Mehr Beats für mehr Diversität: Frauen erkämpfen ihren Platz

Isabella Fischer

Region & Bayern

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8.3.2020, 14:49 Uhr
Mehr Beats für mehr Diversität: Frauen erkämpfen ihren Platz

© Foto: Michael Matejka

Schwere Bässe bringen die Wände zum Beben, der Sprechgesang, der aus den Lautsprechern kommt, lässt automatisch die vielen Köpfe und Körper vor dem DJ-Pult im Takt wippen. Klavierklänge und Saxophone mischen sich in die Musik, die den ganzen Raum einnimmt.

Verantwortlich für die tanzenden Menschen ist DJ MelaSoul. Routiniert verschiebt sie die Regler ihres Mischpults und wechselt die Vinylscheibe ihres Plattenspielers. Bis spät in die Nacht wird getanzt, gelacht und gefeiert.

Melanie Hartmann kam durch Zufall zum Auflegen. 2017 bewarb sie sich bei einem Wettbewerb, der gezielt Frauen die Gelegenheit geben wollte, sich ans DJing zu wagen. Aus reiner Neugier und noch ohne Equipment bastelte sie mit endlosen Mausklicks aus verschiedenen Beats am Computer ihr erstes Mixtape.

Auftritte in Bars

Sie lud ihre Kompositionen auf der Musikplattform Soundcloud hoch und erreichte schnell ihr erstes Publikum. Das war der Startschuss: aus Melanie Hartmann wurde MelaSoul. Was danach folgte waren Auftritte in Bars, Clubs und Radiosendungen. "Das beste Gefühl überhaupt", wie sie es beschreibt.

Als Frau in der Szene war ihre Anfangszeit von Unsicherheit geprägt. "Ich fühlte mich manchmal wie die Quotenfrau", sagt Hartmann. Weibliche Vorbilder habe es für sie zu Beginn nicht gegeben. Frauen seien auch jetzt noch nicht genug sichtbar, obwohl sich mittlerweile immer mehr an das Auflegen wagen. "Man sieht und hört einfach kaum etwas von weiblichen Hiphop-DJs", sagt die 31-Jährige.

Oft hatte Hartmann das Gefühl, von ihren männlichen Kollegen nicht ernst genommen zu werden. Ihre Buchungsanfragen sprechen eine andere Sprache. "Das zeigt, dass sich, egal ob Mann oder Frau, die musikalische Qualität am Ende durchsetzt", sagt sie. Ein paar mehr Frauen würden der Szene jedoch guttun, "Wir haben es genauso drauf wie die Männer".

Musikalische Leckereien

Gute Musik soll auch eine neue Veranstaltungsreihe bieten, die Ende März im Nürnberger Muz-Club Premiere feiert. Alba Wilczek, Franca Walser und Anna Mayer wollen mit der Hiphop-Party "Goodies" (englisch für Leckereien), das Nachtleben aufmischen sowie ein Gleichgewicht der Geschlechter in der DJ-Szene schaffen. "Unterrepräsentierte Gruppen, und da gehören Frauen dazu, sollen in der Clublandschaft mehr gesehen werden und zwar nicht nur als Gäste", sagt Mayer. Bei ihnen sollen sie eine Plattform bekommen und den Ton angeben.

Die drei Veranstalterinnen wollen auf mehr Diversität achten, und "ganz gezielt die LGBTIQ-Community ansprechen, bei uns mitzumachen", betont Wilczek. Für homosexuelle, queere oder transgeschlechtliche Menschen gebe es immer noch zu wenige sichere Räume, in denen sie ungestört feiern könnten.

Zu oft werden sie angefeindet und von der breiten Masse nicht akzeptiert. "Bei uns soll einfach jeder Spaß haben, der Lust auf Hiphop hat", sagt Walser. Für sie ist die Hiphop Kultur schließlich ein Sprachrohr, das "die Menschen vereint".


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Neben guter Musik muss auch der Rahmen passen. Wie auch andere Veranstalter in der Stadt machen sie sich gegen Sexismus, Rassismus und Homophobie auf ihren Partys stark. Darauf achten sie auch bei ihrer Musikauswahl. Diskriminierende Texte jeglicher Art landen bei ihnen nicht auf der Playlist. Im Hiphop gehört es bei einigen Interpreten zum guten Ton, Frauen zu beleidigen und aufs Schlimmste zu erniedrigen.

Mehr Beats für mehr Diversität: Frauen erkämpfen ihren Platz

© NN

Und das mit Erfolg, denn sie feiern regelmäßig hohe Chartplatzierungen. Walser legt prinzipiell nur Musik von weiblichen Künstlerinnen auf. "In Songs männlicher Musiker gibt es oft sexistische Passagen. Aber auch bei Künstlerinnen lese ich mir alle Texte durch, bevor ich entscheide, was ich in meine Musikauswahl aufnehme", sagt sie.

Ein Novum am DJ-Pult

Wilczek und Walser, die neben Studium und Beruf als DJs auflegen, haben wie Melanie Hartmann anfangs mit Zweifeln zu kämpfen gehabt. "Für eine Frau ist es immer noch etwas Besonderes, aufzulegen", sagt Wilczek. Ihre Erfahrungen haben gezeigt: nicht nur für die männlichen Kollegen, auch für viele Partygänger sind Frauen am DJ-Pult noch ein Novum. "Ein Gast hat mir während ich gespielt habe sogar mal in die Turntables gefasst, um zu gucken, ob ich wirklich auflege", sagt Wilczek.

Die neue Partyreihe soll deshalb auch als Inspiration dienen: "Wenn sich auch nur eine Frau im Publikum ermutigt fühlt, aufzulegen, dann ist für uns alles erreicht", sagt sie. Die Vision der drei Frauen: mit Hilfe von "Goodies" ein weiblicheres, diverseres Nachtleben sowie einen sicheren Ort bieten.


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Viele Frauen haben es beim Feiern gehen schon erlebt: sie mussten sich blöde Sprüche von Männern anhören, wurden bedrängt oder gar angefasst und hatten das Gefühl, machtlos zu sein. Das Konzept der "safer spaces" soll auf einer Party eine inklusive Umgebung, frei von Diskriminierung jeglicher Art schaffen.

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© NN

Der Club soll als Schutzraum dienen, in dem man keine Angst haben muss, sexuell belästigt oder diskriminiert zu werden. Vom Barpersonal bis zu den Sicherheitskräften werden alle Mitarbeiter für solche Fälle geschult. Eine Garantie, dass es zu keinen unangenehmen Zwischenfällen kommt, gibt es dennoch natürlich nicht.

Carmen Westermeier erlebte schon einige unangenehme Situationen auf Partys. Irgendwann hörte sie auf, sich damit abzufinden. Mittlerweile ist sie eine Frau, die feiert und kämpft zugleich: Für bessere Verhältnisse in der Clubwelt, safer spaces und mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Musikszene. 2014 gründete sie das queer-feministische Kollektiv "Trouble in Paradise". Es vereint Nürnberger Musikerinnen und Künstlerinnen, die alte Strukturen aufbrechen wollen.

Neben ihrem Studium veranstaltet sie mit dem Kollektiv Partys und ist als DJ aktiv. Mit der Zeit merkte sie, dass in der Clubszene Handlungsbedarf besteht. Veranstalter wie auch das Publikum sind ihrer Meinung nach in der Verantwortung, einen sichereren Ort ohne Diskriminierung zu gestalten. Über die Jahre entwickelte sie Konzepte und Workshops, die ein Bewusstsein für das Thema schaffen sollen. Mittlerweile als Expertin und berät viele Nachtclubs in Bayern und Baden-Württemberg.

Kein Gespür für Sexismus

"Es war und ist ein sehr langer Prozess", sagt Westermeier. Obwohl sie in Nürnberg bereits positive Veränderungen wahrnimmt, seien sich einige Veranstalter dem Problem der vielfältigen Diskriminierung im Nachtleben noch nicht bewusst. "Für sie zählt, dass der Laden voll ist", sagt sie. Das hänge vor allem auch damit zusammen, dass die meisten Veranstalter eben Männer sind und oft kein Gespür für Sexismus hätten. "Weil sie nicht betroffen sind, sind sie vom Thema schnell genervt", meint sie. Braucht es also unbedingt Frauen, um etwas zu verändern? Nein, sagt sie, es gäbe natürlich auch engagierte Männer. Doch wie so oft sind Frauen in den oberen Etagen auch in der Musikszene Fehlanzeige.


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Mehr weibliche Sichtbarkeit kann für Westermeier ganz leicht hergestellt werden. Wenn beispielsweise mehr Frauen gebucht werden und auflegen, entwickle sich eine positive Dynamik. Weibliche Musiker und DJs könnten so zum festen Bestandteil der Szene werden. Auch wenn ihr das Wort nicht gefällt, braucht es eine Zeit lang "Quotenfrauen", die den Anfang machen, und die Probleme öffentlich angehen.

Den Satz, den Westermeier von Veranstaltern häufig hört: "Ich würde ja gerne Frauen buchen oder einstellen, es gibt nur keine." Auch Mirca Lotz kann von diesem Satz ein Lied singen. Seit mehr als 10 Jahren arbeitet sie als Bookerin und Veranstalterin in München, Berlin oder London und ist deutschlandweit als Rednerin bei Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden zum Thema Frauen im Musikbusiness unterwegs. Die männlichen Kollegen seien teilweise "blind oder möchten die Frauen im Musikbusiness nicht sehen", sagt sie.

Vor knapp einem Jahr gründete sie deshalb "MusicBYwomen", dem bayerischen Ableger des Hamburger Projekts musicHHwomen. Um den männlichen Veranstaltern in ihrer Argumentation den Wind aus den Segeln zu nehmen, entstand ein deutschlandweites Netzwerk für Frauen, um sich auszutauschen. Egal, ob Fotografinnen, Musikjournalistinnen, Label-Betreiberinnen oder Technikerinnen – in der Datenbank finden sich bislang über 600 Einträge aus dem weiblichen Umfeld der Musikindustrie. "Die Ausrede zählt also nicht. Wenn man wirklich darauf beharrt, findet man viele tolle Frauen", sagt Lotz.