Kommentar zur Corona-Krise: Söders Vorpreschen war richtig

Alexander Jungkunz

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22.3.2020, 19:29 Uhr

So ein Wochenende gab es noch nie. Es herrschte gespenstische Leere in unseren Städten. Gespenstisch? In diesem Fall war es eine erfreuliche, eine notwendige Leere: Je strikter die drastischen Einschränkungen unserer Freiheit eingehalten werden, desto höher ist die Chance, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.


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Und es sieht so aus, als habe das Vorpreschen Bayerns Wirkung gezeigt. Gerade im Freistaat respektierten die Bürger die Ausgangsbegrenzungen, die Markus Söder am Freitag auf den Weg gebracht und damit seine Ministerpräsidenten-Kollegen vor den Kopf gestoßen hatte.

Es geht um das Gewinnen von Zeit

Gemessen an normalen Zeiten, normalen Standards war das ein unfreundlicher Akt. Aber: Wir haben keine normalen Zeiten. Es geht bei allem, was die Politik momentan tut, ums Gewinnen von Zeit: Das Ziel aller Maßnahmen ist es eben, die Corona-Verbreitung soweit möglich zu verzögern.

Diesem Ziel folgt Söder. Ja, er hat andere überrumpelt, denn eigentlich sollte erst heute Abend über weitreichende, am besten bundeseinheitliche Regeln entschieden werden. Aber: Konnte sich die Republik diese weiteren zwei Tage ohne strikte Beschränkungen leisten? Gerade am Wochenende mit teils schönem Wetter, wo die Menschen teils immer noch ohne Rücksicht auf die Regeln unterwegs waren?

Streit in Schaltkonferenz ist nachvollziehbar

Nach Ansicht aller Experten - und sie regieren seit der Corona-Krise Deutschland mit - eben nicht. Daher war Söders Solo angebracht, ja vorausschauend und sinnvoll. Dass etwa Nordrhein-Westfalen mit Corona-Hotspots und der Nähe zu Frankreich nicht ebenfalls schneller reagierte, das muss da ebenso erstaunen wie das zaudernde Verhalten in der Hauptstadt Berlin mit politischer Scheu vor mutigen, aber unbequemen Schritten.


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Dass Söder mit seinem NRW-Kollegen Armin Laschet darüber in der Schaltkonferenz der Ministerpräsidenten offenbar heftigst gestritten hat, ist nachvollziehbar. Auch, weil beide um die Rolle des starken Mannes in CDU/CSU konkurrieren - und weil Söder da aktuell die eindeutig bessere Figur macht. Es hilft auch wenig, ihm nun vorzuwerfen, er werfe sich da in eine Pose, um sich zu inszenieren. Das tut Söder immer - und professioneller als andere. Aber ihm ist anzumerken, dass ihn das Thema um- und antreibt - und er deshalb lieber ausschert als abwartet.

Jetzt gilt die Kontaktsperre

Nun bekommen wir einigermaßen einheitliche Regelungen. Klar: Das ist besser als ein Flickenteppich von Vorschriften. Doch wenn sich die Länder nicht einigen und dem Bund wegen des Föderalismus die Handhaben fehlen, dann ist es in einer Krise wie dieser letztlich richtig, wenn andere zum Handeln getrieben werden - auch durch Alleingänge. Denn der Blick nach Italien zeigt: Verzögern und Nicht-Handeln rächt sich auf dramatische Art.

Jetzt gilt also die "Kontaktsperre". Ältere erinnern sich: Der Begriff war letztmals groß im Gespräch beim Kampf gegen den Terror der RAF in den 1970er Jahren, als Anwälten der Kontakt zu den inhaftierten Terroristen untersagt wurde. Die jetzige Kontaktsperre ist etwas anderes - ein Präzisierung und leichte Verschärfung dessen, was in Bayern schon gilt. Und immer noch keine verfassungsrechtlich und auch gesundheitlich sehr heikle Ausgangssperre. Aber die Rückkehr dieses Begriffs "Kontaktsperre" zeigt, wie riesig die Herausforderung ist.


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Und unter welchem Druck die Politik steht. Möchte jemand tauschen mit Angela Merkel, mit Markus Söder? Alles, was sie tun, ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Es ist höchst billig, nun zu kritisieren, sie handelten falsch, zu spät oder zu drastisch. Wir werden es erst in einigen Wochen bis Monaten wissen, ob der Kampf gegen Corona erfolgreich war. Und sind selbst gefordert, Vernunft, Zurückhaltung, Mitmenschlichkeit und Rücksichtnahme zu zeigen. Der Auftakt hat einigermaßen geklappt. Er war aber erst der Auftakt eines langen, schwierigen, harten und folgenreichen Weges.

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