Wie sinnvoll ist die Corona-Impfung für Kinder?
27.5.2021, 05:50 UhrDie Frage wird immer drängender: Sollen Kinder geimpft werden? Moderna und Johnson & Johnson haben angekündigt, ihre Studien an Kindern und Jugendlichen bis Herbst abgeschlossen zu haben. Astrazeneca testet seinen Corona-Impfstoff nach eigenen Angaben seit Februar an 300 Freiwilligen im Alter von sechs bis 17 Jahren und will im Sommer Daten veröffentlichen. Biontech/Pfizer war schneller - in Kanada und den USA werden Kinder ab zwölf Jahren bereits immunisiert. Eine Zulassung ihres Impfstoffs für diese Altersgruppe hat Biontech/Pfizer bei der Europäische Arzneimittel-Agentur beantragt.
"Sämtliche Impfungen sind eine Risiko-Nutzen-Abwägung, das heißt, wenn die Nebenwirkungen der Impfung an Häufigkeit und Heftigkeit die der natürlichen Infektion übersteigen, wird man zurückhaltend sein mit Empfehlungen", erklärt Christoph Fusch, Chefarzt der Klinik für Neugeborene, Kinder und Jugendliche am Klinikum Nürnberg. "Dazu muss man aber erst einmal Kinder geimpft haben, um zu sehen, wie die Impfungen in dieser Altersklasse vertragen werden und ob sie eine ausreichende Impfantwort bewirken. Das wird in Deutschland von der ständigen Impfkommission überprüft und bewertet. Insgesamt liegen dazu bisher zu wenig Daten vor."
Zu den möglichen Nebenwirkungen seines Vakzins äußerte sich Biontech/Pfizer verhalten. Die Nebenwirkungen der untersuchten Gruppe hätten jene in der Altersgruppe von 16 bis 25 entsprochen, so das Unternehmen. Das bedeutet: Heranwachsende können nach dem Piks Kopfschmerzen und Fieber zu bekommen. Doch was, wenn schwerere Nebenwirkungen auftreten? Noch haben zu wenige Kinder und Jugendliche das Präparat bekommen, um seltene Nebenwirkungen aufdecken zu können.
Auf Anfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland sagte Stiko-Mitglied Rüdiger von Kries jetzt, dass es nach derzeitigem Stand wahrscheinlich nur eine Empfehlung der Stiko für Kinder und Jugendliche geben werde, die eine bestimmte chronische Erkrankung haben. Eine allgemeine Empfehlung der Stiko halte er für unwahrscheinlich.
Momentan sei "nichts" über die Nebenwirkungen bekannt. Die Stiko sei ein autonomes Organ, das nicht auf Zuruf des Ministeriums arbeite. "Wir treffen unsere Entscheidungen nach Bewertungen von Risiken und des Nutzens", so Kries.
Impfung zum Wohle der gesamten Bevölkerung?
Mit dieser Bewertung befassen sich auch viele Kinderärzte. "Es kann sein, dass man trotz des bei Kindern eher milden Verlaufes von natürlichen Corona-Infektionen empfiehlt, Kinder zu impfen, damit sich der Pool der Infizierbaren und möglichen Überträger in der Gesamtbevölkerung verringert", sagt Christoph Fusch. "Dazu kommt, dass mit weniger Übertragungen das Risiko für die Entstehung von neuen Mutationen sinkt."
Für eine Impfung spricht zudem, dass auch Kinder schwer erkranken können. Denn in Verbindung mit Covid-19 ist ein neuartiges Syndrom aufgetreten: Pims. Das steht für "Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome". Das Krankheitsbild ist noch diffus, aber es ist inzwischen erwiesen, dass es seltene, aber tückische Spätfolgen mit sich bringt. Rund vier bis sechs Wochen nach einer scheinbar überwundenen Corona-Infektion werden die Betroffenen plötzlich krank. Sie klagen über Bauchschmerzen, hohes Fieber und Ausschläge.
Ärzte mussten mitunter kleine Kinder behandeln, deren Blutdruck bedenklich absackte, die unter Atemnot und Wasser in der Lunge litten. Experten gehen davon aus, dass Pims bei einem von 1000 Fällen auftritt. Und das Problem könnte sich in Zukunft verschärfen.
Virologen wie Christian Drosten vermuten, dass sich Kinder unweigerlich mit dem Virus infizieren werden. Denn wenn irgendwann die Hygienemaßnahmen zurückgefahren werden, wieder Fahrten ins Skilager und uneingeschränkter Sportunterricht erlaubt sind, könne sich das Virus ungehindert verbreiten, erörterte Drosten im Podcast "DAs Coronavirus-Update". Noch wisse man nicht, wie es sei, wenn sich große Gruppen von Kindern ansteckten. Dies spräche für eine Impfung der Jüngeren.
Streit über Impfung bei Kindern - Zulassung am Freitag
Impfen oder nicht impfen? Damit beschäftigen sich auch Ethiker wie Andreas Frewer, Professor für Ethik in der Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. "Gerade bei Kindern, die eine Impfung bekommen sollen, ist eine detaillierte, gute Aufklärung wichtig", hebt er hervor. Es sei sinnvoll, langfristig Kindern Impfungen anzubieten. Allerdings müssen Erfolg und Unbedenklichkeit geprüft werden. Die Empfehlungen von Ema und Stiko sollten unbedingt befolgt werden.
Individuelle Entscheidung
Schlussendlich müsse aber jeder für sich selbst entscheiden. "Wenn jemand einen ernsten Covid-Verlauf erwarten kann, sieht die Risikoabwägung für diesen Menschen anders aus", betont Frewer und unterstreicht, dass das alleinige Ziel "Herdenimmunität", für die auch Kinder eine Rolle spielen, aus ethischer Sicht bedenklich sei. Angesichts der Impfstoff-Knappheit sei die Diskussion außerdem verfrüht: "Bei uns sollen nun eventuell gering Gefährdete geimpft werden, international sind aber viele gefährdete Gruppen noch gar nicht geimpft."
Ob die Bundesregierung diese Überlegungen in ihren Planungen berücksichtigen wird? Es sei ein "klar formuliertes Ziel", dass die Jugend im großen Stil geimpft wird, sagte kürzlich ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Demnach sollen bis Ende August Heranwachsende geimpft sein. Dann seien die Sommerferien vorbei und der Schulbetrieb solle wieder normal laufen.
Eltern befürchten daher, dass ihre Kinder zur Impfung gedrängt werden könnten, um den Präsenzunterricht nicht zu gefährden. "Die Impfung sollte keine Zwangsmaßnahme werden", sagt Andreas Frewer. Man müsse weiter gerecht, sinnvoll und vernünftig vorgehen – und nicht vorschnell.
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