Münchner Virologin im Interview: "Es wird weiter heruntergehen"

Ralf Müller

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4.2.2021, 12:55 Uhr
Seit April ist Ulrike Protzer Teil des Expertenrates der bayerischen Staatsregierung zur Corona-Pandemie.

© argum / MRI Seit April ist Ulrike Protzer Teil des Expertenrates der bayerischen Staatsregierung zur Corona-Pandemie.

Seit April bildet sie zusammen mit Michael Hölscher von der Ludwig-Maximilians-Universität München den Expertenrat der bayerischen Staatsregierung zur Corona-Pandemie.

Frau Professor Protzer, derzeit ist man insbesondere in Bayern nervös, weil die landesweite Inzidenz bei etwa 90 Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohner stagniert. Wirkt auch der verschärfte Lockdown nicht mehr oder ist das nur eine vorübergehende Seitwärtsbewegung, die man nicht so hoch bewerten sollte?

Ulrike Protzer: Ich glaube, es ist eine vorübergehende Erscheinung. Die Zahlen sind ja seit Weihnachten deutlich heruntergegangen - in manchen Bereichen stärker, in anderen weniger.

Die Abwärtsbewegung wird sich fortsetzen?

Protzer: Es wird weiter heruntergehen, aber man muss jetzt erst einmal die Maßnahmen beibehalten, bis man etwas mehr Bewegungsfreiheit hat.

Kann es sein, dass sich hier die Wirkungen vieler noch unerkannter Infektionen mit der Virus-Mutante, die als ansteckender gilt, bemerkbar machen?

Protzer: Man kann es nicht ausschließen, aber alle bisherigen Untersuchungen zeigen, dass in Deutschland nur wenige Prozent der Viren mutiert sind. Unsere eigenen Untersuchungen besagen, dass der Anteil noch im Promillebereich ist, andere Untersuchungen sprechen von bis zu zwei Prozent.

Kann man denn wirklich sicher sein, dass die drei bisher zugelassenen Impfstoffe von Biontech, Moderna und Astrazeneca auch gegen die bisher bekannten Virus-Mutationen wirken?

Protzer: Sowohl Biontech wie Moderna haben Untersuchungen publiziert, die zeigen, dass die genauso gut wirksam sind.

Ist der nur für Personen bis 64 Jahren zugelassene Impfstoff von Astrazeneca zweitklassig?

Protzer: Man muss es differenzierter betrachten. Astrazeneca hat bisher keine überzeugenden Studiendaten für Ältere vorgelegt. Daher hat die Impfkommission das so entschieden. Das bedeutet nicht, dass der Astrazeneca-Impfstoff bei Älteren nicht wirksam ist. Das ist für diese Gruppe nur nicht ausreichend belegt. Bei den anderen ist es belegt. Der Unterschied liegt in der Wirksamkeit: Der Astrazeneca-Impfstoff hat eine Wirksamkeit von 60 bis 70 Prozent und liegt damit unter den beiden mRNA-Wirkstoffen mit fast 95 Prozent.


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Also doch ein Impfstoff zweiter Klasse?

Protzer: Er ist günstiger, in der Transportlogistik einfacher, aber von der Wirksamkeit her unterschiedlich.

Wie lange hält der Impfschutz an?

Protzer: Es gibt erste Daten, dass die Effekte der Impfung für acht Monate sehr gut anhalten. Darüber hinaus kann man erst bei längerer Beobachtungszeit etwas sagen

Ist es möglich, dass sich noch eine Mutation entwickelt, gegen welche diese Impfstoffe nicht wirken?

Protzer: Theoretisch ist das möglich, aber es ist für das Virus nicht einfach. In den Impfstoffen ist das komplette Oberflächenprotein enthalten. Das Oberflächenprotein kann das Virus nicht einfach verändern, ohne seine Infektiosität zu verlieren. Es ist nicht auszuschließen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass dies passiert, ist nicht so hoch. Möglich wäre eine Variante, die schlechter von der Impfantwort erkannt wird. Dann wäre es wichtig, einen wirklich guten Impfstoff zu haben.

Auch für die Frage von Öffnungen wäre es von höchstem Interesse, zu wissen, ob geimpfte Personen noch infektiös sein können. Weiß man da inzwischen mehr?

Protzer: Publizierte Daten darüber gibt es bisher nicht. Wir erwarten eine angekündigte Publikation sehnsüchtig. Es gibt bisher nur Daten aus präklinischen Modellen. Da sieht man, dass noch eine kurzzeitige Infektion auf den Schleimhäuten möglich ist, auch wenn man eine Infektion durchgemacht hat oder wenn man geimpft ist.


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Was bedeutet kurzzeitig?

Protzer: Ein, maximal zwei Tage und nur auf den Nasenschleimhäuten nachweisbar.

Es wird nun schon eine ganze Weile in vielen Ländern geimpft. Sind ihnen gravierende Nebenwirkungen in größerem Umfang bekannt geworden?

Protzer: Gravierende Nebenwirkungen scheinen extrem selten zu sein. Bei den mRNA-Impfstoffen wurden sehr selten allergische Reaktionen beschrieben. Wir reden von einem Fall von 100.000. Die allergischen Reaktionen haben sich bisher immer gut beherrschen lassen. Natürlich kann ein sehr alter Mensch nach der Impfung auch mal sterben. Das bedeutet aber nicht, dass die Impfung ursächlich ist, aber es ist manchmal etwas schwierig auseinanderzuhalten. Es gibt eine so genannte Reaktogenität. Das fühlt sich dann wie eine Erkältung an und ist ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem anspringt.

Stehen Sie Impfstoffen aus Russland und China weiterhin skeptisch gegenüber?

Protzer: Das ist richtig. Wir lassen in Europa nur Impfstoffe und Medikamente zu, wenn es gut kontrollierte Zulassungsstudien gibt. Für den chinesischen und für den russischen Impfstoff müssen solche Studien erst erfolgen beziehungsweise geprüft werden. Wenn man sie zulassen wollte, müsste man zunächst eine Studie machen und wenn diese positiv ausgeht, kann man über eine Zulassung nachdenken.

Es sind ja noch weitere Impfstoffe in der Pipeline. Welche halten Sie für aussichtsreich?

Protzer: Die Firma CureVac entwickelt einen mRNA-Impfstoff. Damit stammen zwei der führenden Impfstoffe aus Deutschland, was zeigt, wie toll wir in dieser Hinsicht aufgestellt sind. Johnson und Johnson arbeitet an einem Vektor basierten Impfstoff wie der von Astrazeneca. Davon könnte vielleicht sogar eine Impfung schon ausreichen, um einen Impfschutz zu geben. Das ist gerade für Länder interessant, die sich bei der Logistik etwas schwerer tun. Die Vektor-Impfstoffe scheinen aber nicht so effizient zu sein wie die mRNA-Impfstoffe, aber dafür sind sie einfacher zu handhaben und auch günstiger.

Bei der Impfstoffentwicklung ist Deutschland ganz vorne, beim Impfen selbst ruckelt es. Wie kommentieren Sie das?

Protzer: Ich glaube nicht, dass man das so sagen kann. Im internationalen Vergleich steht Deutschland beim Impfen gar nicht so schlecht da. Es war von vornherein klar, dass die Impflogistik aufwändig wird, gerade wenn man ältere Menschen impfen will. Ich glaube, das haben wir ganz gut hingekriegt. Ehrlich gesagt verstehe ich das Geschrei nicht ganz. Es war von vornherein klar, dass wir nicht alle auf einmal impfen können.

Ein Problem des "Erwartungsmanagements"?

Protzer: Wir sollten eher stolz sein, was die Deutschen erreicht haben und wie schnell man gute Impfstoffe in Deutschland entwickeln konnte, bevor man jetzt nur rummeckert.


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Für die Politik ist die Inzidenz von 50 eine Art magische Zahl, auf die man hinarbeitet. Ist diese Zahl auch wissenschaftlich logisch und begründbar? Ist unter 50 dann wieder wenn nicht alles, so aber doch vieles wieder gut?

Protzer: Nein. Die 50 sind eine pragmatisch gesetzte Grenze. Inzidenz 50 bezeichnet immer noch ein ganz erhebliches Infektionsgeschehen. Aber unter 50 sollten die Gesundheitsämter wieder in der Lage sein, die Infektionsketten nachzuverfolgen und das Infektionsgeschehen gut im Blick zu haben. Das heißt aber natürlich nicht, dass unter 50 das Virus weg ist.

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