"Drachenschanze" verkauft

Rainer Winkler kündigt Umzug an: Kehrt in Altschauerberg nun Ruhe ein?

Ulrike Löw

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21.10.2021, 11:17 Uhr
Rainer Winkler - als "Drachenlord" einer der meistgehasstesten YouTuber.

© NEWS5 Rainer Winkler - als "Drachenlord" einer der meistgehasstesten YouTuber.

Sie sind gekommen, um ein Spiel zu spielen. Kurz vor Weihnachten, am 23. Dezember 2019, fahren die jungen Männer nach Altschauerberg. Gegen 17 Uhr stellen sie sich breitbeinig vor das baufällige Anwesen, das den Spitznamen Drachenschanze trägt. Sie rufen nach dem "Drachenlord", sie lachen und überziehen Rainer Winkler (32) mit Häme. Sie spotten über das Sexualleben seiner Eltern, verunglimpfen dessen verstorbenen Vater mit ordinären Sprüchen.

"Wir bringen ihn in den Knast!"

Rainer Winkler steigt darauf ein. Wutentbrannt rast der Drache aus seiner Schanze. "Wir bringen ihn in den Knast", soll einer dieser Besucher, ein Anti-Fan, "frohlockt" haben, so die Staatsanwältin. Anklagen sind gewöhnlich sachlich verfasst - schon deshalb fällt der Begriff "frohlocken" auf.

Fast zwei Jahre nach dieser Szene sitzt Rainer Winkler vor Gericht. Diesmal sind die Anti-Fans nicht nach Neustadt an der Aisch gefahren. Mehrere Dutzend Anti-Fans, vor allem junge Männer, stehen in Nürnberg vor dem Strafjustizzentrum. Einige sitzen als Zuschauer im Sitzungssaal. Wieder ist es für sie ein Spiel. Lautete das erste Motto "Dem Drachen das Fürchten lehren!" ist das erklärte Ziel einiger nun offenbar: "Den Drachen in den Knast bringen". Es ist wie Mitmach-Fernsehen. Die Anti-Fans piesacken, der Drache reagiert.

Justiz will nicht überfordert wirken

Zwei Verhandlungstage hat das Amtsgericht Neustadt an der Aisch terminiert, schon die nach Nürnberg verlegte Verhandlung ist ungewöhnlich. Doch das Strafjustizzentrum bietet angesichts des Andrangs mehr Platz, und mehr Wachtmeister sollen sicherstellen, dass die Justiz keinen überforderten Eindruck macht. Die Sicherheitsvorkehrungen sind entsprechend hoch - jeder Besucher muss eine Schleuse passieren, die Taschen werden durchsucht, Gürtel müssen abgegeben werden. Eine Kontrolle wie am Flughafen.


Ein Hater erklärt: Daher kommt die Wut auf den Drachenlord


Wird das Amtsgericht tatsächlich eine Freiheitsstrafe gegen Rainer Winkler verhängen? Denn natürlich ließ er sich provozieren und rastete aus. Laut Anklage titulierte er die Besucher als "Hurensöhne, hässliche Bastarde, Hackfressen". Er versetzte beiden Männern Faustschläge, einen verletzte er mit einer Taschenlampe. Es gehört zu diesem merkwürdigen Spiel, dass viele Beteiligte gleichzeitig Opfer und Täter sind - auch diese beiden Geschädigten wurden als Beschuldigte geführt.

Rainer Winkler, der unbeholfene Mann mit der Lese-Rechtschreibschwäche, der übergewichtige Metal-Fan, der zu Stromgitarren-Musik in Videos headbangt - seine Anti-Fans wissen, wie leicht er in Rage gerät, manchmal nennen sie ihn "Ragelord". Ihr Spiel, eine Art Cybermobbingwettbewerb, zielt darauf ab, den Drachen zur Weißglut zu bringen. Und wenn der dünnhäutige Winkler tobt, sieht eine riesige YouTube-Gemeinde zu.


Nein: Der Drachenlord ist kein Attentäter


Bereits am 6. September 2019 gegen 22.50 Uhr drosch er einem Hater eine Taschenlampe gegen die Stirn, am 11. März 2021 gegen 15.20 Uhr nahm er einen ungebetenen Besucher auf seinem Gelände in den Schwitzkasten, schlug ihm mit der Faust mehrfach gegen den Kopf und zerbrach dessen Brille.

Ungebetene Gäste, ein wutentbrannter YouTuber - die Spirale der Wut dreht sich immer schneller

Die ungebetenen Besucher in Altschauerberg, Winkler, der sich provozieren lässt - die Spirale im "Drachengame" dreht sich immer schneller. "Ja", so der Anwalt, "Rainer Winkler hat es billigend in Kauf genommen, die Brille zu zerstören. Ja, er hat sein Hausrecht übertrieben verteidigt." Doch man müsse die Geschädigten doch mal fragen, was sie auf dem Grundstück wollten.

Er habe damals noch studiert, so schildert einer der Geschädigten. Er sei im August 2019 mit vier Freunden aus Koblenz nach Altschauerberg gefahren, der Drachenlord habe ihm damals einen Backstein an den Arm geworfen. Doch sein "persönliches Highlight" sei gewesen, dass ihn Winkler als "dreckigen Chinesen“ rassistisch beschimpft habe.

Nach dem Treffer mit dem Stein stand der Verdacht eines Splitterbruchs im Raum. Er ging in die Notaufnahme, doch weder ließ er sich behandeln noch nahm er Schmerztabletten. Er hätte keinen Gips tragen können, so der Zeuge, da er zu diesem Zeitpunkt seine Bachelor-Arbeit schreiben musste. Warum er dann überhaupt in die Notaufnahme fuhr, will die Richterin wissen. Auf Anraten der Polizei, so der Zeuge.

Zwei weitere Geschädigte reisten aus Schwandorf an, sie fuhren nach Altschauerberg, weil "da voll die große Party" sei und um die "Internetpräsenz des Rainer Winkler anzusehen". Die Idee: "Wir wollten Selfies vor seinem Haus machen". Doch das funktionierte nicht, weil Rainer Winkler gleich aus dem Haus stürmte.

Die Staatsanwältin hakt nach: „Warum sind Sie nicht gegangen als er rauskam? Würden Sie das schön finden, wenn Leute vor Ihrer Tür stehen würden?“
Der Zeuge: „Darauf muss ich nicht antworten.“
Die Staatsanwältin: „Danke, das reicht mir als Antwort."

Der nächste Zeuge: "Wir standen vor dem Anwesen."

Richterin: "Was wollen Sie dort?"
Zeuge: "Wir wollten, dass der Drachenlord rauskommt."
Richterin: "Warum? Spaß? Wollten Sie ein Foto von ihm?"
Zeuge: "Weiß ich nicht mehr. Was würden Sie machen?"
Richterin: "Also, was wollten Sie jetzt vor Ort?"

Es seien die rassistischen und chauvinistischen Sprüche von Winkler, die zwei Medizinstudenten dazu brachten, nach Altschauerberg zu fahren, schildern beide Studenten im Zeugenstand. Es sei "die Aufgabe der Zivilgesellschaft" dort zu stehen, betont einer der beiden. Er sei nach Altschauerberg gefahren, um Rainer Winkler mal persönlich zur Rede zu stellen.

Es sind die beiden Männer, die Winklers verstorbenen Vater verunglimpften, beide wurden wegen übler Beleidigungen gegen Winkler verurteilt. Wie dies zu den moralischen Ansprüchen passt, will Winklers Verteidiger wissen. Anfangs habe man nichts gesagt, dann hätte Winkler Morddrohungen ausgestoßen, und vor Ort schaukelten sich die Wortgefechte eben immer hoch, so der Zeuge. "Wir wurden von Winkler aufs Übelste beschimpft. Es waren unglaublich viele Beleidigungen. Er will uns gleich die Köpfe einschlagen. Und wir sollen uns vor den Bus werfen, zum Beispiel."

Anfangs lästerten die Anti-Fans nur über Winklers Gelaber. Er produzierte immer schrägere Beiträge, riss frauenfeindliche Sprüche, nannte den Holocaust "irgendwie nice" und schließlich schlug der Spott in Hass um. Winkler plärrte seine Adresse in Altschauerberg die Kamera, forderte die Hater auf, zu ihm zu kommen: "Ich prügel die Scheiße aus euch raus!"

So wurde aus dem Internetphänomen das "Schanzenfest" in der echten Welt. Am 20. August 2018 reisten fast 800 Fans und Anti-Drachen-Fans nach Altschauerberg und feierten. Ein Großaufgebot der Polizei sprach damals 300 Platzverweise aus. All dies wird im Sitzungssaal erneut thematisiert, weil das Verfahren ohne den Personenkult um Rainer Winkler gar nicht verstanden werden kann. An dem Tag, so schildert ein Polizist der Polizeiinspektion Neustadt a. d. Aisch, habe er "glücklicherweise" keinen Dienst gehabt. "Das blieb mir erspart."

Einige der Anti-Fans im Gerichtssaal schildern in einer SItzungspause ihren Eindruck vom Drachenlord. Einer regt an, dass Rainer Winkler in eine Behindertenwerkstätte umzieht, seine YouTube-Karriere aufgibt. Dies wäre das Beste für ihn, wollen sie wissen.

Tatsächlich ziehen sich die Prozessbeteiligten sofort nach Beginn der Hauptverhandlung hinter verschlossene Türen zurück, die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft führen mit der Amtsrichterin Rechtsgespräche. Meist geht es in Strafverfahren darum, in so genannten "Deals" gegen ein Geständnis eine mildere Strafe zu erwirken. Hier kann die Überschrift nur lauten: Rainer Winkler hängt seine YouTuber-Karriere freiwillig an den Nagel, dafür kommt er mit einer Bewährungsstrafe davon.

Und tatsächlich, so gibt sein Verteidiger bekannt, habe sich die Faktenlage geändert. Rainer Winkler habe das Haus in Altschauerberg verkauft, ihm sei bewusst, dass er vor allem Anti-Fans habe. Er wolle an einen unbekannten Ort ziehen und auch seine YouTube-Aktivitäten reduzieren.

Fünf bis 15 Polizei-Einsätze täglich

Sollte Rainer Winkler tatsächlich sein Leben ändern, könnte in Altschauerberg endlich Ruhe einkehren. Das Drachengame bindet bis heute Kräfte. Die Polizeiinspektion Neustadt an der Aisch betreut mit etwa 50 Mitarbeitern, darunter sind auch Bürokräfte, ein Gebiet mit einer Fläche von rund 703 Quadratkilometern und etwa 61.000 Einwohnern. Seit Jahren fahren die Beamten jeden Tag fünf bis 15 Einsätze in Altschauerberg, rechnet Michael Petzold, Sprecher im Polizeipräsidium Mittelfranken, vor.

Über Kosten spricht Petzold nicht, doch schätzt man etwa 120 Euro pro Einsatz - so wird der Aufwand der vergangenen Jahre vorstellbar. Jedes Mal rückt eine Streife mit zwei Beamten aus, meist werden Platzverweise ausgesprochen, Anzeigen zu Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch aufgenommen, häufig fallen Beleidigungen. Im Amtsgericht Neustadt an der Aisch, so bestätigt Direktorin Christiane Trabold, wurden auch schon einige Anti-Fans wegen Beleidigung und Körperverletzung verurteilt. Und selbst zu Pandemie-Zeiten blieben hartnäckige Hater der "Drachenschanze" nicht fern und wurden wegen ihrer Hygiene-Verstöße finanziell in die Pflicht genommen.

Polizisten per Live-Stream beleidigt

Um die Ruhe in dem Dorf halbwegs zu wahren, geht die Polizei gegen vermeintliche Störer vor - auch Rainer Winkler wählt regelmäßig den Notruf. Doch dabei behandelt er die örtliche Polizisten, als seien sie seine persönlichen Sicherheitskräfte. Viele seiner verbalen Entgleisungen gibt er via Live-Stream oder in YouTube-Videos zum besten - meist vor Tausenden Zuhörern.

Den Großteil der Polizei in Neustadt könne man "in die Tonne treten", höhnt er, die Beamten bekämen ihren "verdammten, fetten, hässlichen Arsch" nicht hoch, so tönte er am 9. August 2019, die Polizisten beleidigte er als "Wichser". Nur wenige Tage zuvor sagte er einem Beamten ins Gesicht, er solle "das Maul halten" - dabei hatte Winkler die Polizeistreife selbst zu sich nach Altschauerberg gerufen. In jener Nacht warf er zudem mit einem Backstein auf einen Mann vor seinem Anwesen.

Anwohner sind genervt von dem Belagerungszustand

Am 23. November 2019 alarmierte er erneut die Polizei. Wieder zeigte er die Ruhestörung eines Haters vor seiner Haustür an, diesmal nannte er einen Polizisten noch am Telefon "Arschloch" und schickte einige deftige Sätze hinterher. Am 12. Juni 2020 motzte er in einem Livestream gegen die Polizisten, die nur untätig in ihren Autos sitzen und "am Handy zocken", ein Beleg der "deutschen Arbeitsmoral".

Ja, so bestätigt der Strafverteidiger von Rainer Winkler in der aktuellen Hauptverhandlung, der Aufwand sei enorm. Und ja, all die Vorwürfe treffen zu, auch wenn die Anklagen nur das so genannte "Kerngeschehen" abbilden würde. Rainer Winkler meine eben, die ungebetenen Besucher verletzen ihn in seinen Rechten, er könne sich zur Wehr setzen. Die Anti-Fans piesacken, der Drache reagiert.

Kehrt nun Ruhe ein?

Kehrt mit dem Verkauf des Anwesens nun Ruhe in Altschauerberg ein? Ist die "Drachenschanze" verkauft, gibt es auch kein "Drachengame" mehr, so die einfache Logik. Doch Kern des Strafverfahrens sind die Vorwürfe gegen Rainer Winkler - und er gibt sich wenig zerknirscht. Er betont vor allem seine Opferrolle, er wehre sich nur, und wenn er Backsteine auf Besucher wirft, dann wirft er nur zurück. Und zu den Beleidigungen gegenüber der Polizisten: Er habe sich höchstens ungeschickt ausgedrückt, sagt er. Die Beamten hätten doch viel mehr für ihn tun können.

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