Nach Leipzig-Randale: Ist "Querdenken" das neue Pegida?
10.11.2020, 05:58 UhrDer 9. November hat seit jeher eine besondere Bedeutung für Deutschland. An diesem Datum ereignete sich ein dunkelstes Kapitel der Geschichte. Im Jahr 1938 kam es zur Pogromnacht, bei der Nationalsozialisten Synagogen und jüdische Geschäfte in Brand steckten sowie Juden misshandelten und töteten. Der 9. November sollte also vor allem ein Tag des Gedenkens sein – neben dem feierlichen Anlass, sich an den Mauerfall am 9. November 1989 zu erinnern. So waren in der Region und bundesweit viele Gedenkveranstaltungen geplant, die aber großteils wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden mussten.
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Eine Initiative nutzte dieses spezielle Datum jedoch für eine Demo unter dem Motto "Geschichte gemeinsam wiederholen". Als Uhrzeit wählte der Veranstalter "Querdenken 53" 18.18 Uhr, eine bekannte Chiffre unter Neonazis, die für Adolf Hitler steht. Am Montag sagten die Veranstalter die Demo nach bundesweiter Empörung kurzfristig ab.
"Keine Sonderrechte für Querdenker"
Am Nürnberger Gewerbemuseumsplatz war am gestrigen 9. November ebenfalls eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen gemeldet. Wie ein Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken auf Nachfrage erklärt, sei dies aber keine "große Geschichte" gewesen: rund 25 Teilnehmer, die sich an die Hygieneauflagen gehalten hätten. Die Polizei sei auf weitere, spontane Kundgebungen vorbereitet, erklärt der Sprecher. Um die Maskenpflicht in der Innenstadt zu kontrollieren, seien sowieso mehr Streifen im Einsatz.
Auch der bayerische Ministerpräsident meldet sich zu Wort, nachdem am Samstag in Leipzig eine "Querdenken"-Demo eskaliert war. Weil ein Großteil der rund 20.000 Teilnehmer die Maskenpflicht und Abstandsregeln ignorierte, wurde die Veranstaltung aufgelöst. Journalisten und Polizisten wurden angegriffen. Markus Söder fordert nun eine Aufarbeitung der Geschehnisse, die er scharf verurteile. Das Grundgesetz garantiere das Demonstrationsrecht, aber weder Gewalt noch das Außerkraftsetzen von Gesundheitsvorschriften, sagte Söder der dpa.
"Es gibt hier keine Sonderrechte für Querdenker – ganz im Gegenteil." Er mahnte außerdem, man müsse sich dem "Phänomen" stärker widmen und die "zunehmende aggressive Argumentation überprüfen". "Querdenken" als das neue Pegida? "Das ist eine Veränderung der politischen Kultur und es ist eine Herausforderung für unsere demokratische Gesellschaft, der wir uns intensiver stellen müssen", betont der Ministerpräsident.
Robert Pollack vom Ordnungsamt der Stadt Nürnberg erklärt auf Nachfrage, dass die Behörde "Querdenken"-Demos "skeptisch, aufmerksam und ablehnend" gegenüberstehe. Immerhin gingen in Nürnberg ebensolche bisher immer "problemlos" vonstatten. Zwar würden viele Teilnehmer keine Masken tragen, aber dafür mehr als genug Abstand halten. Es habe auch keinerlei Anzeichen von Rechtsextremismus oder Reichsbürgern gegeben. Pollack könne das Bestreben der Stadt Leipzig nachvollziehen, dass die Demo von der Innenstadt an den Stadtrand verlegt werden sollte - was das Oberverwaltungsgericht aber kippte. Für Nürnberg käme als Ausweichort etwa der Volksfestplatz infrage.
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SPD-Chefin Saskia Esken forderte ebenfalls Konsequenzen nach den Vorkommnissen in Leipzig, wie die dpa berichtete. Die "Querdenken"-Demos würden mitunter verharmlost, wenn von besorgten Bürgern die Rede sei. "So einer Entwicklung tatenlos zuzuschauen, ist eine innenpolitische Bankrotterklärung." Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisiert Justiz und Behörden. "Anstatt über angebliches Polizeiversagen zu reden, sollte man die wahren Ursachen für die Eskalation benennen: Man hätte diese ganze Situation überhaupt nicht zulassen dürfen."
Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) gerät unter Druck. In dieser Woche soll es eine Sondersitzung des Innenausschusses geben, wo er Rede und Antwort stehen wird.
Auch in Nordrhein-Westfalen war die Polizei gestern in Alarmbereitschaft: Das Bildungsministerium hatte vor einer angeblich geplanten Aktion der Initiative "Querdenken 711" gewarnt. Demnach hätten Corona-Leugner geplant, Kinder auf dem Schulweg auf die Gefährlichkeit von Masken anzusprechen. Diese Befürchtungen haben sich letztendlich nicht bewahrheitet.
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