Kommentar zur US-Wahl: Neuer Stil, neue Politik?

Stephan Sohr

Chefredakteur Nürnberger Zeitung

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7.11.2020, 19:14 Uhr
Lange war es knapp, nun ist es klar: Joe Biden wird der 46. Präsident der Vereinigten Staaten.

© Sue Dorfman via www.imago-images.de, imago images/ZUMA Wire Lange war es knapp, nun ist es klar: Joe Biden wird der 46. Präsident der Vereinigten Staaten.

Die Erleichterung in vielen Hauptstädten der Welt ist groß, in Berlin ganz besonders. Die Präsidentschaft von Donald Trump in den USA geht nach vier quälenden Jahren zu Ende. Mit Joe Biden zieht ein Präsident ins Weiße Haus ein, der nicht nur andere Umgangsformen als der rauflustige Trump hat, sondern auch eine andere politische Agenda – Partnerschaft und Kooperation statt "America first".


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Die Erwartungen sind verständlich und hoffentlich werden sie nicht enttäuscht. Denn vom milderen Gemüt Bidens sollte man sich nicht täuschen lassen. Auch Biden wird im Zweifel amerikanische Interessen stärker gewichten als europäische oder gar deutsche; er wird, wie Trump, von Berlin erwarten, die Verteidigungsausgaben innerhalb des Nato-Bündnisses zu erhöhen; unter Biden werden die USA wohl wieder dem Pariser Klimaschutzabkommen beitreten, dennoch wird auch der Demokrat Rücksicht nehmen müssen auf die Interessen der eigenen Öl- und Gasindustrie.

Mit am wichtigsten aus deutscher und europäischer Sicht wird sein, wie ein Präsident Biden in Zukunft die Handels- und Wirtschaftspolitik gestalten würde. Gerade die deutsche Exportindustrie ist an einem reibungslosen Zugang zum nordamerikanischen Markt interessiert. Wie aber wird Biden den großen Handelsbilanzüberschuss Deutschlands im Verhältnis zu den USA bewerten? Trump hat diesen immer als Beweis für angeblich unfaire deutsche Handelspraktiken hergenommen – auf die Idee, dass deutsche Produkte in den USA gefragter sind als amerikanische in Deutschland kam er nicht. Ganz konfliktlos werden die Dinge nicht zu lösen sein.

Es wäre blauäugig zu glauben, dass mit Biden eine Zeit unterschiedsloser Interessen zwischen der Alten und der Neuen Welt anbrechen wird. In Berlin tut man gut daran, der von lustvoller Empörung über die Gepflogenheiten Trumps geprägte Haltung nicht eine zu lange Phase fröhlicher Naivität über den neuen Mann im Weißen Haus folgen zu lassen.


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Nicht einmal ein Jahr wird es noch Angela Merkel sein, die als deutsche Bundeskanzlerin das Verhältnis zu den USA auf eine neue Grundlage zu stellen versucht. Biden und Merkel werden, das ist eine banale Feststellung, besser miteinander auskommen als Trump und Merkel, die ein Nicht-Verhältnis zueinander hatten. Wer nach der Bundestagswahl 2021 im Kanzleramt das Sagen haben wird, ist noch offen. Die Transatlantiker Friedrich Merz und Norbert Röttgen hätten sicher einen guten Zugang zu einem Präsidenten Biden; will man SPD-Kandidat Olaf Scholz noch als möglichen Kanzler sehen, dann wäre das wohl auch unproblematisch.

Und Markus Söder? Nur so ein Gedanke. . .

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