Kommentar: Im Konjunkturpaket steckt zu wenig Zukunft

Alexander Jungkunz

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4.6.2020, 09:13 Uhr
Das KaDeWe in Berlin: Die Koalition will mit der Senkung der Mehrwertsteuer die Kauflaune der Deutschen ankurbeln.

© Bernd von Jutrczenka, dpa Das KaDeWe in Berlin: Die Koalition will mit der Senkung der Mehrwertsteuer die Kauflaune der Deutschen ankurbeln.

Überraschend, weil es weit höher ausfällt als geplant: 130 Milliarden Euro, mehr gab es noch nie an Konjunkturspritze. Deshalb, weil konkret genau das nicht drin steht, was tagelang gefordert oder befürchtet wurde: eine Neuauflage der Auto-Abwrackprämie. Und überraschend auch deshalb, weil der zentrale Teil des Programms, das die Große Koalition da in rund 21 Stunden schnürte, zuvor gar nicht im Gespräch war: die befristete, mit etlichen bürokratischen Umstellungs-Tücken behaftete Senkung der Mehrwertsteuer.

Sie wird nur für die zweite Jahreshälfte von 19 auf 16 bzw. 7 auf 5 Prozent reduziert. Das macht alle Produkte und Dienstleistungen billiger. In der Theorie jedenfalls.

Und da steckt auch schon das erste Risiko: Reichen die Unternehmen die an sich fällige Preissenkung auch wirklich weiter an die Kunden, werden Waren und Dienstleistungen tatsächlich billiger? Das ist offen. Die Koalition setzt darauf, zumindest öffentlich. Denn natürlich sind auch die Firmen oder Dienstleister massiv daran interessiert, in der Krise wieder mehr finanziellen Spielraum zu haben. Denkbar, dass sie die ersparte Steuer daher für sich behalten und nicht weitergeben. Darin liegt das nächste Risiko: Wenn die Preise nicht sinken, die Mehrwertsteuer ab 2021 aber wieder auf den alten Satz steigt – dann bekämen wir indirekte Preiserhöhungen samt Folgen für die dann vielleicht wieder gut laufende Konjunktur.

Zugespitzt: Bei der Mehrwertsteuersenkung lässt sich die Koalition auf eine gewagte Wette ein. Die lautet: Sind die Menschen aktuell dazu bereit, mit mehr Konsum die Konjunktur anzukurbeln? Die Regierung fordert sie nun dazu auf: Kauft, kauft, kauft – damit wir alle aus der Krise kommen.

Wollen die Menschen so viel kaufen?

Aber: Wollen die Menschen nun wirklich so viel kaufen? Bisher springt die Konsumlaune noch nicht so richtig an, sind die Shoppingcenter eher leer. Und vielleicht haben manche während der Zeit der Quarantäne daheim ja auch ihr bisheriges Kaufverhalten überprüft – und festgestellt: Wir brauchen eigentlich gar nicht so viel, wie wir schon in unseren (während der Corona-Hochphase oft aussortierten) Schränken haben. Wir brauchen vielleicht weniger, aber bessere, nachhaltigere Produkte.

Positiv an der Mehrwertsteuersenkung ist: Sie hat keine soziale Schlagseite, weil diese unumgehbare Steuer Ärmere mehr trifft als Wohlhabende. Gerade gebeutelte Krisenverlierer könnten dadurch also etwas profitieren, wenn Waren des täglichen Bedarfs tatsächlich billiger werden.

Auf eine pauschale Kaufprämie für Autos egal welchen Typs haben die Koalitionäre verzichtet. Gut so: Das hätte die selbst verschuldete Krise der einstigen deutschen Vorzeige-Branche nur kaschiert, die den Sprung in eine neue, nachhaltige Mobilität verpasst hat. Nun werden E-Autos per Innovationsprämie noch mehr gefördert, mit 6000 statt wie bisher 3000 Euro.

Ob das angesichts einer nach wie vor zu schlechten Infrastruktur für die E-Mobilität hilft, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass potenzielle Autokäufer eher auf billigere Preise durch die reduzierte Mehrwertsteuer setzen und auf eine sich verschärfende Rabattschlacht – und weiter klassische Verbrenner nicht nur deutscher Hersteller kaufen, weiter auch sehr PS- und hubraumstark, wie sie ja auf Halde stehen.

Für jedes Kind erhalten kindergeldberechtigte Eltern zusätzlich 300 Euro. Ein eher psychologisches Signal an die Familien, die in der Krise besonders ächz(t)en. Viel sinnvoller wäre es gewesen, diese Mittel ganz in bessere Bildung zu stecken, in den Ausbau der Digitalisierung der Schulen, in individuellere Betreuung - eine vertane Chance. Da muss nochmal nachgebessert werden. Die Kommunen werden entlastet. Aber nicht so massiv, wie es SPD-Finanzminister Olaf Scholz gefordert hatte. Er wollte hoch verschuldeten Städten und Gemeinden die Altschulden komplett abnehmen – was diejenigen Kämmerer quasi bestraft hätte, die Schuldenberge abgebaut haben. Nun springt der Bund für die teils dramatischen Ausfälle der Gewerbesteuer ein und übernimmt einen Teil der steigenden Hartz-IV-Ausgaben. Ein sinnvoller Kompromiss, der den Städten Luft zum Atmen gibt.

Trotz steigender Kurse: Krise ist nicht vorbei

Auch die Hilfen für die Bahn und den öffentlichen Nahverkehr, die nicht zum großen Verlierer der Krise werden dürfen, sind sinnvoll und notwendig. Und im Zukunftskapitel des Konjunkturpakets stecken etliche richtige, ausbaufähige Ansätze auch zu den so zentralen Nachhaltigkeits- und Klima-Themen.

Blickt man auf die Börse mit ihren abenteuerlich steigenden Kursen, dann sieht es so aus, als sei die Krise schon vorbei. Dem ist nicht so. Viele trifft sie erst jetzt oder in ein paar Monaten. Das Überraschungspaket kann da durchaus gegensteuern – wenn die Konjunkturspritzen mehr als ein kurzes Strohfeuer auslösen und die Nachhaltigkeits-Aspekte deutlich verstärkt werden.

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