Washington als Warnung: So schützt sich der Bundestag
11.1.2021, 05:55 UhrDer kleinste Polizeibezirk der Bundesrepublik liegt nicht irgendwo im Bayerischen Wald oder im bevölkerungsarmen Mecklenburg-Vorpommern, sondern mitten in der deutschen Hauptstadt. Er umfasst nur einige 1000 Quadratmeter und hat überdies einen höchst ungewöhnlichen Polizeichef. Der heißt nämlich Wolfgang Schäuble und ist im Hauptberuf Präsident des Deutschen Bundestag. Ganz nebenbei ist er aber auch noch oberster Dienstherr von über 200 Polizeibeamt(inn)en. Sie sind für nichts anderes als den Schutz der Parlamentsgebäude und die Bewachung der Abgeordneten zuständig.
Meistens ist das eine harmlose Aufgabe. Da geht es darum, große Mengen von Menschen zu kontrollieren, die den Bundestag besuchen. Er gilt als das offenste Parlamentsgebäude der Welt und empfängt jedes Jahr rund drei Millionen Gäste. Die meisten von ihnen wollen sich nur ein wenig auf Dachterrasse und Kuppel umsehen. Aber auch sie müssen so streng wie beim Einchecken am Flughafen durchleuchtet werden.
In 95 Prozent der Fälle werde man "unterhalb der Wahrnehmungsgrenze" tätig, stellte einmal der zuständige Referatsleiter fest, aber im Extremfall müssten sich die Beamten "schlagartig daran erinnern, warum sie Schusswaffen tragen". Im zurückliegenden Jahr sorgten gleich zwei Ereignisse für Schlagzeilen. Zunächst überwanden Demonstranten am Rande einer "Querdenker"-Veranstaltung alle Absperrung und standen unmittelbar vor dem Eingang des Reichstages. Nur noch drei Beamte der Berliner Landespolizei schützten das Gebäude von außen.
Die Zugangsregeln werden ständig verschärft
Das zweite Mal, im November 2020, bedrängten und belästigten innerhalb des Gebäudes mehrere Gäste von AfD-Abgeordneten am Rande einer Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz Politiker wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Das war für die Verwaltung Anlass, die Zugangsregeln zu verschärfen. Nicht zum ersten Mal in den zurückliegenden 20 Jahren. Vor allem die Terrorgefahr führte zeitweise dazu, dass der Reichstag komplett abgeriegelt war.
Mit den Krawallen in Washington - bewaffnete Eindringline, verwüstete Büros, fünf Tote - sind die bisherigen Berliner Erfahrungen nicht zu vergleichen. Allerdings werden auch hier bei der Personenkontrolle Besuchern regelmäßig Butterflymesser, Schlagringe und Pfefferspray abgenommen, wie Hauptkommissar Volker Harms berichtet.
Die Mitarbeiter(innen) der Bundestagspolizei verrichten einen großen Teil ihres Dienstes in Zivil. Man lernt sie meistens nur dann kennen, wenn man etwas Verbotenes macht, also zum Beispiel den Besucherausweis nicht ordnungsgemäß um den Hals hängen hat. Ein großer Unterschied besteht zwischen den 26 Sitzungswochen pro Jahr, während derer alle Abgeordneten anwesend sind, und der Zeit dazwischen. Da ist die Gefahr deutlich geringer.
Schriftzug "Dem deutschen Volke" verdeckt
In die Schlagzeilen kommen die hauseigenen Ordnungshüter regelmäßig dann, wenn Störer es in den Reichstag geschafft haben - also wenn Flugblätter in den Plenarsaal geworfen oder von der Besuchertribüne Transparente ausgerollt werden. Vor einiger Zeit schafften es Greenpeace-Aktivisten, an der Außenfassade den Schriftzug "Dem deutschen Volke" mit "Zukunft ohne Kohlekraft" zu überdecken.
Wolfgang Schäuble als "Polizeipräsident", der Ältestenrat und die Verwaltung stehen immer wieder vor einer schwierigen Entscheidung: Sie wollen sich im Bundestag nicht verbunkern, es aber möglichen Eindringlingen so schwer wie möglich machen. Schon der frühere Parlamentspräsident Norbert Lammert hatte darauf hingewiesen, es sei "nicht wirklichkeitsnah", wenn man von vorneherein alle Protestaktionen ausschließen wolle.
Die Existenz der Bundestagspolizei beruht auf einem eigenen Absatz im Grundgesetz (Artikel 40,2). Hintergrund ihrer Einführung waren die verheerenden Verhältnisse in den Zeiten der Weimarer Republik, als die Präsidenten oft nicht in der Lage gewesen waren, das Hausrecht durchzusetzen. Inzwischen haben die Beamt(inn)en sogar eine eigene Uniform - wenn sie denn mal nicht in Zivil unterwegs sind. Sie zeigt am Ärmel einen silbernen Parlamentsadler.
Auto wurde vom Panzerglas gestoppt
Dass Demonstranten mal eben so ins Reichstagsgebäude gelangen können, indem sie Fensterscheiben einschlagen, wie das auf den Videos vom Kapitol zu sehen war, scheint ausgeschlossen. Das zeigte ein Vorfall aus dem Jahr 2000. Da wollte ein geistig verwirrter Mann mit seinem Auto die Glasfront durchbrechen - doch das Panzerglas stoppte den PKW.
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Generell gilt im deutschen Parlament das Prinzip der "geschützten Außenhaut". Das heißt, der Zugang selbst soll strengstens kontrolliert werden, während im Inneren weitgehend Bewegungsfreiheit für die Gäste herrscht. Die Staatsanwaltschaft hat übrigens - nicht wie im sonstigen Leben - einen unmittelbaren Zugriff auf die Polizeiarbeit. Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Bundestag finden nur mit Zustimmung des Präsidenten statt.
Seit einiger Zeit bildet das Parlament seine Polizisten auch selbst aus, bis dahin hatte man wechselwillige Kräfte von Bundes- und Landespolizei übernommen. Der Job scheint attraktiv zu sein: Auf die erste Ausschreibung hin bewarben sich 350 Interessierte. Das entsprach fast der kompletten zweifachen Belegschaft.
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