Präsidentschafts-Wahlkampf

„Segen“ oder „Betrug“? So reagieren Presse und Politik auf das Biden-Beben

Sara Denndorf

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22.7.2024, 11:09 Uhr
Joe Biden ist am Sonntag aus dem Rennen um das Weiße Haus 2024 ausgestiegen, hat seine Kandidatur beendet und Kamala Harris als Nachfolgerin vorgeschlagen.

© Evan Vucci/dpa Joe Biden ist am Sonntag aus dem Rennen um das Weiße Haus 2024 ausgestiegen, hat seine Kandidatur beendet und Kamala Harris als Nachfolgerin vorgeschlagen.

Joe Biden zog die Reißleine: Der 81-Jährige war wegen seines geistigen Zustandes zunehmend unter Druck geraten, seine Zustimmungswerte sanken und sein Konkurrent Donald Trump führte in nahezu allen Umfragen. Der Amtsinhaber entschied sich dazu, aus dem Rennen um die Präsidentschaft auszuscheiden:

"Obwohl es meine Absicht war, mich um eine Wiederwahl zu bemühen, glaube ich, dass es im besten Interesse meiner Partei und des Landes ist, wenn ich mich zurückziehe und mich für den Rest meiner Amtszeit ausschließlich auf die Erfüllung meiner Pflichten als Präsident konzentriere", erklärte der Demokrat in einer Stellungnahme und schlug zudem seine Vizepräsidentin Kamala Harris als Nachfolgerin vor.

Trump, Harris und Co.: So reagierten die Protagonisten des US-Wahlkampfes auf den Rückzug

Die mutmaßliche Ersatzbewerberin Harris adelte Biden für dessen "selbstlose und patriotische Tat" und betonte: "Präsident Biden tut das, was er sein ganzes Leben lang getan hat: Er stellt das amerikanische Volk und unser Land über alles andere." Auch zu Bidens Vorschlag, die bisherige Vizepräsidentin und Vizepräsidentschaftskandidatin solle seine Nachfolge antreten, äußerte sich Harris in einer Stellungnahme: "Ich fühle mich geehrt, die Unterstützung des Präsidenten zu haben, und ich habe die Absicht, diese Nominierung zu verdienen und zu gewinnen."

Mit der möglichen Kandidatur von Kamala Harris hoffen sowohl die US-Demokraten als auch Politiker weltweit auf einen neuen Ruck in der Partei und auf eine neue Chance, eine zweite Amtszeit von Donald Trump zu verhindern. Ein Indiz für die neue Harris-Hoffnung in den Vereinigten Staaten: Diversen US-Medien zufolge kamen nach Bidens Entscheidung wieder Millionenspenden in die Wahlkampfkassen. Also: Die Geschichte des US-Wahlkampfes 2024 wird von nun an neu geschrieben und demzufolge müssen nun auch die Republikaner ihre Strategie umwerfen – sehr zum Missfallen von Spitzenkandidat Donald Trump.

Der 78-Jährige, der den geistigen Zustand und die altersbedingte Schwäche seines Widersachers Joe Biden für seinen Wahlkampf instrumentalisierte, steht nun – sollte Harris tatsächlich kandidieren – vor genau jener Rolle als älterer, greiser Kandidat gegenüber einer vitalen 59-Jährigen. Hatte er sich zuvor ein leichtes Spiel gegen Biden ausgerechnet, werden die Karten nun gänzlich neu gemischt. Wohl auch deshalb reagierte Trump nach dem Biden-Beben recht wütend: Sein Team habe Zeit und Geld in "den Kampf gegen den betrügerischen Joe Biden" investiert. "Jetzt müssen wir wieder von vorn anfangen", schimpfte der Republikaner auf der von ihm mitbegründeten Internet-Plattform Truth Social. Und: Trump stellte sogar eine mögliche Entschädigung der Republikaner für diesen "Betrug" an seiner Partei in den Raum.

Auch andere Vertreter der Republikaner reagierten mit Wut und Aggression auf den Rückzug Bidens: Mike Johnson, der republikanische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, forderte etwa Biden dazu auf, in diesem Zuge auch sein gegenwärtiges Amt als Präsident niederzulegen: "Wenn Joe Biden nicht in der Lage ist, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, dann ist er auch nicht in der Lage, das Amt des Präsidenten auszuüben", schrieb Johnson auf X.

J. D. Vance, Donald Trumps Stellvertreter, startete ebenfalls einen verbalen Angriff und richtete sich dabei sowohl an Joe Biden als auch an dessen mutmaßliche Nachfolgerin: "Joe Biden war der schlechteste Präsident meines Lebens, und Kamala Harris hat ihn auf Schritt und Tritt begleitet", schrieb Vance auf der Plattform X und warf der Vizepräsidentin vor, Bidens "Politik der offenen Grenzen und des grünen Betrugs" mitzuverantworten. Vor diesem Hintergrund sei Vance selbst ebenso wie Spitzenkandidat Trump "bereit, Amerika zu retten, egal wer an der Spitze der Demokraten steht".

Deutsche und internationale Politiker würdigen Bidens Leistungen und Entscheidungen

Sämtliche politische Beobachter des US-Präsidentschaftswahlkampfes fanden überwiegend lobende Worte für Bidens Errungenschaften und feierten ihn für seinen Rückzug mitunter als "selbstlosen Held". Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb auf der Twitter-Nachfolgeplattform X: "Mein Freund Joe Biden hat viel erreicht: für sein Land, für Europa, die Welt." Konkret sei dank Biden "die transatlantische Zusammenarbeit eng, die NATO stark, die USA ein guter und verlässlicher Partner für uns".

Der SPD-Politiker zollte Biden "Anerkennung" für seinen Rückzug, Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sprach von "tiefer Hochachtung" und CDU-Chef Friedrich Merz von "größtem Respekt". Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnete die Entscheidung als "ein Segen", Arbeitsminister Hubertus Heil sprach der Wendung eine "historische Bedeutung" mit Einfluss auf Deutschland und Europa zu, und Justizminister Marco Buschmann nannte Biden eine "Ausnahmepersönlichkeit". Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang bezog auf X Stellung: "Joe Biden hat als Präsident seinem Land auf beeindruckende Art und Weise gedient. Und er tut es auch mit diesem Schritt."

Die Außenpolitiker der CDU und der SPD schlugen zwar etwas kritischere Töne an, blieben aber ebenfalls in einem allgemeinen Tenor der Wertschätzung: Norbert Röttgen bezeichnete es zwar als einen "Fehler, erneut zu korrigieren", Biden haben diesen jedoch "spät, aber nicht zu spät korrigiert". Demnach bestehe laut dem CDU-Politiker noch die Chance für die Demokraten, "den Wahlkampf nochmal zu drehen". Sein Pendant bei der SPD, Ralf Stegner, schrieb auf X von einem "erwarteten Paukenschlag", der letztlich alternativlos und notwendig sei.

Unter den Reaktionen aus dem Ausland ist insbesondere das Statement des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hervorzuheben: "Die Ukraine ist Präsident Biden für seine standhafte Unterstützung des ukrainischen Freiheitskampfes dankbar", schrieb Selenskyj bei X. Biden habe auf herausfordernde Zeiten mit mutigen Schritten geantwortet und man respektiere seine schwere Entscheidung, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen. "Wir werden immer für die Führung von Präsident Biden dankbar sein. Er hat unser Land während der dramatischsten Momente der Geschichte unterstützt", schrieb Selenskyj weiter.

In den USA würdigte unter anderem Chuck Schumer, führender Demokrat im Senat, Amstinhaber Biden als "wahren Patriot und großen Amerikaner". Der frühere US-Präsident Bill Clinton und seine Ehegattin Hillary dankten Biden in einer gemeinsamen Stellungnahme für eine Präsidentschaft, "die Amerika aus einer beispiellosen Pandemie befreit, Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen, eine angeschlagene Wirtschaft wiederaufgebaut, unsere Demokratie gestärkt und unser Ansehen in der Welt wiederhergestellt hat". Auch Barack Obama, der noch immer als Schwergewicht bei den US-Demokraten gilt, fand lobende Worte für Bidens "herausragende Erfolgsbilanz", betitelte ihn als "Patriot von höchstem Rang" und gab sich "außerordentlich zuversichtlich", dass die Demokraten einen "herausragenden Kandidaten" finden würden. Allerdings bezog der frühere US-Präsident keinerlei konkrete Stellung zur Person Kamala Harris.

Prominente demokratische Gouverneure, die mitunter selbst als Nachfolger Bidens gehandelt wurden, sprachen sich indes dezidiert für die derzeitige Vizepräsidentin aus: "Hart. Furchtlos. Hartnäckig. Angesichts unserer gefährdeten Demokratie und unserer ungewissen Zukunft gibt es niemanden, der besser geeignet ist, den Fall gegen Donald Trumps düstere Vision zu verfolgen und unser Land in eine gesündere Richtung zu führen, als die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, Kamala Harris", schrieb beispielsweise der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom auf der Plattform X.

Natürlich äußerte sich auch Elon Musik zum Biden-Beben. Der Tech-Milliardär, der bereits mehrfach seine Unterstützung für Kandidat Trump kundgetan hatte und diesen Medienberichten zufolge auch finanziell unterstützt, schrieb bei X: "Die wirklichen Kräfte, die an der Macht sind, entledigen sich der alten Marionette zugunsten einer, die eine bessere Chance hat, die Öffentlichkeit zu täuschen. Sie fürchten Trump, weil er keine Marionette ist."

Biden erfährt großes Lob aus der Presse

Bei den Reaktionen auf Bidens Rückzugs-Erklärung überwiegt der Tenor, der 81-Jährige habe seine persönlichen Absichten hintangestellten, um im Sinne der Vereinigten Staaten den Wahlkampf wiederzubeleben und dadurch eine zweite Amtszeit von Donald Trump zu verhindern. Diese Stoßrichtung prägt auch die Berichterstattung diverser Medien rund um Bidens Entscheidung, aus dem Rennen um die Präsidentschaft auszuscheiden. Die "New York Times" formulierte in einem Artikel: "Biden hat jetzt getan, was Trump niemals tun wird: Er hat das nationale Interesse über seinen eigenen Stolz und Ehrgeiz gestellt. Bidens Abschied gibt den Demokraten eine Gelegenheit, das öffentliche Interesse neu zu fokussieren - weg von Fragen zur Tauglichkeit des Präsidenten hin zu der ganz offensichtlich moralischen und gemütsmäßigen Untauglichkeit Trumps - und den Gefahren, ihn wieder mit der beträchtlichen Macht des Präsidentenamtes auszustatten."

Laut der "Washington Post" bietet "Bidens Entscheidung die Chance für einen Neustart, nicht nur für seine Partei, sondern für die US-Politik im Allgemeinen, durch einen Wettbewerb um die Nominierung zwischen künftigen nationalen Führern. (...) Umfragen zeigen, dass Harris die bekannteste unter den potenziellen demokratischen Bewerber ist, aber sie hat zugleich eine Bilanz in der Biden-Regierung aufzuweisen, die Menschen mit gutem Recht unter die Lupe nehmen können (...) Und vielleicht noch wichtiger, sie ist nicht die einzige Option."

Besonders das Blatt "Boston Globe" würdigte die Erfolge des Amtsinhabers: "Die Amerikaner haben Präsident Biden viel zu verdanken. Künftige Generationen werden sich an ihn erinnern, dass er nach den turbulenten Jahren der Trump-Regierung den Anstand ins Weiße Haus zurückbrachte, dass er die Demokratie daheim und in Übersee verteidigte, dass er eine parteiübergreifende Gesetzgebung zur Infrastruktur zuwege brachte, die in einem so gespaltenen Washington unmöglich schien, und dass er die größte Anstrengung unter allen bisherigen amerikanischen Präsidenten unternahm, den Klimawandel anzugehen. Dieses Vermächtnis, das er in nicht einmal vier Jahren erreichte, würde viele Präsidenten mit zwei Amtszeiten blass aussehen lassen." Seine Entscheidung, von der Kandidatur zurückzutreten, sei ein wichtiger Schritt, "um dieses Vermächtnis zu sichern", würde doch Donald Trump versuchen, "alles, was Biden erreicht hat, rückgängig zu machen".

Zudem richtet sich der Blick natürlich nicht nur auf die Vergangenheit, konkret auf die erste Amtszeit und die abermalige Kandidatur Bidens, sondern auch auf die Zukunft, welche nach aktuellem Stand maßgeblich von Kamala Harris geprägt sein könnte. Dass Biden die derzeitige Vizepräsidentin als Nachfolgerin unterstützt, vernimmt die "Neue Zürcher Zeitung" aus rechtlichen und technischen Gründen als "Weg des kleinsten Widerstandes" – und als neue Chance: "Vor einem Monat sah es aus, als ob zwei alternde Erzfeinde nochmals gegeneinander antreten würden. Die Demokraten müssen nun, unfreiwillig, eine Alternative suchen. Insbesondere für die amerikanischen Wähler der jüngeren Generation sind das gute Nachrichten."

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