"Negative Campaigning"

Schmähkampagnen gegen Baerbock und andere: Der Wahlkampf als Schlammschlacht

Hans Böller

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13.08.2021, 16:40 Uhr
Zielscheibe: Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen

© Markus Scholz, dpa Zielscheibe: Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen

Wenn der Bundeskanzler Konrad Adenauer über seinen Herausforderer sprach, war dieser schon einmal "der Herr Brandt alias Frahm". Das war – im Wahlkampf 1961 – einigermaßen niederträchtig, weil es eine Anspielung auf Willy Brandts Vita als unehelicher Sohn der Lübecker Konsum-Verkäuferin Martha Frahm war. Selbst die Flucht vor den Nazis, die ihn 1938 ausgebürgert hatten, hielten Unions-Politiker dem SPD-Kandidaten vor.

Elf Jahre später legte die CSU-Landesleitung ein "Rotbuch" auf; "der deutsche Wähler", heißt es darin, habe "das Recht, die Wahrheit über die SPD und ihre politischen Führer zu kennen", und: "Es gibt kaum einen ‚Lebenslauf’ eines deutschen Politikers, der in so unglaublicher Weise die Tatbestände verfälscht oder verschleiert." Damals, 1972, ging es insbesondere um den SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner und dessen kommunistische Vergangenheit. Die Jusos hielten mit einem "Schwarzbuch" dagegen.

Steinmeiers Warnung

Verfälscht oder verschleiert, es klingt erstaunlich aktuell im Blick auf Annalena Baerbock und ihre Vita, die sie ein wenig beschönigt hatte (und in der ein paar Nebeneinkünfte fehlten). Die Kanzlerkandidatin der Grünen erlebt gerade, was man heutzutage "Negative Campaigning" nennt: persönliche Angriffe, in denen es nicht um politische Inhalte geht. Der nur vage definierte Begriff kommt, wie das Phänomen selbst, aus den USA, es geht darum, den politischen Gegner zu diskreditieren.

Ob und in welchem Maße das zulässig ist, wird in Amerika durchaus kontrovers diskutiert. Der US-Präsident wird nach Mehrheitswahlrecht direkt gewählt, im Kampf Mann gegen Mann – oder Frau gegen Mann – darf es nach allgemeiner Einschätzung durchaus härter zugehen, wo die Grenzen liegen, wird immer neu definiert. Spektakulär überschritten hatte sie, lange vor dem darauf auf besonders ungünstige Weise spezialisierten Donald Trump, der Präsident Lyndon B. Johnson.

Trend aus den USA

Die Demokraten hatten Johnsons Herausforderer Barry Goldwater 1964 als Kriegstreiber dargestellt, in einem Film, in dem ein kleines Mädchen Blumen pflückt – bis sich eine atomare Explosion in ihren Augen spiegelt. Goldwater wurde namentlich gar nicht genannt, war aber klar erkennbar gemeint. Es war ein Skandal, die Demokraten zogen den Film zurück – was ihn erst richtig populär machte. Johnson gewann die Wahl.

Wunderte sich 1980 und lobte Wählerinnen und Wähler: Willy Brandt.

Wunderte sich 1980 und lobte Wählerinnen und Wähler: Willy Brandt. © imago stock&people via www.imago-images.de, imago images/Ferdinand Hartung

Dass bundesdeutsche Wahlkämpfe amerikanische Vorlagen adaptiert haben, war spätestens mit dem ersten Fernseh-Duell im Jahr 2002 offensichtlich (die Idee zu einer solchen Veranstaltung hatte der damalige Vizekanzler Willy Brandt schon 1969, aber Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger und das "ZDF" lehnten sie als zu unseriös ab).

Zwar warb die Union schon ab 1951 gern mit Adenauers markantem Kopf und führte die SPD 1961, für Brandt, den Begriff des Kanzlerkandidaten ein. Aber die gesteuerte Personalisierung von Politik war erst das Resultat teurer, professioneller, langer und manchmal ermüdender Kampagnen, in denen Sachfragen oft in den Hintergrund rücken.

Wo sind die Grenzen?

Wo liegen die Grenzen? Erst Anfang Juli hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einer "Schlammschlacht" gewarnt, zur Demokratie gehöre, sagte er im "ZDF"-Sommerinterview, "dass man Maß und Vernunft walten lässt, und das gilt auch in Wahlkämpfen". Annalena Baerbocks Name fiel nicht, aber die erste grüne Kanzlerkandidatin der Republik war bereits heftig diskreditiert worden: als Frau, als junge Frau, als Mutter, in den Sozialen Medien ganz ungeniert frauenfeindlich.

"Grüner Mist"

"Grüner Mist" nennt sich eine nun mit Plakatierungen im ganzen Land aufgefallene Schmähkampagne, die sich selbst als unabhängig bezeichnet, aber zumindest Berührungspunkte mit der AfD aufweist, einer Partei, die bei Schlammschlachten keine Hemmungen kennt. Eine grüne Regierung, heißt es, stünde für "die endgültige Auflösung des demokratischen Nationalstaats".

Aufgefallen war auch die SPD mit einem Wahlkampf-Spot, in dem ein enger Mitarbeiter des CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet als erzkonservativer katholischer Eiferer dargestellt wird. Laschet zeigte sich dem TV-Sender "RTL" gegenüber "überrascht, welche Methoden jetzt Olaf Scholz anwendet", der SPD-Kandidat – der gerade erst darauf hinwies, Annalena Baerbock werde mitunter "nicht fair und gerecht" bewertet.

SPD-Spott gegen Merkel

Vor acht Jahren, im Wahlkampf 2013, setzte die SPD auf Plakate, die eine ungünstig getroffene Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigten – darunter standen ironisch verbrämte Kommentare zu Merkels Politik. Manche Beobachter werteten es als Reaktion auf den zwischen den Kandidaten Merkel und Steinmeier geführten Wahlkampf von 2009, der als eher bieder und langweilig empfunden wurde.

Gut kam das aber nicht an, die erste europaweite Vergleichsstudie aus demselben Jahr zeigte, dass politische Negativ-Kampagnen in Deutschland wenig goutiert werden. Personalisierte Politik funktioniert eher andersherum, in jenem ersten Fernseh-Duell 2002, als Gerhard Schröder auf Edmund Stoiber traf, punktete der SPD-Kanzler in der Rolle des kleinen Mannes aus dem Volk, der sich über den zweiten Bildungsweg nach oben kämpfte. Als Schröder drei Jahre später Merkels Steuerfachmann Paul Kirchhof als den "Professor aus Heidelberg" bespöttelte, machte er sich damit eher unbeliebt.

Die Politikwissenschaft hält Negativ-Kampagnen mehrheitlich für kontraproduktiv, sie würden dem Ansehen der Politik insgesamt schaden und zu einem Vertrauensverlust führen. Andererseits ist die Verlockung groß, seit feste Bindungen verloren gehen, die ehemaligen Volksparteien erodieren und es bis kurz vorm Stichtag jede Menge unentschlossene Wählerinnen und Wähler gibt.

"Ein schreiender Widerspruch"

Wie viel Schlamm darf es dann sein? Ein diffuses Misstrauen gegen die Konkurrenz zu schüren, sie – oft andeutungsweise – als unzuverlässig und charakterschwach darzustellen, ist offenbar immer ein Anreiz.

Er sehe allerdings "einen schreienden Widerspruch", sagte der da schon Alt-Kanzler Willy Brandt nach dem zwischen Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß geführten Wahlkampf 1980, für den das Wort Schlammschlacht oft verwendet wurde – nämlich "den Widerspruch zwischen der ruhigen und sachlichen Haltung der Bürger und der Treibhausmentalität der Verbal-Akrobaten in Bonn und München".

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