Weltfrauentag: Wenn das Verbrechen zum Alltag gehört
8.3.2020, 05:54 UhrSie begegnet Männern, mit denen niemand mehr etwas zu tun haben will, und Frauen, deren Taten keiner begreifen kann: Gerhild Zeitner arbeitet als Seelsorgerin im Gefängnis. Sie liebt ihren Beruf – gerade an diesem Ort.
Sie kann zuhören und reden, sie versteht sich als Mensch, der Brücken baut – doch seit März 2018 gehört zum Instrumentarium der evangelischen Pfarrerin auch der dicke Schlüsselbund der Justizvollzugsanstalt (JVA). Im Gefängnis trennen Türen Welten, doch Pfarrerin Zeitner ist ein Mensch, der lieber Türen öffnet, als sie zu schließen.
Vor Inhaftierten, die schon mehrere Straftaten begangen haben, fürchtet sie sich nicht. "Ich bin hier im Gefängnis sicherer als draußen. Ich begegne Drogenabhängigen im cleanen und Alkoholikern im trockenen Zustand", sagt sie und schildert, dass sie häufig gefragt werde, ob sie an ihrem Arbeitsplatz Angst habe, und wie sie es schaffe, den Verbrechern, die anderen Menschen schlimmes Leid zufügten, zu helfen.
Die JVA ist eine Kurzstrafenanstalt, wer zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt wird, muss in ein anderes Gefängnis umziehen – Mörder und Totschläger sind in Nürnberg daher höchstens in der Untersuchungshaft anzutreffen. "Zu 90 Prozent in meinem Arbeitsfeld also", sagt Gerhild Zeitner.
Krisenintervention haben alle nötig
Doch die 57-Jährige ist Seelsorgerin, nicht Richterin. "Ich muss in der Lage sein, den Täter als Menschen wahrzunehmen. Die Menschen hier sind nicht meine Gefangenen, sondern meine Aufgabe ist es, ihnen zuzuhören, mit ihnen zu reden, sie zu stabilisieren und ihnen etwas anzubieten."
Gerhild Zeitner ist die erste Frau in der Gefängnisseelsorge in Nürnberg, sie ist für weibliche und männliche Inhaftierte zuständig. Das Nürnberger Gefängnis ist mit 1153 Plätzen die zweitgrößte JVA in Bayern, 63 Haftplätze hat die Frauenhaftanstalt. Aber die Pfarrerin ist auch für die Bediensteten in der JVA da. Für sie ist dies kein Widerspruch – natürlich beschweren sich manchmal Gefangene über Bedienstete und umgekehrt.
Doch Krisenintervention haben nach belastenden Situationen alle nötig, so sieht sie das. Sie hat eine Ausbildung als Mediatorin, arbeitet in ökumenischer Eintracht mit dem katholischen Seelsorger Andreas Bär zusammen und in der Kirche in der U-Haft spricht sie auch mit Gefangenen muslimischen Glaubens.
Von 2013 bis 2016 war sie Seelsorgerin in El Salvador. Für die Stiftung "Wings of Hope" wirkte sie dort auch bei der Ausbildung von Traumaberatern und Traumapädagogen mit – Auslandserfahrungen, die ihr heute helfen. "Ich komme gut mit Gefangenen, die Migrationshintergrund haben, ins Gespräch." Egal, woher die Häftlinge stammen, "sie alle stecken in einer Krisensituation, vor allem die U-Häftlinge plagt die Sorge um ihre Zukunft". Therapieangebote bereits in der U-Haft – dafür setzt sie sich ein.
Tatsächlich soll das Gefängnis resozialisieren, doch U-Häftlinge gelten rechtlich als unschuldig – deshalb werden in der Untersuchungshaft auch keine Therapieangebote gemacht. Aus Gerhild Zeitners Sicht pure Zeitverschwendung.
Psychisch Kranke müssen geheilt werden
Wer Medizinerin Rebecca Götz aufsucht, hat keine Heilung zu erwarten – und darf nicht mit der ärztlichen Schweigepflicht rechnen. Denn das Kurieren von Kranken gehört nicht zu den Aufgaben der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Als Gutachterin schildert sie, was sie
von den Betroffenen hört, im Strafprozess.
Frauen müssen ihr Schicksal immer noch selbst bestimmen
Geht es um den Geisteszustand von Menschen, die einer Straftat beschuldigt werden, sind in vielen Gerichtsverfahren Psychiater mit forensischen Kenntnissen gefragt – wie Rebecca Götz.
Sie hat ihr Büro in der Nachbarschaft des Justizgebäudes und ist Mitarbeiterin des Gerichtsärztlichen Dienstes. Zu ihrer Kundschaft gehören psychisch gestörte Straftäter.
Wer in Deutschland eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der erheblich verminderten Schuldfähigkeit begeht, kann vom Gericht in einer forensisch-psychiatrischen Klinik untergebracht werden, wenn von ihm weiter Gefahr ausgeht.
Es gilt, die psychisch Kranken zu heilen. Gelingt dies, wird auch der weitere Zweck erfüllt – die Allgemeinheit zu schützen.
Und so soll auch die 34-jährige Rebecca Götz herausfinden, was ihre nervenkranken Problempatienten denken, fühlen und wollen. Ihr Gutachten beeinflusst das Urteil der Richter – schon in der Frage, ob ein Rechtsbrecher ins Gefängnis oder besser in eine Klinik gehört, meist auf unbestimmte Dauer.
Erst wenn die Therapie Erfolg hat, und sich die zuständige Strafvollstreckungskammer sicher ist, dass der Insasse kein Sicherheitsrisiko mehr darstellt, wird er entlassen.
Und wenn sie sich irrt? Rebecca Götz weiß, dass sie von der Presse angegriffen wird, sollte sie sich in einem Patienten täuschen. Als Gutachterin hat sie nicht den Auftrag, Rechtsbrecher zu heilen, sie soll sie analysieren. Und eine Prognose für die nähere Zukunft treffen.
Das ist viel verlangt. Und natürlich geschehen auch Verbrechen, weil so mancher Maßregelpatient die Klinik zu früh verlassen durfte. Wie mit dieser Verantwortung umgehen? "Die Analyse der Betroffenen braucht Zeit", sagt Rebecca Götz. "Man muss nach bestem Wissen und Gewissen handeln, dann kann man sich auch nichts vorwerfen." Und doch: Die stetig steigenden Fallzahlen und der Personalnotstand im Gesundheitswesen werden zunehmend zur Überlastung der forensisch-psychiatrischen Kliniken führen.
Es ist mehr als zehn Jahre her, dass Sarah, es war der dritte Geburtstag des kleinen Mädchens, auf dem Schoß ihrer Großmutter saß – im Sommer 2009 war sie bei einer Körpergröße von 85 Zentimetern auf 8,2 Kilogramm abgemagert; sie starb an den Folgen ihrer Unterernährung. Ihre Eltern hatten sie in ihrem Kinderbett verhungern lassen.
Das Schicksal des Mädchens berührt sie bis heute, sagt Margit Zorn. Als Staatsanwältin führte sie damals die Ermittlungen – selbstverständlich ist das nicht. Bis in die 60er Jahre hinein wurde Frauen kaum zugetraut, objektiv Sachverhalte aufzuklären und Streitfälle zu schlichten. Man(n) hielt sie für viel zu emotional und zu launisch, wie Ulrike Schultz von der Universität Hagen festgestellt hat.
Keine Vorurteile
Erst seit 1922 dürfen Frauen Richterinnen werden, Anfang der 1990er Jahre entsprach der Frauenanteil in der Richterschaft 19 Prozent, 2010 waren es 39 Prozent und im Jahr 2016 bereits 45 Prozent. Heute dürfen Juristinnen wie Margit Zorn Mitgefühl formulieren, ohne in den Verdacht zu geraten, weniger souverän rechtliche Sachverhalte zu prüfen.
Margit Zorn hat mit Recht Karriere gemacht: Die promovierte Juristin begann ihren Dienst bei Justitia 1990 und drei Jahrzehnte später hat sie es zur Vize-Chefin des Landgerichts Nürnberg-Fürth gebracht.
Mit Vorurteilen hatte sie als Frau nie zu kämpfen, schildert sie. Natürlich sei es schwierig gewesen, den Zeitraum, in dem ihre beiden Kinder noch klein waren, mit dem Beruf zu vereinbaren – doch dies bedeutete nur Stillstand, vor ihr abgefahren sei der Karrierezug nicht.
Aktion zum Frauentag: Reden wir über Verteilung der Macht!
"Ich wollte mich immer weiterentwickeln", sagt sie, die sich in ihrer Laufbahn mit dem Straf- und dem Zivilrecht beschäftigte, als Staatsanwältin und als Richterin – und deshalb habe sie auch nie Zusatzaufgaben gescheut. So setzte sie sich jahrelang für Verwaltungsangelegenheiten ein – als Referentin für das Europarecht, Dienstaufsichtsbeschwerden, Landtagseingaben und Bibliotheksangelegenheiten. Fünf Jahre war sie als Mitglied des Bayerischen Anwaltsgerichtshofes bestellt, 2016 wurde sie vom Landtag als Berufsrichterin in den Bayerischen Verfassungsgerichtshof gewählt.