht isoliert, könnte dies der Auftakt zu neuen Gesprächen mit Moskau werden.
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