Heute Expertenanhörung
Scheitert die Impfpflicht an "Papiermangel"? Krankenkassen nennen kuriosen Grund - und ernten Häme
21.03.2022, 11:39 Uhr
In der Debatte um eine allgemeine Corona-Impfpflicht in Deutschland werden die verschiedenen Vorschläge am Montag in einer Expertenanhörung des Bundestags erörtet.
Vorab wies der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) auf praktische Probleme im Entwurf für eine Impfpflicht ab 18 Jahre hin. Die Kassen seien "keine Gesundheits- oder Ordnungsbehörden", heißt es in der Stellungnahme. Vorgesehene Informations-Anschreiben an die Versicherten bis 15. Mai seien organisatorisch im gesetzten Zeitrahmen nicht zu erfüllen. Fraglich sei, ob allein genügend Papier beschafft werden könnte, um 60 Millionen Betroffenen anzuschreiben. Derzeit herrsche "in Europa ein akuter Papiermangel und somit fehlt Material für die rund 120 Millionen Schreiben", zitierte die Bild aus der GVK-Stellungnahme.
Spott auf Twitter
In den sozialen Medien ernteten die Krankenkassen dafür viel Häme. "Ich rufe hiermit dazu auf, Ihrer zuständigen Krankenkasse UMGEHEND Papier zuzuschicken. Die haben nicht genug!", schrieb der Hausarzt Christian Kröner auf Twitter. "Dümmste Ausrede ever!" Andere beklagten Versäumnisse wie ein fehlendes digitales Impfregister oder wiesen darauf hin, dass sie einen angeblichen Papiermangel nicht ernst nehmen können, solange jedes Wochenende unzählige Werbeprospekte verteilt werden. Marcus Mittermeier schrieb: "Sie meinen sicher das Thermopapier für ihre Faxgeräte. #Papiermangel"
Auf praktische Aspekte bezog sich auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): "Eine Impfpflicht kann dann ein sinnvoller Beitrag zur Steigerung der Impfquote sein, wenn sie praktikabel und umsetzbar ist und die Kontrolle und Durchsetzung sachgerecht geregelt ist." Leider gebe es aktuell weder ein Impfregister noch seien elektronische Patientenakten verbreitet. Die in den Entwürfen vorgesehene Erfassung und Kontrolle der Impfpflicht über die gesetzlichen Krankenkassen drohe in der Umsetzung sehr aufwändig und fehleranfällig zu sein.
Krankenhausgesellschaft pro Impflicht
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sprach sich für eine "von einer breiten politischen Basis getragen" Impfpflicht für alle Erwachsenen aus. Sie verwies auf die schon eingeführte Impfpflicht für Klinikpersonal. Angesichts der weiterhin angespannten Lage in den Stationen sei nicht länger vermittelbar, dass Mitarbeiter dies akzeptieren müssten, Patienten sich aber allein nach persönlicher Abwägung für oder gegen Impfungen entscheiden könnten.
Die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie erläuterte in ihrer Stellungnahme, trotz intensiver Anstrengungen sei es nicht gelungen, zu einer ausreichend hohen Impfquote zu kommen. Eine Impfpflicht für Erwachsene biete die Möglichkeit, dies "sicher zu erreichen". Eine weitere Eingrenzung auf Menschen ab 50 Jahre oder Risikogruppen werde nicht empfohlen. Eine zusätzliche Schutzwirkung durch Verringern der Virus-Zirkulation über Impfungen möglichst vieler Personen sei "für das Ziel der Senkung der Krankheitslast unverzichtbar".
Ungeimpfte Erwachsene schränken Kinder-Grundrechte ein
Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte befürwortete in seiner Stellungnahme eine Impfpflicht für alle Volljährigen. "Ungeimpfte Erwachsene schränken mit ihrem Verhalten insbesondere die Grundrechte der Kinder ein. Das halten wir für nicht hinnehmbar."
Im Bundestag hat der Entwurf für eine Impfpflicht ab 18 Jahre, den mehr als 230 Abgeordneten unterstützen, bisher den größten Rückhalt. Vorgelegt hat ihn eine Gruppe um den Grünen-Experten Janosch Dahmen und SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Daneben gibt es einen Entwurf einer Gruppe um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann für eine Beratungspflicht und dann eine mögliche Impfpflicht ab 50 Jahre. Eine Gruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki lehnt eine Impfpflicht ab. Auch Union und AfD haben Anträge vorgelegt. Entscheiden soll der Bundestag ohne sonst übliche Fraktionsvorgaben voraussichtlich Anfang April.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warb am Sonntagabend in der ARD und bei RTL erneut für eine allgemeine Impfpflicht und dafür, dass die beiden im Bundestag vorliegenden Entwürfe für eine Impfpflicht ab 18 und ab 50 Jahre zusammengeführt werden.
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