Fernsehen
Sigmar Gabriel gibt bei Maybrit Illner zu bedenken: "Wäre ich Putin, würde ich 2028 kommen!"
21.03.2025, 07:16 Uhr
Am Dienstag telefonierte Donald Trump mit Wladimir Putin: Die erhoffte 30-tägige Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine kam nicht zustande. Im Gegenteil: Die Angriffe gingen unvermindert weiter. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sprach daraufhin von einer "Nullnummer". Die US-amerikanische Regierung hingegen verkaufte das zweistündige Gespräch als "movement to peace".
"In der Welt von Donald Trump gibt es nur Gewinner oder Verlierer - und er ist nie der Loser", konnte John Bolton die Diskrepanz leicht erklären. Maybrit Illner hatte den früheren nationalen Sicherheitsberater des US-Präsidenten vor ihrer Sendung zum Thema "Putin spielt mit Trump - und wer rettet jetzt die Ukraine?" interviewt. Er hatte schließlich einige Telefonate zwischen den beiden Machthabern live miterlebt und wusste deshalb so gut wie kein anderer: Trump würde es um die "gute Beziehung mit seinem guten Freund (Putin)" gehen.
Der würde das zwar ausnutzen. Dass der russische Präsident mit seinem US-amerikanischen Kollegen spielte, glaube er aber nicht: "Er will Trump keine Peinlichkeit zufügen, um die Konzessionen nicht zu gefährden, die Trump ihm gewährt hat", meinte Bolton. Den Sündenbock für einen Fehlschlag etwaiger Friedensbemühungen hätten beide ohnehin im ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bereits gefunden.
Und auch Europa müsste seiner Ansicht nach vorsichtig sein, den Zorn Trumps nicht - weiter - auf sich zu lenken: Friedrich Merz sollte nicht öffentlich darüber spekulieren, dass Europa und Deutschland verteidigungspolitisch unabhängig von den USA werde. Trump könnte das zum willkommenen Anlass nehmen, sich formal aus der NATO zurückzuziehen oder die Institution so zu beschädigen, dass er sich nicht mal zurückziehen müsste. "Er könnte sagen, die Europäer wollen unabhängiger sein? Gut, macht das", sah er eine solche Trotzreaktion Trumps als "ernste Gefahr": "Das nächste Mal, wenn ihr (...) angegriffen werdet, sagt uns, wie es ausgegangen ist."
Norbert Röttgen (CDU): "Wir stellen nichts infrage, aber wir müssen uns auf alles Mögliche vorbereiten."
Mit dieser Aussage ging es zurück nach Deutschland, genauer gesagt ins Talkshow-Studio von Maybrit Illner. Dort bemühte sich Sigmar Gabriel, Vorsitzender "Atlantik-Brücke e.V.", ehemaliger Außenminister und SPD-Parteivorsitzender, zuerst mal um eine Einordnung dieser Aussage. Sie käme von einem Hardcore-Anhänger der Republikaner, der aus Protest gegen die Haltung Trumps zurückgetreten war. "Und heute seinen Personenschutz verloren hat durch eben diesen Donald Trump", ergänzte die wohl informierte Moderatorin.
Während Gabriel also den Aussagen von Bolton Gewicht verlieh, schwächte er die Aussagen Merz' ab: "Reden am Ende eines Wahltags sind nicht besonders klug", sprach er aus eigener Erfahrung. Der Bundeskanzler in Spe würde klug genug sein, das zu tun, was der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen (CDU) empfohlen hatte. "Wir stellen nichts infrage - weder die Allianz, noch die nukleare Teilhabe", interpretierte er die Aussage seines Parteichefs, "aber wir müssen uns auf alles Mögliche vorbereiten."
Die Europäer wären ohnehin nicht in der Lage, die Kraft der USA sofort zu ersetzen oder einen Krieg gegen Russland ohne die Amerikaner fortzusetzen, fügte Gabriel hinzu: "Wir brauchen die USA noch eine geraume Zeit, bis wir so weit sind." Deshalb müsste sich Europa auch "auf allen Wegen, die wir haben", in die Verhandlungen über einen Waffenstillstand einmischen. Und das auch oder gerade weil die USA unter Donald Trump mit der Beendigung des Ukraine-Kriegs seiner Ansicht nach "Europa loswerden wollte", unkte er. Europa wäre ein "Klotz am Bein, weil wir anders ticken".
27 Staaten, die alle die gleichen Rechte hätten, wären genau das Gegenteil von Trumps Weltbild: "Wir (stehen) mit unserer Vorstellung von Zusammenarbeit in der Welt quer im Stall, uns kann er nicht brauchen", sah er Gefahr, dass Trump auch die EU spalten wollte. Diese, fügte Gabriel sarkastisch zu, führe zuweilen "schon ein bisschen seltsame Diskussionen": "Ich habe jetzt gelernt, dass die Europäische Union der Meinung ist, im Jahr 2030 drohe ein kriegerischer Konflikt mit Russland. Es ist ja richtig, dass wir uns darauf vorbereiten, aber wäre ich Putin, würde ich 2028 kommen!"
Sicherheitsexpertin Claudia Major: "USA von Europa zu entkoppeln, das ist das, was Russland wollte"
"Dass Russland die Bedrohung intensiviert hat (...) und sich die USA gleichzeitig abwendet (...), erhöht für uns in Europa die sicherheitspolitischen Risiken enorm", pflichtete Claudia Major vom German Marshall Fund of the United States (GMF) bei. Zudem klangen die Gespräche zwischen Trump und Putin danach, als würden sich die Beziehungen zwischen den USA und Russland verbessern. Deshalb wäre es im europäischen Interesse, die Ukraine so zu stärken, dass sie nicht alles schlucken muss: "Weil wir als Westeuropäer mit einer souveränen, stabilen Ukraine besser aufgestellt sind", appellierte sie an die Regierenden. Andernfalls wäre die Ukraine so geschwächt, dass sie in drei Jahren für einen russischen Angriff einfache Beute wäre.
Der Antrieb, in Verteidigung zu investieren sollte aber nicht sein, sich von den USA unabhängiger zu werden, sondern um zu verteidigen. Dafür nicht die NATO zu nutzen, bezeichnete sie als "schade oder Unsinn". Auch bräuchte es keine neue Institution, wie Friedrich Merz es vor Kurzem vorgeschlagen und damit eine alte Idee wiederbelebt hatte. Vielmehr sollte die Frage lauten, wie man eine europäische Führungsgruppe fände, die die institutionellen Boxen von NATO oder EU sprenge und gleichzeitig auf deren Know-how zurückgreifen könnte. Die Koalition der Willigen wäre ein erster Schritt dahin.
Der USA sollte man einen "Transitionsplan" präsentieren: "Das ist unser Plan, wie wir euch entlasten können", hoffte sie, dass sich die Amerikaner darauf einlassen. Gleichzeitig müsste klar sein, dass jede europäische Verteidigung instabiler wäre, weniger Sicherheit verspreche und immer nur regionale Abschreckung statt einer transatlantischen wäre. Damit hätte aber Putin sein Ziel erreicht, fügte sie hinzu: Denn das Entkoppeln der USA von Europa sei "das, was Russland wollte".
Dazu dürfte es laut Katrin Eigendorf, Internationale Sonderkorrespondentin des ZDF, nicht kommen. Sowohl die Beziehungen mit den USA aufrechtzuerhalten und gleichzeitig in die eigene Verteidigung zu investieren, wäre ihrer Meinung nach möglich: Selenskyj mache das seit Jahren aus der Not heraus par excellence - "das ist diese Doppelstrategie, die sich nicht ausschließe. Wir können beides machen", zeigte sie sich optimistisch. Außerdem dürfte man nicht in zu kurzfristigen Dimensionen denken: "Wer weiß, wer in vier Jahren in Washington Präsident ist."