Sea-Watch 3: Ein Sinnbild für das Versagen der EU

Manuel Kugler

Politikredakteur

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1.7.2019, 10:45 Uhr
"Sea-Watch"-Kapitänin Carola Rackete wurde festgenommen, nachdem sie trotz eines Verbots der italienischen Behörden ihr Rettungsschiff mit 40 im Mittelmeer geretteten Migranten in den Hafen der sizilianischen Insel Lampedusa gesteuert hatte.

© ANAELLE LE BOUEDEC, AFP "Sea-Watch"-Kapitänin Carola Rackete wurde festgenommen, nachdem sie trotz eines Verbots der italienischen Behörden ihr Rettungsschiff mit 40 im Mittelmeer geretteten Migranten in den Hafen der sizilianischen Insel Lampedusa gesteuert hatte.

In einer Debatte, die längst von der Lautstärke und nicht vom klügsten Argument bestimmt wird, ist er der Allerlauteste: Matteo Salvini. Jedenfalls kann, wer die deutsche Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete mit den Worten verhöhnt, nicht jeder, der "weiß, reich und deutsch" sei, müsse losziehen, um Italien auf "die Eier zu gehen", nicht gerade für sich in Anspruch nehmen, an einem konstruktiven Austausch interessiert zu sein.

Und doch sind Salvinis Ausfälle nur Ausdruck eines gesellschaftlichen Klimas, in dem solche Beschimpfungen selbst von hohen Staatsvertretern - Salvini ist immerhin stellvertretender italienischer Ministerpräsident – folgenlos bleiben, ja zum Normalfall werden.

In Europa hat sich ein Graben aufgetan zwischen zwei Extremen. Zwei Extreme, deren Vertreter den Vorwurf, extrem zu sein, wohl weit von sich weisen – weil sie nicht zugestehen würden, dass sie doch etwas Entscheidendes übersehen.

Europas (Mit-)Verantwortung

Auf der einen Seite stehen Menschen, die Europa abschotten wollen von dem Elend und der Perspektivlosigkeit, die in seinem Süden, in Afrika und im Nahen Osten, grassieren. Eine (Mit-)Verantwortung der europäischen Zoll- und Subventionspolitik an diesem Elend, an dieser Perspektivlosigkeit negieren sie ebenso wie die Motive von Wirtschaftsmigranten – so als ob die Suche nach einem besseren Leben nichts zutiefst Menschliches wäre.

Auf der anderen Seite stehen jene, die die Rettung von Menschen in Seenot als das ansehen, was sie ist: eine moralische Pflicht. Sie stehen für Werte ein, denen die Europäische Union aus Kalkül nicht mehr nachkommt. Dafür gebührt ihnen Respekt. Aus dem Recht auf Rettung leiten sie allerdings - und durchaus problematisch - einen Automatismus ab, die aufgegriffenen Migranten nach Europa zu bringen - so als ob in allen nordafrikanischen Mittelmeer-Anrainerstaaten Zustände wie in Libyen herrschten.


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Einen Ausgleich finden

Der Fall Carola Rackete zeigt wie unter einem Brennglas, warum Europas Flüchtlingspolitik auch gescheitert ist: Deutschland war einst der entschiedenste Verfechter der Dublin-Regeln, die die Aufnahme von Flüchtlingen alleine auf die Ankunftsländer abwälzten. Dass Italien, das unter dieser Last ächzt, nun ausgerechnet eine Deutsche festnimmt, die Migranten nach Lampedusa bringt, steht sinnbildlich für das Versagen der EU zu einer Politik zu finden, die einen Ausgleich aller berechtigten Anliegen schafft.

Der nächste Kommissionschef wird sich dringend um eine solche neue Flüchtlingspolitik bemühen müssen. Auf dieser Mission wird er jede Menge kluger Argumente brauchen. Ob er damit bei all den Lautsprechern tatsächlich durchdringt, die die Debatte gekapert haben, steht allerdings in den Sternen.

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