"Schande": Das sagen regionale Abgeordnete zur Wahlrechtsreform

Manuel Kugler

Redaktion Politik und Wirtschaft

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8.10.2020, 18:33 Uhr
Findet deutliche Worte: FDP-Politikerin Katja Hessel. 

© Hans-Joachim Winckler, NN Findet deutliche Worte: FDP-Politikerin Katja Hessel. 

Sebastian Brehm (CSU): "Der Gesetzesentwurf für eine Wahlrechtsreform ist ein wichtiger Schritt, um ein unkontrolliertes Anwachsen des Bundestags zu verhindern. Für die Bundestagswahl im kommenden Jahr soll es zunächst bei der Zahl von 299 Wahlkreisen bleiben. Überhangmandate, die einem Bundesland entstehen, wenn eine Partei dort mehr Direktmandate erringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, sollen mit Listenplätzen der Partei in anderen Ländern teilweise verrechnet werden. Zur Bundestagswahl 2025 werden die Wahlkreise dann auf 280 reduziert – sie werden jedoch geografisch nicht zu groß abgesteckt, so dass die Bürgernähe und die lokale Repräsentanz durch Abgeordnete in den Wahlkreisen erhalten bleibt. Es ist gut, dass wir diese Reform noch in dieser Wahlperiode beschlossen haben."

Michael Frieser (CSU): "Unser Vorschlag stellt eine ausgewogene Lösung dar, welche die mit der Reduzierung der Bundestagsgröße verbundenen Lasten gleichmäßig verteilt. Unser Vorschlag wahrt zugleich die Regelgröße von 598 Sitzen, wohingegen der Oppositionsvorschlag den Bundestag in jedem Fall auf 630 Sitze vergrößert hätte, obwohl die Zahl der Direktmandate drastisch reduziert worden wäre. Das einzige Interesse der Opposition besteht darin, das Direktmandat zu entwerten und zugleich die Zahl der Listenmandaten deutlich zu erhöhen, wovon die Oppositionsparteien wiederum übermäßig profitiert hätten."

Katja Hessel (FDP): "Die Verabschiedung der sogenannten Wahlrechtsreform ist eine Schande für die Demokratie. Zuerst schafft es die Koalition über drei Jahre nicht, einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorzulegen. Dann kommt in sprichwörtlich letzter Sekunde ein Vorschlag, der kaum eine Verbesserung bringt und die eigentliche Reform in die nächste Legislatur verschiebt. Besonders traurig finde ich, dass CDU und SPD den Forderungen der CSU wohl nachgegeben haben, da diese die einzige Partei im Deutschen Bundestag ist, die mit dieser Reform kein einziges Mandat verlieren wird. Mit dem abgestimmten und seit langem vorliegenden Gesetzentwurf von FDP, Grünen und Linken wäre eine echte Wahlrechtsreform rechtzeitig vor der Bundestagswahl möglich gewesen."


Wenig Wirkung bescheinigt ein Bundestags-Gutachten der Wahlrechtsreform


Harald Weinberg (Linke): "Linke, Grüne und FDP haben einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen und die Zahl der Abgeordneten des Bundestags nicht weiter anwachsen zu lassen. Denn mit dem aktuellen Wahlrecht steuern wir schnurstracks auf eine neue Rekordgröße zu. Der Bundestag könnte wegen der voraussichtlich großen Zahl an Unions-Überhangmandaten und daraus resultierendem Ausgleich sogar die 800er-Marke knacken. Das kann niemand wollen und deswegen ist jetzt die Zeit zu handeln. Der Vorschlag muss nun in den Gremien aller drei Fraktionen endgültig bestätigt werden und dann hoffen wir auf die Bereitschaft von Union und SPD, ihren Teil zu leisten. Der Ball liegt nun in ihrem Feld."

Gabriela Heinrich (SPD): "Ich will das gar nicht schönreden, für die kommende Bundestagswahl hat die Reform nur eine kleine Dämpfungswirkung. Größere Auswirkungen wird es erst 2024 geben. Wir könnten schon weiter sein, denn die SPD-Bundestagsfraktion hatte bereits im März als einzige Fraktion einen wirklich fairen Gesetzentwurf vorgelegt, der aber von der CSU kategorisch abgelehnt wurde. Grüne, Linkspartei und FDP wollen ein Gesetz, das sie einseitig bevorzugt und sind insofern Teil des Problems und nicht Teil der Lösung."

Lisa Badum (Grüne): "Für uns Grüne ist eine Wahlrechtsreform und eine wirksame Verkleinerung des Bundestages dringend erforderlich. Doch die Scheinreform der Großen Koalition verfehlt dieses Ziel gänzlich. Es ist ein Armutszeugnis, dass die Bundesregierung und allen voran die CSU jegliche Kritik an ihrem Konzept ignoriert und stattdessen eine Reform auf den Weg bringen will, die das Wahlrecht nur weiter verkompliziert. Mit dieser Scheinreform vertut die Große Koalition die Chance, gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen eine wirksame Wahlrechtsreform auf der Grundlage des personalisierten Verhältniswahlrechts auf den Weg zu bringen. CSU, CDU und SPD werden sich im nächsten Jahr erklären müssen, warum der kommende Bundestag vermutlich so weit anwachsen wird, dass die Arbeitsfähigkeit des Bundestages belastet sein wird."

Martin Sichert (AfD): "Wir haben als AfD schon frühzeitig einen Vorschlag eingereicht, um die festgelegte Regelgröße von 598 Abgeordneten nicht zu überschreiten. Der aktuelle Vorschlag von Union und SPD ist keine Reform, sondern maximal ein Reförmchen, denn voraussichtlich wird so der Bundestag bei der nächsten Wahl weiter anwachsen. Gerade jetzt, wo viele Bürger den Gürtel enger schnallen müssen und Millionen Menschen Angst um die Zukunft ihres Arbeitsplatzes haben, ist es ein fatales Signal, dass Union und SPD eine Einigung über eine echte Wahlrechtsreform verhindern, und den Bürgern künftig Millionenkosten jeden Monat für einen aufgeblähten Bundestag abverlangen."

Uwe Kekeritz (Grüne): "Die Wahlrechtsreform nach Façon der Großen Koalition wird den Bundestag nicht entscheidend verkleinern. CDU/CSU und SPD vertagen überdies wichtige weitere Reformen wie die Parität und das Wahlalter ab 16 und verschieben sie in Kommissionen – für die Zeit nach der Wahl 2021. Die Berechnungen unserer Grünen-Bundestagsfraktion untermauern, dass das, was uns die Koalition als großen Erfolg verkaufen will, nichts anderes ist als ein großer Bluff. Bei einem Bundestagswahlergebnis entsprechend der Umfragen vom 23. Januar 2020 würde der Bundestag stark anwachsen: auf 798 Mandate. Bei einem Ergebnis nach der neuesten Umfrage vom 3. September wären es immer noch ganze 763 Mandate. Damit legen CDU, CSU und SPD keine echte Wahlrechtsreform vor, vielmehr ist es wahrscheinlich, dass mit ihrem Kompromiss der kommende Bundestag sogar weiter anwachsen wird. Dieses Ergebnis als Erfolg verkaufen zu wollen, ist dreiste Augenwischerei."

Der Artikel wurde mehrfach aktualisiert.

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